"Der Zweck der UN-Reform ist noch nicht überall angekommen“

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Ohne verlässliche Finanzierung keine starken Vereinten Nationen: Der Chef des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, Achim Steiner (rechts), trifft im Juli 2021 Bundesfinanzminister Olaf Scholz.
UN-Reform
Vor drei Jahren haben die Vereinten Nationen (UN) eine Reform ihrer Entwicklungszusammenarbeit begonnen. Sie soll stärker aus einem Guss sein. Ein Team des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik hat in vier Ländern geprüft, ob das gelingt.

Silke Weinlich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn.
Max-Otto Baumann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik.

 

 

 

 

 

 

 

 

Frau Weinlich, Herr Baumann, Sie haben mit Ihrem Team in der Côte d’Ivoire, Eswatini, Georgien und Uganda untersucht, wie es um die Reform der UN-Entwicklungszusammenarbeit steht. Stimmt der Kurs alles in allem?
Baumann: Ja, die Maßnahmen zielen in die richtige Richtung. Aber das ist ja nicht der erste Reformversuch. Bereits 1977 wurden die sogenannten Länderkoordinatoren – Resident Coordinators – eingeführt, die für eine bessere Abstimmung der einzelnen UN-Organisationen untereinander sorgen sollten. Meistens wurde das Amt in Teilzeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des UN-Entwicklungsprogramms UNDP ausgeübt. 2006 gab es dann unter UN-Generalsekretär Kofi Annan eine große Reform unter dem Titel „Delivering as one“. Die gegenwärtige Reform geht institutionell noch einen Schritt weiter. Die Resident Coordinators wurden aus dem UN-Entwicklungsprogramm UNDP herausgelöst und direkt dem UN-Generalsekretariat unterstellt. Ihre Rolle wurde gestärkt, die UN-Organisationen sind ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig. Aberwie gesagt: Das UN-Entwicklungssystem wird seit Jahrzehnten reformiert, es ist schwierig, den großen Durchbruch zu erzielen.

Haben die Resident Coordinators in der Praxis die neue Autorität, die ihnen die Reform zuerkennt?
Baumann: Unser Eindruck ist: Das Signal ist angekommen, dass der Resident Coordinator jetzt wirklich der Leiter der UN-Länderteams ist. Das sieht man daran, dass er oder sie eine führende Rolle bei der Erarbeitung wichtiger Strategiepapiere wie der Common Country Analysis oder des UN Sustainable Development Cooperation Framework hat, die der UN-Arbeit in einem Land zugrunde liegen. Die Idee war aber darüber hinaus, dass der Resident Coordinator wirklich entscheiden und Zielkonflikte lösen kann, auch während der Implementierung. Das haben wir so nicht gesehen. Es ist teilweise immer noch so, dass die Organisationen ihre Prioritäten verfolgen und daraus dann ein gemeinsames Programm entsteht, das etwas schwammig ist.
Weinlich: Was aber besser geworden ist: Allen UN-Organisationen ist nun klar, dass sie nicht mehr wie früher bilaterale Vereinbarungen mit Gebern oder mit den Gastregierungen außerhalb des gemeinsam vereinbarten Rahmens treffen sollen. Früher war es oft schwierig, einen genauen Überblick über alle UN-Aktivitäten in einem Land zu bekommen. 

Ist das der Zweck der Common Country Analysis und des UN Sustainable Development Cooperation Framework?
Weinlich: Ja, wobei es gemeinsame Strategiedokumente natürlich auch schon vor der Reform gab. Neu ist, dass sie jetzt von den im Land tätigen UN-Organisationen und den Gebern ernster genommen werden müssen und sich stärker an den Prioritäten der Gastregierungen ausrichten. Alle sollen an einem Strang ziehen, es geht nicht nur um eine bessere Koordination der UN-Organisationen. Allerdings sind die Cooperation Frameworks auch politische Dokumente, da sie von der Gastregierung unterschrieben werden.

Verändert die Reform die Entwicklungsarbeit der UN auch inhaltlich?
Baumann: Der Impuls für die Reform kommt aus der Agenda 2030 und den UN-Nachhaltigkeitszielen, kurz SDGs. Es soll nicht mehr nur um punktuelle Probleme gehen, sondern um strukturelle Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Entsprechend kohärenter und strategischer müssen die UN in einem Land arbeiten. Sie müssen berücksichtigen, wie die einzelnen SDGs miteinander zusammenhängen, und sie müssen die Ziele integriert angehen. Da gibt es allerdings noch erhebliche Defizite. In unseren Gesprächen hatten wir immer wieder den Eindruck, es gibt kein gemeinsames Verständnis davon, was SDG-Integration in der Praxis heißen soll. Das erschwert es, gemeinsam voranzukommen. Hinzu kommt, dass die Nachhaltigkeitsziele ein starkes menschenrechtliches Fundament haben. Entsprechend bestand die Erwartung, dass die Reform hilft, diesen normativen Aspekt in der UN-Entwicklungsarbeit voranzubringen. Da ist unser Befund zwiespältig: Es gibt Hinweise darauf, dass die Resident Coordinators hinter den Kulissen in diesem Sinne auf Regierungen einwirken können. Andererseits müssen die Vereinten Nationen immer aufpassen, bei politisch heiklen Themen wie etwa Menschenrechten oder Korruption ihre Grenzen nicht zu überschreiten. 

Wie soll das integrierte Bearbeiten der Nachhaltigkeitsziele in der Praxis aussehen? Geht es um eine Art permanenten Nachhaltigkeitscheck der UN-Arbeit?
Weinlich: Ja, es geht darum, dass etwa das UN-Umweltprogramm nicht mehr nur schaut, was sein Mandat ist und was es der Gastregierung anbieten kann, sondern das UN-Länderteam fragt: Was braucht das Land von uns, welches sind die wichtigsten Themen, um die SDGs zu erreichen? Wie können wir unsere Kräfte bündeln und Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit angehen? Das ist schon deshalb nicht leicht, weil die Regierungen oft selbst nicht eindeutig definieren, was ihre Prioritäten bei den SDGs sein sollen. 
Baumann: Ein weiteres inhaltliches Ziel der Reform ist in diesem Zusammenhang, dass die UN stärker auf der Policy-Ebene wirken. Um Wirkung zu erzielen, müssen sie stärker Wissen generieren, unter anderem in Partnerschaften mit den richtigen Institutionen, um Regierungen eine vernünftige Politikberatung anbieten zu können. 

Wie offen sind die einzelnen UN-Organisationen für die Reform? Machen sie mit?
Weinlich: Auf der einen Seite gibt es große Bereitschaft, auf der anderen Seite haben uns Gesprächspartner darauf hingewiesen, wie schwierig die Umsetzung ist, weil das UN-Entwicklungssystem eben so fragmentiert ist. Die Strukturen sorgen immer noch dafür, dass einzelne Organisationen wie UNICEF oder das UNDP eher an sich selbst denken und die Zugehörigkeit zum großen Ganzen dem untergeordnet wird. Unterschiede gibt es auch zwischen den Hauptquartieren in New York, wo die Reformbereitschaft sehr groß ist, und den Belegschaften in den Ländern. Der Sinn und Zweck der Reform ist noch nicht auf allen Ebenen angekommen. 

Wie hat sich die Rolle des UNDP verändert, da es jetzt nicht mehr für die Koordination der UN-Entwicklungsarbeit zuständig ist? 
Baumann: Für das UNDP ist es eine Chance, sich stärker auf seine eigene Arbeit zu konzentrieren. Andere UN-Organisationen haben ihm früher vorgeworfen, nicht neutral zu koordinieren, sondern vor allem als Wettbewerber aufzutreten. Die koordinierende Rolle sind sie jetzt zwar los, aber unser Eindruck ist, dass die Beziehungen des UNDP zu den neuen Resident Coordinators zwiespältig ist. Zum einen wird in den UN-Länderteams anerkannt, dass das UNDP für die UN-Arbeit weiterhin sehr wichtig ist, etwa weil es viele Kapazitäten, Expertise und Kontakte hat – und das Mandat für die SDG-Integration, wie das UNDP gerne selbst betont. Zum anderen gibt es weiterhin ein gewisses Misstrauen gegen das UNDP, das Gefühl, dass es seine Fähigkeiten nicht aktiv zugunsten der Reformziele einbringt. Wenn das UNDP und der Resident Coordinator nicht gut zusammenarbeiten, dann ist das ein Problem.
Weinlich: Das UNDP trägt über ein Gebührensystem wie alle anderen UN-Organisationen zur Finanzierung der neuen Resident Coordinators bei, und da es sehr groß und in vielen Ländern aktiv ist, zahlt es einen nicht unerheblichen Anteil. Da fällt das Kosten-Nutzen-Kalkül mit Blick auf die Reform unterm Strich wahrscheinlich weniger positiv aus als bei kleineren UN-Organisationen. 
Baumann: Das gilt so auch für andere große Organisationen wie UNICEF oder das Welternährungsprogramm WFP. Sie sehen die Reform schneller als Risiko, weil sie um ihre Autonomie und Sichtbarkeit fürchten. Kleinere UN-Organisationen sehen die Reform eher als Chance, weil sie mehr Einfluss und eventuell auch Zugang zu mehr Ressourcen bekommen.

Unterstützen die Regierungen der Länder, in denen die UN tätig sind, die Reform?
Weinlich: Aktiver Widerstand ist selten. Eine Schwierigkeit ist aber, dass auch sie ihre Zusammenarbeit mit den UN-Organisationen ändern müssen. Wenn es etwa starke gewachsene Beziehungen zwischen dem Arbeitsministerium und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO gibt, dann muss jetzt noch eine Arbeitsebene mit dem Resident Coordinator eingezogen werden. Das ist nicht einfach. 
Baumann: Wenn die Regierungen von den UN Koordination einfordern, dann ist es für die UN-Organisationen einfacher, ihre Arbeit im Sinne der Reform untereinander abzustimmen. Die Regierungen können das also nutzen, die UN zu einer besser integrierten Arbeit zu motivieren. Wenn Regierungen das nicht vorantreiben oder sogar verhindern, dann laufen die UN auf. 

Welche Rolle spielen die Geberländer, um die Reform erfolgreich zu machen?
Weinlich: Den Stellenwert kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Die Art der Finanzierung bringt die UN zusammen oder treibt sie auseinander. Im UN-Hauptquartier in New York sprechen sich die Geber für die Reform aus. Die Schwierigkeit besteht da­rin, das auch zu Hause in allen Ministerien und auf allen Posten im Ausland zu verankern. Viele Geber, auch Deutschland, vergeben ihre Mittel für Entwicklungszusammenarbeit weiterhin auf Länder­ebene an einzelne UN-Organisationen und schüren dadurch Konkurrenz unter diesen. Häufig sind die Mittel außerdem noch für bestimmte Themen und Vorhaben zweckgebunden. Es hat sich noch nicht durchgesetzt, Absprachen über die Finanzierung mit dem Resident Coordinator zu treffen und die kollektive Arbeit der UN in einem Land zu finanzieren. 

Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Weinlich: Berlin hat die Reform des UN-Entwicklungssystems immer unterstützt und war gerade zu Corona-Zeiten ein äußerst großzügiger Geber. Gut wäre, wenn die Entwicklungszusammenarbeit der UN und die Reform derselben als Teil einer breiteren Strategie zur Stärkung des Multilateralismus verstanden und nicht ausschließlich aus Sicht eines Teilbereichs wie der Entwicklungs-, Umwelt- oder Friedenspolitik betrachtet würde. In diesem Sinne wünschen wir uns ein schlagkräftigeres und in der Bundesregierung besser abgestimmtes Auftreten gegenüber den UN. Da sind viele Ministerien beteiligt und die Absprachen untereinander lassen sich zweifellos noch verbessern. Die neue Regierung sollte Strukturen schaffen, die das möglich machen. Das würde nicht zuletzt bedeuten, eine ausgewogenere Finanzierung anzustreben, in dem Mittel zu den Kernbudgets und gemeinsamen Fonds mehrerer Geber mehr Gewicht gegenüber eng zweckgebundenen Mitteln bekommen.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2022: Riskante Geschäfte mit der Chemie
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