Botschaft aus dem Müll

Zum Thema
Recycling in Honduras
Umweltschutz
Sofi Lundin
Flipflopi im Bau: Der Bootsbauer Ali Skanda zeigt das erste Schiff,  das er aus wiederverwertetem Plastik herstellt.
Plastikverschmutzung
Ein regenbogenfarbiges Boot aus alten Flipflops und Flaschen zeigt, wie man in Ostafrika Plastik recyceln kann. Die Erbauer fordern, die Verbote von Einwegplastik auch durchzusetzen.

„Ziehen Sie Ihre Rettungswesten an und machen Sie sich bereit. Wir müssen jetzt losfahren, bevor der Regen kommt“, sagt Bootsbauer und Kapitän Ali Skanda und blickt in den dunkelblauen Himmel über dem Victoriasee. Er hat „Flipflopi“ gebaut, das erste Boot aus hundert Prozent recyceltem Plastik in Ostafrika.

Angefangen hat alles mit einem verschmutzten Strand und einer brillanten Idee. An einem Morgen im Jahr 2015 ging Fremdenführer Ben Morison auf der Insel Lamu vor der nordkenianischen Küste an den Strand, um eine Runde zu schwimmen. Im Wasser fand er unzählige Plastikflaschen, der Strand war mit Hunderten gebrauchten alten Plastiklatschen, sogenannten Flipflops, übersät. „Die Idee kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Was, wenn ich den Müll zu einem Boot zusammenkleben und zurück auf die andere Seite des Indischen Ozeans schicken würde?“ Die Botschaft an die Menschen in Indien wäre klar: „Seht, was ihr uns jeden Tag herschickt.“ Jede Menge Müll kommt mit den Meeresströmungen aus Asien nach Kenia, erklärt Morison, der an der Küste des afrikanischen Landes aufgewachsen ist. 

Aufwendige Kleinarbeit – das Material für die Außenhaut und das Deck des Schiffs besteht aus alten Flipflops.

Er organisierte eine Strandsäuberungsaktion mit 50 Freiwilligen aus der Gegend, und innerhalb von drei Stunden hatten sie sechs Tonnen Plastikmüll gesammelt. Ein paar Stunden später waren weitere drei Tonnen zusammengekommen; rund 30.000 Flipflops waren dabei. Dann rief Morison beim Bootsbauer Ali Skanda an: „Kannst du etwas machen, was noch niemand getan hat? Wir wollen das erste Boot der Welt aus Flipflops und Plastikmüll bauen.“ Die beiden drehten ein Youtube-Video über das Projekt und starteten eine Crowdfunding-Kampagne.

Im Rumpf steckt das Material aus Plastikflaschen und -tüten

So nahm eine Weltneuheit ihren Anfang: Zehn Tonnen Plastikmüll – darunter 30.000 Flipflops, gesammelt an der kenianischen Küste – wurden eingeschmolzen, geformt und ausgeschnitten. Dabei arbeiteten die Initiatoren mit dem örtlichen Recycling-Unternehmen Regeneration Africa zusammen. Sie haben Maschinen, die Kunststoff zu Strängen pressen können. „Viel Forschung und Entwicklungsexperimente waren nötig, um herauszufinden, wie wir mit diesen sehr einfachen Maschinen die großen Teile für das Boot formen können“, erzählt Morison. 

„Die Leute hielten mich für verrückt“, erinnert sich Skanda. „Sie dachten, es sei nicht möglich, ein Boot aus Plastikmüll zu bauen. Aber es ist möglich.“ 

Der Bootsbauer ist auf Lamu in einer Familie von Zimmerleuten geboren und aufgewachsen, wo Methoden der traditionellen Boot­herstellung seit Hunderten von Jahren Teil der Kultur sind. Es war das fünfte Dau, also traditionelle Segelboot, das er gebaut hat, aber eindeutig seine bisher größte Aufgabe. Kiel und Bootsrahmen sind aus recycelten Plastikflaschen und Plastiktüten gefertigt, der Rumpf und das Bootsdeck aus wiederverwerteten Flipflops. Alles wurde vor Ort nach den traditionellen Bootsbautechniken der alten Suaheli-Kultur auf Lamu hergestellt. 

Pionierarbeit ganz ohne Anleitung

„Das ganze Projekt beruht auf der Idee, dass alles mit lokalen Ressourcen und Wissen gemacht wird. Es ist eine kenianische Initiative, und mit Flipflopi wollen wir zeigen, was ohne moderne Technologie geschaffen werden kann“, erklärt Morison – obwohl man stabilere und preisgünstigere Teile hätte aus Europa importieren können. Eine solche Pionierarbeit ganz ohne Anleitung und Rezepte von Google zu leisten, geht nicht von heute auf morgen. Skanda und die anderen Bootsbauer arbeiteten zwei Jahre lang hart, bis das zehn Meter lange und 7,5 Tonnen schwere Flipflopi Ende 2018 zu Wasser gelassen werden konnte.

Autorin

Sofi Lundin

ist freie Journalistin und Fotografin in Uganda.
Die Nachricht verbreitete sich rasant und das kleine Team um Morison, Skanda und den weiteren Mitgründer Dipesh Pabari wuchs schnell. Heute besteht es aus Seglern und Umweltaktivisten aus vielen Teilen der Welt, und die Initiative wird unter anderem von den Regierungen Ugandas, Kenias, Tansanias und Großbritanniens unterstützt. Weitere Partner sind das UN-Umweltprogramm UNEP und die französische staatliche Entwicklungsagentur AFD. 

Große Reise für ein großes Ziel: weniger Einwegplastik

Im Jahr 2019 brachen sie zu ihrer ersten Fahrt auf und segelten 300 Seemeilen (etwa 550 km) von Lamu entlang der ostafrikanischen Küste nach Sansibar in Tansania. Ziel war es, das Bewusstsein der Menschen für die Plastikverschmutzung in den Ozeanen zu schärfen. Im März 2021 unternahmen sie dann eine Expedition über den Victoriasee. Auf ihren Fahrten treffen sie sich mit Fischern und lokalen Klimaaktivistinnen, versuchen die Einstellung junger Menschen zu Müll zu verändern und wollen Druck auf die Politik ausüben, neue Gesetze zu erlassen. 

Laut UN-Angaben werden auf der Welt jede Minute eine Million Plastikflaschen gekauft. Zusammen benutzt die Weltbevölkerung jährlich fünf Billionen Plastiktüten. Die Hälfte aller Plastikprodukte weltweit ist dafür gemacht, nur einmal benutzt zu werden. Unterdessen werden unsere Ozeane laut verschiedenen Quellen, darunter Greenpeace, jedes Jahr mit mehr als acht Millionen Tonnen Plastik verschmutzt. Das entspricht fünf Lkws mit drei Tonnen Plastik pro Minute, ohne Pause, das ganze Jahr.

Der Victoriasee ist Afrikas größter See. Zehntausende lokale Fischer sind von dem Gewässer abhängig, das sich Uganda, Kenia und Tansania teilen. Fisch ist Ugandas zweitgrößter Exportposten und bringt jährlich rund 170 Millionen US-Dollar (knapp 140 Millionen Euro) an ausländischen Devisen ins Land. Doch seit einigen Jahren warnen Wissenschaftler, dass unter anderem der Klimawandel und die Verschmutzung allem Leben im See ein Ende bereiten könnten. „Ohne radikale Schritte wird der Lake Victoria wegen der Dinge, mit denen wir ihn verschmutzen, in 50 Jahren tot sein“, sagt der Gouverneur von Kisumu County in Kenia, Peter Anyang’ Nyong’o.

Das Flipflopi-Team überquert mit seinem Schiff den Victoriasee. Letzter Stopp auf der Fahrt ist Tansania.

Auf einem Banner im Hafen des Ggaba-Markts in der ugandischen Hauptstadt Kampala steht „#Endplasticpollution (Schluss mit der Plastikverschmutzung) – gemeinsam für eine plastikfreie Welt“. Auf dem Markt reiht sich ein Gemüse-Verkaufsstand an den nächsten. Die beliebten Einkaufstüten aus Plastik, die hier „Kaveera“ heißen, liegen überall im Schmutz am Boden herum. „Uganda hat Gesetze, die die Verwendung von Plastiktüten verbieten, aber diese Gesetze werden hier kaum beachtet. Wir wollen mit den Behörden zusammenarbeiten, um die Gesetze zu prüfen und Wege zu finden, wie wir das gefährliche Einwegplastik loswerden können“, erklärt Flipflopi-Mitbegründer Pabari. 

Aus Einwegplastik lassen sich viele neue Dinge machen

Heute organisiert das Team eine Strandsäuberung und Workshops für Leute aus der Gegend. „Aus Einwegplastik lassen sich leicht viele neue Dinge machen. Auf unseren Aufklärungsfahrten zeigen wir den Leuten, wie sie das tun können, damit das Plastik nicht im Meer landet. Moderne Technologie ist dafür nicht nötig. Es sind Produkte, die jeder herstellen kann“, betont Pabari. 
Ugandas Strände sind trotz des Verbots voller Plastiktüten

Afrika hat auf dem Weg hin zu einem von Einwegplastik freien Kontinent große Fortschritte zu verzeichnen. Von 54 Staaten haben 34 Maßnahmen zum Verbot von Wegwerfplastik ergriffen. 2005 war Eritrea das erste Land, das Plastiktüten verbot. Heute ist Kenia Vorreiter auf dem Gebiet. Es hat das strengste Verbot von Plastiktüten weltweit: Wer eine Plastiktüte produziert, verkauft oder benutzt, riskiert bis zu vier Jahren Gefängnis oder Strafen bis umgerechnet etwa 33.000 Euro.

Aufklärung über die Plastikverschmutzung – hier zusammen mit der Künstlerin Sandra Suubi in Ugandas Hauptstadt Kampala – ist ein Kernziel des Projekts.

Trotz neuer Gesetze funktioniert aber die Umsetzung nicht überall. Uganda hat sein erstes Gesetz gegen Plastiktüten 2007 verabschiedet, aber die Straßen und Strände sind immer noch voller Plastik, vor allem Tüten und Flaschen. „Es ist eine große Herausforderung für die Behörden, die Nutzung von Plastiktüten zu stoppen. In Uganda gibt es über 60 Unternehmen und Tausende Mitarbeiter in der Branche. Diese Unternehmen sind der neuntgrößte Steuerzahler im Land“, sagte Shamim Nabatanzi vom Verband der Plastikhersteller und Recyclingfirmen in Uganda (UPMRA) laut einem Artikel in der landesweiten Zeitung „Daily Monitor“.

Zudem haben die Plastikproduzenten laut einem Artikel auf der Website „Global Press Journal“ über die Jahre strategische Beziehungen zu Politikern aufgebaut, die sie nutzen, um bestehende Verbote zu stoppen oder aufzuschieben. Das Team von Flipflopi verbringt viel Zeit damit, mit den Behörden nach Lösungen für diese Probleme zu suchen. „Wir versuchen, die Regierung und Entscheidungsträger darin zu unterstützen, nachhaltige Gesetze zu machen“, erklärt Pabari. „Unser Ziel ist ein gemeinsames ostafrikanisches Gesetz, das den Einsatz von Einwegplastik verbietet. Um das zu erreichen, arbeiten wir mit Rechtsanwälten der Firma Africa Legal Network zusammen.“

Sowohl die lokale Bevölkerung als auch Behördenvertreter haben sich stark für Veränderung engagiert. In Kenia versprechen mehrere politische Führer Unterstützung, darunter der Gouverneur von Kisumu County. Wie für viele Fischer und Menschen in der Gegend ist für ihn „Lake Victoria unsere Lebensader, und ich will ihn nicht sterben sehen“, erklärte Nyong’o während einer Panel-Debatte in Kisumu im März. „Falls es auf nationaler Ebene nicht genug Engagement gibt, sind wir auf County-Ebene bereit, einzuspringen.“

Wenn Kapitän Ali Skanda die Segel setzt und Uganda verlässt, erwarten das Team neue Treffen und Aufgaben in Tansania. Seine zweite Expeditionsfahrt geht bald zu Ende, aber das ist erst der Anfang. „Wir haben große Visionen, was Flipflopi erreichen kann. Wenn das hier abgeschlossen ist, beginnt schon die nächste Arbeit: Wir wollen ein Boot aus recyceltem Plastik bauen, das doppelt so groß ist“, erzählt Skanda. „Und das nächste Mal segeln wir zu anderen Kontinenten.“ Das Ziel ist, Flipflopi in die ganze Welt zu bringen, angefangen mit Indien. 

Aus dem Englischen von Carola Torti.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2021: Die langen Schatten der Gewalt
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