Falsche Rezepte für den Sahel

picture alliance/dpa/MAXPPP/Speich Frédéric
Ein französischer Soldat versucht in Menaka in Mali Kontakt mit Einheimischen aufzunehmen. Beim Kampf gegen Terrorismus muss man lokale Gegebenheiten viel ernster nehmen.
Sahel-Zone
Europa und die USA bemühen sich seit Jahren darum, die Sicherheitslage im Sahel zu verbessern. Das ist gescheitert, weil sie zu wenig versuchen, die lokalen Verhältnisse zu verstehen, meint Vladimir Antwi-Danso aus Accra, Ghana.

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Die Sahelzone ist zu einem Synonym für Instabilität geworden. Die Regierungen der fünf Sahelländer Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und Niger haben Mühe, riesige entlegene Gebiete unter Kontrolle zu bringen, durch die historische Verbindungswege zwischen dem subsaharischen Afrika und dem Maghreb verlaufen. Die Probleme haben sich durch die Ansammlung zahlreicher terroristischer Gruppen in diesem Gebiet noch verschärft, was die Region zur unsichersten in Afrika macht.

Das hat die Europäische Union (EU), Frankreich und die USA veranlasst, in der Sahelzone zu intervenieren mit dem Ziel, Sicherheit zu gewährleisten. Diese Programme haben leider bisher wenig Erfolg. Die EU hat sich dabei auf nicht militärische Ansätze konzentriert, um zu Entwicklung und guter Regierungsführung beizutragen; dagegen haben die USA und insbesondere Frankreich militärische und andere Ansätze kombiniert, um in erster Linie dem gewalttätigen Extremismus oder Terrorismus Einhalt zu gebieten sowie um Regierungsführung und Entwicklung zu unterstützen.

Nötig ist ein besseres Verständnis der sozio-historischen und kulturellen Besonderheiten

Anzeichen für das Scheitern der Strategie in der Sahelzone sind die Zunahme der terroristischen Akte in jüngster Zeit sowie die aufeinanderfolgenden Staatsstreiche in Mali, Guinea und Burkina Faso – ganz zu schweigen von den Spannungen zwischen den Regierungen Malis und Frankreichs. Es ist klar, dass sowohl die militärischen als auch die nicht militärischen Maßnahmen am ehesten kurzfristige taktische Erfolge bringen, aber nicht langfristige und strategische. Daher ist es erforderlich, das ausländische Engagement in der Sahelzone insgesamt zu überdenken.

Autor

Vladimir Antwi-Danso

ist Dekan und akademischer Direktor am Ghana Armed Forces Command and Staff College in Accra, an dem Offiziere aus Ghana und anderen afrikanischen Ländern ausgebildet werden.
Ich schlage ein Engagement vor, das die ausländische Unterstützung und Einwirkung zur sowohl militärischen wie nicht militärischen Bekämpfung des Terrorismus in der Sahelzone fortsetzt, sie aber verbindet mit einem besseren Verständnis der sozio-historischen und kulturellen Besonderheiten der Region. Ein grundlegendes Problem, das meist übersehen oder nicht ernstgenommen wird, ist der Mangel an politischer Kohärenz und dass die Politik nicht den Gegebenheiten vor Ort entspricht. Das ist die größte ungelöste Aufgabe bei ausländischen Interventionen in der Sahelzone.

Europas Zusammenarbeit mit undemokratischen Regimen

Zum Beispiel haben die EU und Frankreich immer wieder auf die Zusammenarbeit mit undemokratischen Regimen zurückgegriffen, deren Bereitschaft, sich an der Terrorismusbekämpfung zu beteiligen, oft minimal war – oft haben sie die Hilfe der EU oder Frankreichs für persönliche Zwecke oder zur Regimeerhaltung genutzt. Damit haben sie ihre Bürgerinnen und Bürger oft zu genau denjenigen Gruppen getrieben, die sie eigentlich bekämpfen wollten. Gleichzeitig können Gruppen, die mit Terrororganisationen wie Al-Qaida oder dem Islamischen Staat in Verbindung stehen, auf geheime Absprachen zwischen den USA, der EU oder Frankreich mit repressiven Regierungen verweisen, um so sich selbst zu rechtfertigen und Bürgerinnen und Bürger zu rekrutieren.

Obwohl die EU und Frankreich sich sehr bemühen, es zu vermeiden, haben Operationen zur Terrorismusbekämpfung manchmal zu Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt. Das gibt der antiimperialistischen Erzählungen der mit Al-Qaida und dem Islamischen Staat verbundenen Dschihadistengruppen Auftrieb. Und da meist die Armeen der Sahelstaaten beteiligt sind, ziehen sie den Hass und den Zorn der Bürger auf sich, die islamistische Gruppen eher als Kameraden und Retter denn als Feinde ansehen.

Afrikanische Dschihadisten als lokale Politiker

Wie kommt das? Das Standardrezept der EU und Frankreichs für die Eindämmung der Terrorgruppen in der Sahelzone hat bisher darin bestanden, die afrikanischen Staaten zu ermächtigen, ihre Kontrolle über die ländlichen Randgebiete ihrer Länder zu verstärken. Leider verschärft das die Spannungen zwischen Zentrum und Peripherie. Dieser Ansatz macht es unmöglich, afrikanische Dschihadisten schlicht als lokale Politiker und Mittler im Machtgerangel zu verstehen, denen es gelungen ist, den Dschihad-Diskurs zu nutzen, um den Unmut von Bürgern gegenüber autoritären und ihre Macht missbrauchenden afrikanischen Staaten zu artikulieren. Der Fokus auf die Verbindungen der aufständischen Gruppen zu Al-Qaida oder dem Islamischen Staat kann dazu führen, dass lokale Missstände und die Gründe für den Rückhalt dieser Gruppen in den lokalen Gemeinschaften übersehen werden.

Die nicht militärischen Schritte zur Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage haben wenig Anklang gefunden, weil dabei lokale soziokulturelle und historische Besonderheiten außer Acht gelassen wurden. Europas ethnozentrische Ansätze an Fragen der Demokratie und der verantwortlichen Staatsführung tragen nur dazu bei, deren Anziehungskraft zu verringern; das hilft direkt oder indirekt, die Attraktivität von Gruppen, die Al-Qaida oder dem Islamischen Staat nahestehen, für die afrikanische Bevölkerung zu erhöhen. Leider also hat das Engagement der EU, Frankreichs und der USA in der Terrorismusbekämpfung in der Sahelzone die Probleme, die das angehen soll, wohl noch verschärft.

Mali galt einst als Leuchtturm der Demokratie in Afrika

Unzweifelhaft ist das grundlegende Verständnis Europas von Terrorismusbekämpfung in Afrika und insbesondere in der Sahelzone mangelhaft. Es ist festzuhalten, dass das Zentrum des Terrorismus in Afrika in Westafrika liegt. Eine falsche Deutung würde zu mehr Unsicherheit in ganz Afrika führen.

Auch die jüngste Flut von Staatsstreichen in Westafrika sollte nicht falsch interpretiert werden. Seit 2012 wurde dreimal in Mali und je einmal in Guinea und Burkina Faso geputscht. Die Welt trauerte und sprach von einem Rückschlag für Demokratie in Afrika. Hier muss daran erinnert werden, dass Mali einst als neuer Leuchtturm der Demokratie in Afrika gepriesen wurde. Ungelöste historische Probleme in Mali sowie die Folgen des Sturzes des Gaddafi-Regimes in Libyen haben den Putsch in Mali im Jahr 2012 ausgelöst. Die französische Intervention hat damals dazu beigetragen zu verhindern, dass militante Tuareg das ganze Land übernahmen. Die Pattsituation danach schuf einen fruchtbaren Boden für verschiedene Dschihadistengruppen in mehreren Teilen des Landes.

Das Militär als einziger Akteur, der Stabilität schaffen kann

Die beiden anderen Staatsstreiche in Mali, 2021 und 2022, und die in Guinea und Burkina Faso haben gemeinsam, dass sie keine traditionellen konspirativen Putsche waren – eine Junta oder ein starker Mann greift nach der Macht –, sondern sie waren systemischer Natur. In allen drei Ländern lag eindeutig Staatsversagen vor. Alle möglichen Auswirkungen auf die Sicherheit waren denkbar, wenn die jeweiligen Armeen nicht eingegriffen hätten. Das Militär war stets die einzige Institution, die in der Lage war, ein gewisses Maß an Stabilität zu schaffen, und es hat sich der Situation gewachsen gezeigt.

Der heikle Punkt sind nun die Übergangsprozesse. Die westafrikanische Regionalorganisation ECOWAS hat die drei Länder suspendiert und mit Sanktionen belegt; nun ist der Übergangsprozess die Streitfrage. Die ECOWAS drängt die malische Militärregierung, schnell zu einer zivilen Regierung überzugehen, aber hat dafür einen Zeitplan von fünf Jahren erstellt. Es stellt sich die Frage: Stoppt ein Urnengang die Geschosse? Kann eine schnelle Rückkehr zu einer zivilen Regierung die grundlegenden Probleme beheben, die zu dem Staatsstreich geführt haben?

Aus dem Englischen von Luise Sonntag. 

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erschienen in Ausgabe 6 / 2022: Afrika schaut auf Europa
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