Peru setzt bei der Stromerzeugung stark auf Wasser, Wind und Sonne
Von Hildegard Willer
Peru will seinen wachsenden Energiebedarf künftig vor allem mit Erdgas und erneuerbaren Energien decken. Doch noch tut sich die Regierung schwer, die eigenen Ansprüche zu verwirklichen. In abgelegenen Dörfern der Anden setzt sich aber die Sonnenenergie durch.
Pedro Meza muss sich bücken, um unter der Tür seiner Lehmkate hervorzukommen. Wo er denn sein Solarpanel habe, fragt ihn der Ingenieur Luciano Ré. Pedro Meza versteht zuerst nicht recht. Spanisch ist für ihn eine Fremdsprache und der Ingenieur spricht kein Quechua. Das Solarpanel liefere keinen Strom, sagt er schließlich, deshalb habe er es im Haus untergestellt. Der Ingenieur hat den Fehler rasch gefunden: die Batterie funktioniert nicht. „In den nächsten Tagen schicke ich einen Techniker vorbei, um das zu reparieren“, verspricht Luciano Ré.
Der Schweizer ist in der peruanischen Provinz Espinar unterwegs. Sechs Autostunden von Cusco entfernt kümmert er sich als Mitarbeiter der Bethlehem Mission Immensee um die Versorgung von Andendörfern mit erneuerbaren Energien. Er bildet lokale Solartechniker aus und berät Dorfgemeinschaften, wie sie ein Elektrifizierungsprojekt bei der Gemeinde beantragen können. Ré ist auf Inspektionsfahrt im Weiler Colpamayo auf 4000 Metern Höhe. Hier haben sechzehn Bauernfamilien kleine Solaranlagen zur Erzeugung von Strom erhalten. Die Bewohner von Colpamayo gehören zu den 6,5 Millionen Peruanern, die noch nicht an das nationale Stromnetz angeschlossen sind. Das ist fast ein Viertel der peruanischen Bevölkerung. Über die Hälfte davon lebt auf dem Land.
Rés nächster Besuch gilt dem Gehöft von Isidoro Bustamante und seiner Frau Avelina Poma. Auf einer kleinen Anhöhe stehen die fünf kleinen schmucken Lehmhäuser, in denen Küche, Stube, zwei Schlafzimmer und die Speisekammer separat untergebracht sind. Fünf Kühe, 30 Schafe und 6 Alpakas ernähren die Familie mit fünf Kindern. Stolz zeigt Avelina Poma die Stromsparlampe, die an der Decke der niedrigen Stube hängt. Daneben befindet sich der neue Stromkasten samt Batterie, auf dem Strohdach steht das Solarpanel. All das gehört zur Grundausstattung.
„3 Soles pro Woche haben wir früher nur für Kerzen ausgegeben, damit die Kinder abends ihre Hausaufgaben machen konnten“, sagt Isidoro Bustamante. Jetzt könnten sie in Ruhe das Vieh von der Weide holen, und müssten sich nicht beeilen, um noch bei Tageslicht die Schularbeiten zu machen. Sogar die Schulnoten hätten sich verbessert, seit sie elektrisches Licht haben, behauptet Avelina Poma.
Andendörfer wie Colpamayo, aber auch viele Flussdörfer im Amazonastiefland sind nur schwer zu erreichen. Es ist schwierig und kostspielig, Strommasten bis hierher zu setzen und sie an das Stromnetz anzuschließen. Die Bewohner dieser Gegenden gehören zudem zu den Ärmsten Perus und sind nicht in der Lage, eine monatliche Stromrechnung zu bezahlen. Dezentrale Stromversorgung lautet deshalb die Devise. Seit den 1990er Jahren hat der peruanische Staat, meist im Verbund mit Entwicklungskrediten, mehr als 1500 Photovoltaik-Systeme im ganzen Land installiert.
Neben dem Vorzeigeprojekt auf der Insel Taquile im Titicaca-See gibt es darunter aber auch zahlreiche Ausfälle. „Taquile ist eine Ausnahme, weil die Menschen wegen des Tourismus ein relativ hohes Einkommen haben“, sagt José Koc, Professor für Strommärkte an der Technischen Hochschule in Lima. In den übrigen Gegenden Perus dagegen sind nach Schätzungen des Energieministeriums lediglich die Hälfte der Solaranlagen in Betrieb. Es fehlt die Nachbetreuung. „Die Batterien müssen regelmässig gewartet werden“, sagt José Koc. Um Solarenergie nachhaltig zu nutzen, sei neben den Panelen auch ein funktionstüchtiges Betriebs- und Wartungssystem erforderlich.
Was Elektrotechnikern für den Bau von Strommasten Sorgen macht, versetzt den peruanischen Vizeminister für Energie, Pedro Gamio Aita, in Begeisterung. Denn dank seiner schroff abfallenden Andengipfel verfügt Peru über ein riesiges Potential an Wasserkraft. „Nur fünf Prozent davon ist bisher ausgeschöpft“, sagt Gamio. Allerdings leben und arbeiten die meisten Peruaner an der Westküste des Landes, das Wasserkraftpotential liegt dagegen am Ostabhang der Anden. Der Bau großer Wasserkraftwerke ist außerdem aufwendig und teuer. Von den bisher 15 ausgeschriebenen Projekten ist gerade einmal eines in Bau. Hoffnung setzt Gamio deswegen auf ausländische Investoren, die Interesse an peruanischer Wasserkraft haben könnten. Ein Land hat er besonders im Blick: Brasilien mit seinem großen Energiebedarf.
Bisher werden knapp 70 Prozent des peruanischen Stroms aus Wasserkraft erzeugt. Das peruanische Energieministerium zählt diesen Energieträger zu den erneuerbaren Energien, die deshalb in der Statistik als Schwergewicht erscheinen: Sie liefern 27 Prozent des peruanischen Energieverbrauchs. 56 Prozent werden mit Erdöl, 17 Prozent mit Erdgas gedeckt. Dies soll sich in den nächsten fünf Jahren ändern. „Ein Drittel – ein Drittel – ein Drittel“ heißt die Formel des Energieministeriums: Gas und erneuerbare Energien (inklusive Großwasserkraftwerke) sollen auf je 33 Prozent kommen, der Beitrag des Erdöls auf 33 Prozent sinken. Denn Peru verbraucht mehr Erdöl als es selbst fördert, verfügt aber mit Camisea in der Region Cusco über eines der grössten Erdgasvorkommen Lateinamerikas. Seit 2004 liefert es Gas, das in einer Pipeline bis nach Lima geführt wird. Dort rüsten immer mehr Autobesitzer ihre Fahrzeuge auf Gas um. Neu gebaute Kraftwerke werden ebenfalls damit betrieben.
Ob die einheimische Energieproduktion allerdings mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes mithalten kann, wagt niemand vorherzusagen. Die peruanische Wirtschaft wächst seit Jahren stetig um durchschnittlich acht Prozent jährlich und damit steigt auch der Energiebedarf. Vizeminister Gamio zeigt sich optimistisch. Doch bislang liegen laut einem Bericht der Wirtschaftszeitschrift Semana Económica kaum Investitionszusagen für Wasserkraftwerke auf dem Tisch. Gamio setzt deshalb Hoffnungen auf Projekte unter dem „Clean Development Mechanism“. Dieser erlaubt Industrieländern, die sich im Kyoto-Protokoll zur Minderung des Treibhausgas-Ausstoßes verpflichtet haben, ihre Pflicht teilweise in Entwicklungsländern zu erfüllen – etwa mit Investitionen in erneuerbare Energien oder den Schutz der Wälder. In Peru sollen vor allem Wasserkraftwerke so Förderer finden.
Doch die Wasserkraft ist umstritten. Großstaudämme führen zur Überflutung weiter Gebiete mit schädlichen Folgen für Pflanzen und Tiere. Zudem schmelzen auch in Peru die Gletscher und es gibt keine verlässlichen Voraussagen über die Wasservorräte. Die Solarenergie ist nach Ansicht von Experten nur für die dezentrale Elektrifizierung abgelegener Gegenden geeignet, weil die Investitionskosten hoch sind. Nur bei der Windkraft sind sich Politik und Wissenschaft einig, dass dieses ungenutzte Energiepotential an der peruanischen Pazifikküste genutzt werden soll.
Das Energieministerium treibt den Ausbau erneuerbarer Energien voran. Es hat dem Parlament ein Gesetz vorgelegt, nach dem innerhalb von fünf Jahren fünf Prozent des peruanischen Stroms aus Windkraft, kleinen Wasserkraftanlagen mit weniger als zehn Megawatt, Solarenergie und Erdwärme erzeugt werden sollen. Da die Herstellung von Wind- und Solarenergie um vieles teurer ist als Wasserkraft, wird das Gesetz den Strompreis in die Höhe treiben. Aber es bietet den Investoren eine Garantie, dass der „sauber“ erzeugte Strom auch abgenommen wird. Sechs temporäre Konzessionen für Windparks hat das Ministerium bereits an private Firmen vergeben.
Bislang überwiegen allerdings die Absichtserklärungen, denn der peruanische Staat setzt kaum eigene Mittel für die Förderung erneuerbarer Energien ein. Der Strommarkt befindet sich zu zwei Dritteln in privater Hand. Aufgrund der hohen Kosten von Solarenergie und Windkraft sträuben sich die Unternehmen gegen Investitionen ohne staatliche Unterstützung. Das Nachsehen hat vor allem die arme Bevölkerung in den Andendörfern. Hier investieren nur einige nichtstaatliche Organisationen oder staatliche Kooperationsprojekte ins Stromnetz; der peruanische Staat setzt nur seinen ungenügenden Elektrifizierungsfonds ein.
Dabei geht es auch anders. Das jüngste peruanische Wirtschaftswachstum gründet zum größten Teil auf dem Abbau von Metallen. Der findet vor allem in abgelegenen Andengebieten statt und führt häufig zu Konflikten mit den traditionellen Dorfgemeinschaften. Die Bevölkerung klagt über Umweltverschmutzung und vor allem darüber, dass sie vom neuen „Goldrausch“ Perus kaum etwas abbekommen. Inzwischen fließen deswegen die Hälfte der Steuereinnahmen aus dem Bergbau in die Regionen zurück. Und die Bergbauunternehmen setzen sich für deren Entwicklung ein, um Störungen ihrer Arbeit oder Straßenblockaden zu vermeiden.
Zum Beispiel in Yanaoca, einem Dorf im Hinterland von Cusco. Hier werden zwölf junge Frauen und Männer zu Technikerinnen und Technikern ausgebildet. Die 19-jährige Analí Gutiérrez bindet sich den Mundschutz um und spritzt einen Eisenträger, der später eine Solartherme halten soll. Sie ist eine zukünftige „Yachachis“, eine fachkundige Frau, die ihr Wissen in ihrem Dorf weitergeben soll. Die Solarthermen für die Warmwasserbereitung werden in Gemeindezentren und Schulen eingebaut. Verwirklicht wird das Projekt von einer lokalen nichtstaatlichen Organisation und bezahlt von der Regionalregierung – dank Zuwendungen aus dem Berg- und Gasabbau muss sie nicht mehr jeden Sol in Lima beantragen.
Isidoro Bustamante im Dorf Colpamayo verdankt seinen Solarstrom einem Vertrag zwischen der Gemeinde Espinar und dem Bergwerk Tintaya, das vor den Toren von Espinar Kupfer abbaut. Dorfgemeinschaften und andere Gruppen können dort Anträge auf die Finanzierung kleiner Entwicklungsprojekte stellen: einen Traktor, ein Gemeindehaus, eine neue Straße oder eben Solarpanele. Dank der in Espinar ausgebildeten Techniker ist auch die Wartung gesichert.
Hildegard Willer ist freie Journalistin in der peruanischen Hauptstadt Lima.
welt-sichten 5-2008