Allah, Amerika und die Armee

Der Konflikt mit Indien und das Bündnis mit den USA prägen die Außen- wie die Innenpolitik Pakistans

Von Najum Mushtaq

Die religiösen und ethnischen Spannungen in Pakistan hängen eng mit den Konflikten zwischen dem Land und seinen Nachbarn zusammen. Seine Lage in der Region und sein Stellenwert für die Politik der USA haben das Militär gestärkt und der Entwicklung demokratischer Strukturen geschadet.

Viele Pakistanis sagen nur halb im Scherz, ihr Land werde von drei „A“ regiert: Allah, Amerika und der Armee – und nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. In den vergangenen sechzig Jahren haben in der Tat die Religion, die USA und das Militär Pakistans Innenpolitik gestaltet und seine Rolle im regionalen und globalen Kräftespiel bestimmt.

Viele Probleme Pakistans, aber auch seine strategische Bedeutung erklären sich aus seiner geographischen Lage. Das Land liegt zwischen zwei Giganten, Indien im Osten und China im Norden. Im Südwesten grenzt es an Afghanistan und Iran, und nur der schmale, 15 Kilometer breite Wakhan-Korridor trennt es von Tadschikistan und dem übrigen Zentralasien. Einen Steinwurf von seiner Küste am Arabischen Meer liegen der Nahe Osten und der Persische Golf.

Pakistans Lage in der Region, besonders sein Verhältnis zu Indien, hat seine vom Militär dominierte Innenpolitik und seine internationalen Bündnisse geprägt. Die strategische Position, die angeborene Furcht vor dem viel größeren Nachbarn und die islamische, antikommunistische Haltung machten das Land bald nach der Unabhängigkeit 1947, die mit dem Beginn des Kalten Krieges zusammenfiel, zu einem wichtigen Bündnispartner der USA.

Der Streit um die Region Kaschmir im Himalaya ist das deutlichste Symbol der Feindschaft zwischen Pakistan und Indien. Sie hat tiefe historische Wurzeln – schon in der Entstehung Pakistans aus einem Teil von Britisch-Indien: Pakistans Gründerväter behaupteten, Indiens Muslime seien eine eigenständige Nation, die von den nichtmuslimischen Indern getrennt werden müsse. Sie forderten eine Heimat für sie in den mehrheitlich muslimischen Regionen im Nordwesten (dem heutigen Pakistan) und Nordosten (seit 1971 Bangladesch).

Kaschmir war damals ein Land mit muslimischer Mehrheit, das von einem hinduistischen Fürsten regiert wurde. Nach dem Teilungsabkommen hatte er die Option, sich entweder Pakistan oder Indien anzuschließen. Als er sich sträubte, für Pakistan zu optieren, fiel die pakistanische Armee, unterstützt von Stammesmilizen, 1948 in Kaschmir ein. Kaschmir unterzeichnete daraufhin eine Beitrittsurkunde mit Indien, dessen Armee die Invasoren vertrieb. Nach einem vom UN-Sicherheitsrat anerkannten Waffenstillstandsabkommen ist Kaschmir bis heute geteilt in einen indischen und einen pakistanischen Teil. Es war seither die Ursache von drei großen Kriegen zwischen beiden Ländern.

Der Faktor Indien hat Pakistans Innenpolitik auch auf andere Arten beeinflusst. So diente das Gefühl einer Bedrohung aus dem Nachbarland als Vorwand, um die innenpolitische Vormachtstellung des Militärs zu rechtfertigen. In den chaotischen Machtkämpfen, die in dem jungen Staat ausbrachen, stellte die von der Volksgruppe der Pandschabi dominierte Armee im Verein mit der Bürokratie die politischen Parteien kalt.

Pakistan bestand ursprünglich aus zwei Territorien, die mehr als 1000 Meilen auseinander lagen. Die Bevölkerung des Ostteils sprach überwiegend Bengali, im Westteil lebten aber zahlreiche Volksgruppen – Pandschabis, Paschtunen, Sindhis, Belutschen und viele andere. Angesichts der ethnischen Vielfalt warb die zivil-militärische Elite mit dem Islam als dem einigenden Band, das ethnische wie geographische Trennungen überwinden könne. Im Inneren nutzte sie den Islam, um den Klerus aller muslimischen Konfessionen zu kooptieren, die säkularen demokratischen Parteien klein zu halten und einen islamischen Nationalismus zu schmieden, der auf der Feindschaft mit Indien basierte. International demonstrierte das Bild von einem islamischen Pakistan die Treue der Regierung zur antikommunistischen Sache.

Hinter dieser religiösen Fassade schwelten die ethnischen Konflikte allerdings weiter. Bei den ersten demokratischen Wahlen 1970 kam es zur Explosion: Der östliche Landesteil stimmte fast einmütig für die laizistische Awami-Liga von Scheich Mujibur Rahman (dem Vater der späteren Premierministerin von Bangladesch, Hasina Wajid), die für den Landesteil Autonomie forderte. Im Westteil gewann die Partei Zulfikar Ali Bhuttos (des Vaters von Benazir Bhutto), die sozialistische Tendenzen zeigte. Islamische Parteien, von denen manche vom Militär unterstützt wurden, erlitten eine böse Schlappe.

Aber das Militärregime weigerte sich abzutreten. Ein Bürgerkrieg brach aus, Indien intervenierte, besiegte die pakistanische Armee und verkündete 1971 die Schaffung Bangladeschs. Das Ideal einer Nation, die mit der Religion als Stütze die ethnische Vielfalt und die geographische Aufteilung überbrückt, war gescheitert.

Nach dieser Demütigung sah sich die pakistanische Armee gezwungen, sich für ein paar Jahre von der Macht zurückzuziehen. Doch ihre anti-indische Haltung wurde noch verstärkt; das Land ignorierte die Lektion, dass Religion und militärische Macht allein keine multiethnische Nation zusammenhalten können. Seit Bangladesch  aus dem Staatsverband ausgeschieden ist, treibt Pakistan ein Atomwaffenprogramm voran, hat einen Großteil seiner Ressourcen für die Stärkung des Militärs verwandt und den Aufstand in Kaschmir unterstützt – alles im Namen des Islam und mit dem Ziel, mit Indien gleichzuziehen.

Auch das Bündnis mit den USA ging Pakistan zunächst zum guten Teil wegen Indien ein. Angesichts des sehr viel größeren und mächtigen Gegners entschied man sich in den 1950er Jahren für eine Militärallianz mit Amerika, um die indische Bedrohung zu neutralisieren.

Im Lauf der Zeit hat Pakistan im Rahmen dieser Allianz allerdings ganz unterschiedliche Rollen im regionalen und internationalen Kontext übernommen. Während des Kalten Kriegs galt das Land als Bollwerk gegen das ungläubige, böse Sowjet-Imperium. Die USA unterstützten vorbehaltlos politisch und militärisch zwei Militärdiktaturen in Pakistan, von denen jede mehr als ein Jahrzehnt dauerte, und entschuldigten das mit der kommunistischen Gefahr. Der erste Diktator, Feldmarschall Ayub Khan (1958-1968), stellte sich als liberal und prowestlich dar. General Zia ul-Haq (1977-1988) wurde dagegen zum Vorkämpfer des islamischen Dschihad: Er half den USA, die Sowjetunion in Afghanistan zu besiegen, indem er sich islamischer Milizen bediente, der sogenannten Mudschaheddin. Deren nächste Generation lernte man dann als al-Qaida und islamische Terroristen kennen. Nach den Terroranschlägen in New York im September 2001 ist Pakistan dann unter einem weiteren Militärdiktator zum wichtigen Verbündeten außerhalb der NATO im Krieg gegen den Terrorismus geworden.

Während also das Bündnis mit den USA eine Konstante in der pakistanischen Geschichte darstellt, ändert sich sein Zweck je nach Washingtons Politik. Schwankend zwischen liberalem Islam, Dschihad und aufgeklärter Mäßigung, hat Pakistans herrschende Militärelite hemmungslos die Religion benutzt, um zu Hause und international Legitimität zu gewinnen. Washington war dabei ein aktiver Komplize. Während des Kalten Krieges halfen die USA, den religiösen Extremismus in Pakistan zu züchten. Heute, nach dem 11. September, scheren sie sich erneut nicht um Demokratie, sondern stützen eine instabile Verbindung aus Musharrafs militärischem Obrigkeitsstaat mit einem angeblich moderaten Islam.

Ähnlich wie in den 1980er Jahren geht es heute bei dem Bündnis zwischen Pakistan und den USA vor allem um das Schicksal Afghanistans. Pakistans Verhältnis zu diesem komplizierten Nachbarn war immer problematisch – trotz der beiden Ländern gemeinsamen Religion.

Wie mit Indien hat Pakistan auch mit Afghanistan einen Grenzkonflikt. Die Durand-Linie, auf die sich Briten und Russen in den 1890er Jahren geeinigt haben, zerteilt das Siedlungsgebiet der paschtunischen Stämme, sie leben auf beiden Seiten der Grenze. Als Pakistan entstand, stellte sich Afghanistan auf den Standpunkt, dies sei ein neuer Staat und kein Nachfolger des Britischen Empire, folglich sei das alte Grenzabkommen hinfällig. Da ein Drittel der Paschtunen in Afghanistan lebt und die anderen zwei Drittel in Pakistan, entstand bald eine nationalistische Bewegung, welche die Vereinigung aller Paschtunen in einem Land forderte. Sie ist inzwischen abgeflaut. Pakistan war mit den USA verbündet, also suchte die afghanische Regierung Hilfe bei der Sowjetunion und Indien. Als die UdSSR 1979 zur Unterstützung der kommunistischen Regierung in Afghanistan einmarschierte, gab es bereits ein Milieu afghanischer Dissidenten in Pakistan, die bereit waren, gegen das Regime in Kabul zu kämpfen.

Der folgende „heilige Krieg“ (Dschihad) in Afghanistan wurde sowohl von den USA und anderen westlichen Ländern als auch von Saudi-Arabien finanziert und von Pakistans Militärs organisiert. Er zwang schließlich 1988 die russischen Truppen zum Rückzug aus Afghanistan und führte zu dessen Zusammenbruch. Heute hängt in einer Militärmesse in Islamabad ein Brocken aus der Berliner Mauer mit einer Plakette, auf der steht: „Pakistanische Soldaten führten den ersten Schlag, um die Berliner Mauer niederzureißen.“

Nach der sowjetischen Niederlage zogen sich die USA und der Rest der Welt aus Afghanistan zurück und überließen das Land den verschiedenen Gruppen der Mudschaheddin. Pakistan konnte sich das nicht leisten, zumal zwischen verschiedenen dieser Gruppen ein Bürgerkrieg ausbrach. Als die Gruppen der Nordallianz, die mit Russland, Indien und Iran verbündet waren, in Afghanistan an Macht gewannen, unterstützte Pakistan die neu aufkommende Bewegung der Taliban. Sie eroberte schließlich 1996 Kabul. Eine freundlich gesonnene Regierung in Kabul, so argumentierten die pakistanischen Generäle, würde Pakistan die räumlich-strategische Tiefe verschaffen, die ihm gegenüber Indien fehlte.

Doch die Terrorangriffe in Amerika am 11. September 2001 veränderten die Lage vollständig. Eine von den USA geführte Invasion vertrieb die Taliban aus Kabul; sie verteilten sich sowohl innerhalb des Landes als auch in den paschtunischen Stammesgebieten in Pakistan – die meisten der pakistanischen Mudschaheddin, die gegen die Sowjets gekämpft hatten, waren Paschtunen. Pakistans Militär schloss sich dem Krieg der USA gegen den Terror an und ist jetzt in erbitterte Kämpfe mit seinen eigenen einstigen Schützlingen verstrickt.

Selbstmordanschläge, Überfälle von Dschihadisten auf zivile und militärische Ziele sowie der „heilige Krieg“ gegen die USA und die Nato in Afghanistan belasten die pakistanisch-afghanischen Beziehungen schwer, obwohl beide Länder Verbündete der USA sind. Die Regierung Hamid Karsai in Kabul steht Indien nahe und betrachtet Pakistan mit Argwohn. Pakistan wiederum sieht den weltweiten Krieg gegen den Terror und sein eigenes Taliban-Problem als eine unmittelbare Folge des vom Westen finanzierten Krieges gegen die Sowjets in Afghanistan.

Wegen des Aufstiegs von al-Qaida und den Taliban musste Pakistan auch zum ersten Mal einige Rückschläge in der traditionellen strategischen Verbindung zu China hinnehmen. Viele chinesische Ingenieure und Geschäftsleute sind in Pakistan von militanten Islamisten entführt, umgebracht oder schikaniert worden. Die muslimische chinesische Provinz Xinjiang, die an Pakistan grenzt, bereitet Peking Kopfzerbrechen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass diese Entwicklungen die bilateralen Beziehungen dauerhaft belasten werden.

Die wichtigste Basis des freundschaftlichen Verhältnisses zu Peking ist die Rivalität zwischen Indien und China. Beide Länder haben 1962 im Himalaya einen Krieg um den Grenzverlauf in Teilen Kaschmirs geführt. Nach seinem deutlichen Sieg festigte Peking seine militärische Vormachtstellung, indem es Pakistan durch politische, diplomatische und militärische Unterstützung den Rücken stärkte. China ist Pakistans größter Lieferant von Rüstungsgütern. Obwohl sich die Beziehungen zu Indien im vergangenen Jahrzehnt deutlich verbessert haben, behandelt China Pakistan weiterhin als seinen engsten Verbündeten in der Region. Im Gegensatz zu den 1960er Jahren betrachtet China Pakistan allerdings nicht mehr ausschließlich durch die Brille des Verhältnisses zu Indien.

Pakistan und Iran treten nach außen als befreundete islamische Länder auf. Hinter der Fassade sind die nachbarschaftlichen Beziehungen allerdings schwierig. Während in den 1980er Jahren Iran unter Ajatollah Khomeini schiitische Mudschaheddin-Gruppen in Afghanistan unterstützte, förderte Pakistan unter Zia ul-Haq dort sunnitische Fraktionen. Wichtiger noch war, dass General Haq Saudi-Arabien und den Vereinigten Staaten nahe stand, die eine Politik der Eindämmung gegenüber der iranischen Revolution betrieben. Auch der sunnitische Klerus in Pakistan reagierte mit heftiger Abneigung auf die schiitischen Revolutionäre, die angeblich versuchten, die schiitische Minderheit in Pakistan aufzuhetzen. Die Regierung Zia förderte dagegen militante Sunnitengruppen in Pakistan. Es begann ein Kreislauf sektiererischer Gewalt, die bis zum heutigen Tag wütet. Sunnitische Eiferer haben Hunderte von Schiiten umgebracht, sogar iranische Diplomaten in Pakistan.

In den vergangenen Jahren soll eine anti-iranische Dschihad-Gruppe namens Dschandullah von Pakistan aus Terrorangriffe im Iran verübt haben. Die beiden Regierungen regeln solche Angelegenheiten diskret hinter verschlossenen Türen. Angesichts von Pakistans Bündnis mit den USA und den zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen schiitischen und sunnitischen Eiferern in Pakistan ist es aber unwahrscheinlich, dass die beiden Länder eine dauerhafte diplomatische oder politische Allianz schmieden können.

Das alles zeigt: Pakistans Rolle in der Region sowie auf der globalen Bühne wirkt sich auf seine Innenpolitik aus. Umgekehrt beeinflussen politische, ethnische und konfessionelle Spaltungen im Inneren die Beziehungen des Landes zu seinen Nachbarn und in der Weltpolitik. Die Vormachtstellung des Militärs und der Terrorismus sind nicht allein das Ergebnis der innenpolitischen Dynamik. Pakistans Lage in der Region und seine Rolle in der Weltpolitik, insbesondere sein Bündnis mit den USA während des Kalten Krieges und jetzt im Krieg gegen den Terror, haben entscheidenden und schädlichen Einfluss auf die Gesellschaft und die Politik im Land ausgeübt. Die Pakistaner können wenig Hoffnung haben, dass entweder Amerika oder die Armee fähig und willens sind, für geordnete Verhältnisse zu sorgen. Daher bleibt ihnen wenig anderes übrig, als um den Beistand Allahs – des dritten A – zu bitten und auf einen göttlichen Eingriff zu warten.

Najum Mushtaq ist pakistanischer Journalist und lebt in Nairobi. Er hat sich mit islamistischen Bewegungen befasst und für die International Crisis Group gearbeitet.

welt-sichten 2/3-2008

 

 

erschienen in Ausgabe 2 / 2008: Pakistan - Staat in der Dauerkrise
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