Kubas Kampf mit dem Klimawandel

Andreas Knobloch
Malcolm Gil recycelt in Havannas Altstadt Papier. Die Firma Ciclo Ecopapel, für die der Student zweimal die Woche arbeitet, nutzt Regenwasser, natürliche Stärke und Solarenergie für die Papierproduktion.
Klimaschutz
Steigender Meeresspiegel, Hurrikans, extreme Trockenheit: Kuba ist in vielerlei Hinsicht vom Klimawandel betroffen. Die Regierung hat den Klimaschutz in die Verfassung aufgenommen, auch private Initiativen engagieren sich vielfältig. 

Regenwasser, Altpapier, Reisstärke und viel Sonne – viel mehr braucht es nicht, um umweltfreundlich Papier herzustellen. In einer belebten Gasse mitten in der Altstadt von Havanna befindet sich der kleine Betrieb Ciclo Ecopapel (deutsch: Papierzyklus). Nur gedämpft dringen das Stimmengewirr der fliegenden Händler und Obstverkäufer und der Lärm der Straße in den gewaltigen, lichtdurchfluteten Innenhof hinter dem Holzportal. Überall stehen Tüten und Säcke mit Altpapier. Wassertanks aus blauem Plastik sind umfunktioniert zu einem Mixer und zu Waschbecken für die Papierproduktion.

„Um Papier herzustellen, verwenden wir das Regenwasser, das wir in unseren Tanks auffangen“, sagt Malcolm Gil. Zweimal in der Woche recycelt der Student hier Papier. Mit der blauen Plastikschürze und der Mund-Nase-Maske sieht er aus wie ein Chemielaborant. Chemikalien aber kommen hier nicht zum Einsatz. „Das Altpapier muss erst einen Tag lang im Wasser aufweichen“, erklärt Malcom. „Wenn es weich ist, fügen wir Stärke hinzu. Dann kann Maniok sein oder Reis. Wir verwenden Reis.“ Dann wird die Masse ein paarmal im Mixer gerührt, auf einen Siebrahmen aufgetragen und anschließend mit einem Leinentuch abgedeckt. „Je mehr Wasser das Tuch aufnimmt, desto besser, denn umso schneller trocknet das Papier.“

Mit einem großen gelben Schwamm versucht Malcolm, so viel Wasser wie möglich zu entfernen. Das wiederholt er einige Male. Schließlich bringt er das auf den Rahmen gespannte Papier zu einer antik anmutenden, gusseisernen Schraubenpresse. Nach dem Pressen hängt er das Papier zum Trocknen auf eine Wäscheleine. „Jedes Stück wird nach seiner Dicke klassifiziert, je nachdem, ob es eine Serviette werden soll, eine Tüte, eine Postkarte oder ein Blatt Schreibpapier. Am Ende wird es noch gebügelt, damit alles besser aussieht.“

Yunairy Estrada hat Ciclo Ecopapel ins Leben gerufen. Ihre Freunde nennen sie Yuyú. „Zuvor hatte ich ein Piñata-Geschäft, in dem ich Pappmaché-Figuren und Papiertüten hergestellt habe. Eine staatliche Stiftung gab zu ihrem 20-jährigen Jubiläum Papiertüten bei mir in Auftrag. Sie haben mich auf die Idee gebracht, die aus Recyclingpapier herzustellen. Vor dreieinhalb Jahren habe ich mit einem alten Waschbecken meiner Tochter und sehr alternativen Mitteln begonnen“, erzählt die Mittdreißigerin Yuyú. „Die Presse bestand anfangs aus zwei Ziegelsteinen. Als Tücher nutzte ich Stoffreste, die meine Familie nicht mehr brauchte. Und dann brachten mir Familienangehörige und Freunde Altpapier, das sie übrig hatten.“

Die Bevölkerung soll mitziehen

Heute erledigt Ciclo Ecopapel Aufträge für Oxfam, die UNESCO, europäische Botschaften, aber auch Privatpersonen. Laura Ruíz, die an der Universität Havanna Journalismus studiert, ist seit zwei Jahren dabei. Sie kümmert sich um den kleinen Verkaufsladen und die Buchhaltung. „Seit wir Ciclo Ecopapel machen, denken wir immer mehr über Papier hinaus über Umweltschutz nach“, sagt sie. „Inzwischen haben wir Solarpaneele und verwenden Regenwasser.“ In Havannas Altstadt gebe es immer wieder Probleme mit der Wasserversorgung, man wolle daher keins verschwenden. An Schulen in der Umgebung organisieren sie Kurse zu Papierrecycling und Umweltschutz.

Autor

Andreas Knobloch

lebt und arbeitet seit zehn Jahren in Havanna. Er schreibt als freier Journalist für deutschsprachige Zeitungen und Magazine über politische und ökonomische Themen in Lateinamerika.
Dass die Bevölkerung mitzieht, will auch Anisley Morejón. Sie ist Chefin der Studiengruppe zu Umwelt und Gesellschaft (GEMAS) am Institut für Philosophie in Havanna, einer Art Thinktank des kubanischen Umweltministeriums. Sie beschäftigt sich dort mit den sozialen Folgen des Klimawandels. „Es soll nicht bei von oben herab entworfenen staatlichen Plänen bleiben, sondern in den Gemeinden sollen selbst Projekte entwickelt und verwaltet werden, um den Auswirkungen des Klimawandels entgegenzutreten.“

Als Insel in der Karibik ist Kuba besonders vom Klimawandel betroffen. „Kuba befindet sich in einem Bereich der Karibik, der von Klimaforschern als Straße der Hurrikans bezeichnet wird“, sagt der in Berlin beheimatete Kubaexperte und Sozialwissenschaftler Edgar Göll vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung. „Dort treten Wirbelstürme in einer bestimmten Saison immer wieder und laut Vorhersagen der Klimaforschung immer häufiger und heftiger auf.“ Die Wirbelstürme Sandy 2012, Matthew 2016, Irma 2017 und Eta im vergangenen Jahr haben gewaltige Schäden angerichtet. Hinzu kommen der Anstieg des Meeresspiegels, Erosion der Küsten sowie die extreme Trockenheit der Böden.

Freiwillige sammeln am Strand von Havanna Müll. Mit solchen Aktionen versuchen Umweltorganisationen, ein Bewusstsein für Umwelt- und Klimaschutz in der kubanischen Bevölkerung zu schaffen.

Im April 2017 hat die kubanische Regierung mit „Tarea Vida“ (Aufgabe Leben) einen ambitionierten Plan zur Bewältigung des Klimawandels verabschiedet. Danach sollen Wasser effizient genutzt und gesichert, Wälder wiederaufgeforstet, Mangroven und Korallenriffe geschützt sowie Infrastruktur geschaffen werden, die resistent und an den steigenden Meeresspiegel angepasst ist. Das Hurrikan-Frühwarnsystem soll gestärkt werden, und den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung möchte Kuba bis zum Jahr 2030 von derzeit 4 auf 25 Prozent ausweiten.

Besonders wichtig sind Projekte zur Ernährungssicherheit, sagt Morejón. Denn in Kuba seien bereits 60 Prozent der Böden von Erosion, Dürre und Versalzung betroffen. Mit BASAL gebe es ein wegweisendes Projekt, das sich mit Boden- und Dürremanagement und der Umstellung von landwirtschaftlichen zu agrarökologischen Fincas befasst. Ein weiteres Projekt konzentriert sich auf nachhaltige Reisproduktion und Viehzucht.

Leere Staatskassen

Solche Projekte zu finanzieren sei schwierig, sagt Morejón, gerade für das wegen der US-Blockade von internationalen Krediten abgeschnittene und in einer schweren Zahlungsbilanzkrise steckende Kuba. Ende März erst hat der Grüne Klimafonds der Vereinten Nationen (GCF) mit Sitz in Genf 23,9 Millionen US-Dollar Zuschüsse für ein langfristiges Vorhaben zum Schutz der Küsten in Kuba bewilligt. Die kubanische Regierung steuert 20,3 Millionen US-Dollar bei. Das auf 30 Jahre angelegte Projekt zielt darauf ab, mehr als 11.000 Hektar Mangroven, 3000 Hek­tar Sumpfwald und 900 Hektar Sumpfgras in sieben Provinzen wiederherzustellen.

Unterstützung gibt es auch von der Schweizer Entwicklungsagentur DEZA. Für deren Chef auf Kuba, Peter Tschumi, ist Ernährungssicherheit durch Anpassung der Landwirtschaft ein entscheidender Aspekt bei der Bewältigung des Klimawandels. Kuba importiert heute mehr als zwei Drittel seiner Lebensmittel von Reis über Pasta bis zu Gewürzgurken aus Vietnam, Italien, Spanien oder China und gibt dafür jährlich zwei Milliarden US-Dollar aus. Viel Geld angesichts leerer Staatskassen.

Mehr Erträge durch verbesserte Produktionsmethoden

„Landwirtschaftsprojekte mit den Ressourcen Kubas heißt, man muss vor allem Technologien und angewandte Techniken verbessern“, sagt Tschumi. Zum Beispiel hätten Bewässerungsprojekte geholfen, knapp ein Drittel des genutzten Wassers einzusparen. Mit verbesserten Produktionsmethoden sei es zudem gelungen, die Erträge zu steigern und gleichzeitig durch den Einsatz organischer Dünger den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern.

Die Gefahr, dass Klimaschutzaspekte vor der Dringlichkeit, Nahrungsmittel zu produzieren, zurückstehen müssen, sieht Tschumi nicht. Vielmehr lobt er die Bemühungen der kubanischen Regierung in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Kuba nutze die Entwicklungszusammenarbeit mit der Schweiz, um alternative Methoden zu erproben, die breitflächig im ganzen Land angewendet werden könnten, sagt er. Neben der Landwirtschaft unterstützt die DEZA auch Projekte in der Bauwirtschaft. So habe man in der Zementproduktion auf eine Methode, bei der der Zement anders gemischt wird, zurückgegriffen, die zuerst in Indien erprobt wurde, und so den Treibhausgasausstoß um 40 Prozent senken können.

Neben der Entwicklungszusammenarbeit sei die Zivilgesellschaft von besonderer Bedeutung, sagt Morejón. Zivilgesellschaft heißt auf Kuba – das wird bei Morejón deutlich – vor allem regierungsnahe Gruppen. Darüber hinaus gibt es aber immer mehr Initiativen, die sich abseits staatlicher Strukturen für die Umwelt engagieren.

Fridays For Future auch auf Kuba

So ist die weltweite Klimainitiative Fridays For Future seit Mai 2019 auch auf Kuba vertreten – ins Leben gerufen von einem Englischstudenten aus Santa Clara, einer Provinzstadt 270 Kilometer östlich von Havanna. Aus anfangs 10 Leuten sind mittlerweile knapp 50 geworden, vor allem Studierende zwischen 17 und 25 Jahren. Eine von ihnen ist die 23-jährige Journalismusstudentin Beatrice Ramírez. „Unsere Hauptarbeit ist die Bildung, um jungen Menschen klarzumachen, wie man die Umwelt schützen kann“, sagt sie.  Müllsammlungen an den Stränden, Flüssen und Grünflächen der Stadt seien die effektivsten und direktesten Aktionen, um konkrete Probleme zu lösen, sagt Ramírez. Größere öffentliche Auftritte seien dagegen schwieriger. Denn dafür bedarf es staatlicher Genehmigungen, die in der Regel nicht erteilt werden. So verhinderte die Regierung eine Demonstration in Havanna zum globalen Klimastreik am 20. September 2019.

Eine Initiative direkt im öffentlichen Raum sind die Bicicletadas, monatlich stattfindende Fahrradkorsos, die immer stärkeren Zulauf erhalten haben. Organisator Yasser González hat sich dafür von Critical-Mass-Korsos in Berlin inspirieren lassen, wo er einige Male zu Besuch war. „Ich nannte es Bicicletear La Habana. Das hat im kubanischen Spanisch zwei Bedeutungen: Zum einen kann es heißen, mit dem Rad durch die Stadt zu fahren; zum anderen, die Stadt mit Fahrrädern zu füllen. So haben wir am 25. September 2015 angefangen - mit fünf Leuten, die sich über Facebook verabredet haben.“ An jenem Tag verabschiedeten die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen auf einem Gipfeltreffen in New York die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Mit der Critical Mass will der 35-jährige gelernte Softwareingenieur für eine fahrradfreundlichere Stadt eintreten. „Ich wollte nicht wie jemand von der Regierung klingen, der die Leute bequatscht. Wenn die Leute zum Fahrradfahren kommen, ist das gut für die Umwelt.“

Auf Unterstützung durch ausländische Botschaften angewiesen

Vor der Pandemie kamen jeweils mehr als hundert Leute zusammen. Einmal wurde der Fahrradkorso von der Polizei angehalten, sagt González, Festnahmen aber gab es keine. „Ich glaube, dass die Regierung nicht genug unternimmt und die Leute nicht ausreichend gegen den Klimawandel einbezieht.“ Oft sei man auf die Unterstützung ausländischer Botschaften angewiesen, die Gelder für Projekte zur Verfügung stellen. Das aber werde von der Regierung skeptisch gesehen.

Morejón widerspricht und verweist auf die im April 2019 in Kraft getretene neue Verfassung, in der Klimaschutz integriert ist. Sie, der Klimaschutzplan Tarea Vida und das Nationale Programm für wirtschaftliche und soziale Entwicklung 2030 spiegelten die zunehmende Bedeutung des Klimawandels wider, sagt sie. Angesprochen auf Kubas wirtschaftliche Abhängigkeit vom Massentourismus, einem nicht gerade grünen Wirtschaftszweig, antwortet die Philosophin Morejón: „Kuba braucht Massentourismus, um all seine sozialen Projekte fördern zu können. Und gleichzeitig hat es die Absicht, die Umwelt zu schonen und zu schützen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist der Weg ein nachhaltiger Tourismus.“

Sie verweist darauf, dass trotz US-Blockade und Corona-Pandemie die Anstrengungen für die Bewältigung des Klimawandels auf vielen staatlichen Ebenen verstärkt wurden. Stelle man den Kampf gegen den Klimawandel nicht in den Vordergrund, „werden wir, egal wie viele Projekte und Sozialpolitik wir machen, nicht in der Lage sein, Grundbedürfnisse wie Nahrung oder Wasserversorgung zu erfüllen“.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2021: Entwicklung wohin?
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