In Peru werden alte Kartoffelsorten neu entdeckt
Von Knut Henkel
Die Anden gelten als Wiege der Kartoffel. Dort wird sie seit rund 8000 Jahren angebaut. Aus Peru stammen auch viele der Sorten, die im Internationalen Kartoffelinstitut (CIP) in Lima lagern. Die Wissenschaftler wollen die Artenvielfalt erhalten und unterstützen die Kleinbauern der Region mit Saatgut.
Das satte Gelb des Kartoffelpürees auf den hübsch dekorierten Tellern im Restaurant „Tantra“ sticht ins Auge. „Frisch zubereitet aus gelben Kartoffeln aus Huancayo, eine peruanische Spezialität“, erklärt der Kellner in dem feinen Restaurant in Limas Stadtteil Miraflores. In der gehobenen Gastronomie werden die so genannten papas nativas, die traditionellen Landsorten, immer beliebter. Sie kommen in vielen verschiedenen Farben auf den Tisch.
„Etwa 3000 Sorten gibt es im Hochland der Anden“, schätzt David Tay, Wissenschaftler am Internationalen Kartoffelinstitut (CIP) in Lima. „Die Puma maki, die Pumakralle, ist eine der beliebtesten.“ Die längliche bräunlich-schwarze Kartoffel weist vier tiefe Furchen auf, ihre Form erinnert an die Pranke eines Raubtiers. Die Nachfrage nach den ausgefallenen Feldfrüchten steigt nicht nur bei den exquisiten Restaurants. Auch die peruanische Mittelschicht hat die ungewöhnlichen Sorten aus den Kartoffelregionen von Huancayo und Cusco für sich entdeckt.
Seit drei Jahren wird in der größten Supermarktkette des Landes die farbenfrohe Mischung der papas nativas im Beutel zu 3,25 Soles pro Kilo, umgerechnet etwa 80 Euro-Cent, angeboten. „Die Nachfrage ist da, aber leider können wir sie nicht immer decken“, sagt Miguel Lau, der für den Einkauf zuständig ist. „Vor allem zwischen Januar und Mai ist das Angebot dünn.“ Denn bislang werden die Kartoffeln nur auf kleinen Flächen angebaut, zudem fehlen Lagermöglichkeiten. „Einige Bauern bauen bis zu 50 verschiedene Sorten an. Ihre Felder liegen in der Regel mehr als 3500 Meter über dem Meeresspiegel“, erklärt David Tay. Die widerstandsfähigen Pflanzen sind perfekt an die kargen Bedingungen in den Anden angepasst. Tay und seine Kollegen sind derzeit dabei, den Bauern neue Vermarktungsstrategien zu vermitteln.
Bei Bedarf liefern sie auch Saatgut aus dem Institut, um die Kartoffelvielfalt im Hochland zu erhalten. Dieser Bedarf wird eingeklagt: Vor sieben Jahren tauchte eine Delegation des Kartoffelparks von Cusco vor dem Institut in Limas Stadtteil La Molina auf und bat um Einlass. „Wir waren gekommen, um unsere Kartoffeln zurückzuholen“, erzählt Alejandro Argumedo und schmunzelt. Der Direktor der nichtstaatlichen Organisation Andes kam mit Vertretern von sechs indigenen Gemeinden und lief offene Türen ein. „Es ist Teil unserer Arbeit und unseres Auftrags, Bauern mit Saatgut zu beliefern“, erklärt David Tay.
Den Kartoffelpark haben die Bauern 1998 in der Nähe von Cusco gegründet. „Unser Ziel ist es, dort alle andinen Kartoffelsorten anzubauen,“ sagt der traditionell gekleidete Kartoffelbauer Anatoli Castañeda. Bis 2020 sollen auf den kollektiv bewirtschafteten Flächen alle etwa 3000 in der Region heimischen Landsorten der papas nativas wachsen. So soll eine Samenbank entstehen, parallel zu derjenigen, die im CIP in einer Kühlkammer auf meterlangen Regalen in Reagenzgläsern untergebracht ist.
Die Kartoffeltechniker des Parks, der auch Touristen offen steht, haben zudem in den angrenzenden Gemeinden nach unbekannten Sorten gefahndet, sie analysiert, fotografiert und im Computer erfasst. „Um die 1300 Sorten sind mittlerweile dokumentiert“, sagt Alejandro Sulca. Regelmäßig trifft der Kartoffeltechniker mit dem farbenfrohen Poncho seine Kollegen im Zentrum des 12.000 Quadratmeter großen Parks. Hier koordinieren sie ihre Arbeit.
Auch die Wissenschaftler vom CIP schauen regemäßig im Zentrum vorbei. Die enge Kooperation wird von beiden Seiten geschätzt. „Traditionelles indigenes Wissen und moderne Forschung ergänzen sich, davon können künftige Generationen nur profitieren“, sagt Justino Yuccra, Kartoffeltechniker der Gemeinde Cuello Largo. Diese Einschätzung teilt auch Albertos Salas, Spezialist für die aus den Anden stammende Urkartoffel. Seit rund 8000 Jahren wird sie dort angebaut. Die spanischen Eroberer brachten sie vor allem wegen ihrer Blütenpracht als Zierpflanze nach Europa. Erst im 19. Jahrhundert wurde sie dann großflächig als Nahrungspflanze angebaut.
„Die detaillierte Erforschung der Wildpflanzen liefert wertvolle Erkenntnisse für die Bekämpfung von Krankheiten, die moderne, durch Züchtung modifizierte Sorten aufweisen“, sagt Salas, der gemeinsam mit Wissenschaftlern aus 25 Nationen am CIP arbeitet. Kartoffelfäule ist bis heute eine der verbreiteten Pilzerkrankungen: Neue Kartoffelsorten, die gegen die heute bekannten Stämme des Pilzes resistent sind, wurden am CIP entwickelt. „Ohne den Rückgriff auf die Wildsorten, wäre das kaum möglich gewesen“, erklärt Salas.
Armutsbekämpfung und Ernährungssicherheit sind die übergeordneten Ziele des Institutes. Die Wissenschaftler setzen sich dafür ein, dass die nährstoffhaltigen Kartoffeln zunehmend auch in Entwicklungsländern angebaut werden. Während in den 1960er Jahren nur rund zehn Prozent der Kartoffelproduktion aus Entwicklungsländern stammte, sind es heute über 30 Prozent – Tendenz steigend. Um durchschnittlich drei Prozent haben sich die Erträge in den vergangenen Jahren erhöht. Das ist mit ein Verdienst des CIP, denn am Institut wurden Kartoffelsorten mit kurzen Wachstumszeiten entwickelt, die eine zusätzliche Ernte ermöglichen.
Auch im andinen Hochland spielen neue Sorten für die Bauern eine wichtige Rolle. Pallyponcho und Pukalliclla heißen zwei Saatkartoffeln, die vom CIP vor einigen Monaten vorgestellt wurden und deutlich resistenter gegen die Krautfäule sind. Die Sorten wurden speziell für die Bauern in den Anden gezüchtet, um die Erträge zu steigern. Das stößt nicht überall auf Zustimmung, denn die Sorten wurden gentechnisch modifiziert. Der Kartoffelpark in der Nähe von Cusco hat sich beispielsweise zur gentechnikfreien Zone erklärt, in der ausschließlich organisch angebaut wird.
„Wir haben schlechte Erfahrungen mit industriellem Saatgut gemacht, waren kaum in der Lage, Dünge- und Pflanzenschutzmittel zu finanzieren und greifen jetzt ausschließlich auf unsere alten Sorten zurück“, berichtet Kartoffeltechniker Alejandro Sulca. Dabei wird genau darauf geachtet, welche Pflanzen unter welchen Bedingungen gute Erträge bringen. Informationen, die angesichts der spürbaren Auswirkungen des Klimawandels in den Anden auch für das Kartoffelinstitut in Lima wertvoll sind. Das unterhält nicht nur enge Kontakte zum Kartoffelpark sondern auch nach Huancayo, der zweiten wichtigen Kartoffelregion des Landes.
Dort betreibt das Institut eine Versuchsstation, in der ebenfalls direkt mit den Bauern zusammengearbeitet und geforscht wird. Zudem unterstützen die Wissenschaftler den Aufbau lokaler Samenbanken in den Gemeinden. „So kann man das Erbgut der Kartoffel sichern“, erklärt William Roca. Der Vorgänger von David Tay hat sich für den „Nationalen Tag der Kartoffel“ stark gemacht, um auf mehr Akzeptanz für die Kartoffel in ihrem Heimatland hinzuwirken. Seit 2004 wird der Feiertag am 30. Mai begangen. Die Wiederentdeckung der papas nativas ist damit eng verbunden. „Sie haben Potential, denn sie lassen sich nicht nur als Püree gut verkaufen“, sagt André Devaux vom Internationalen Kartoffelinstitut CIP. Bunte Kartoffelchips hat er bereits entwickelt. Über deren Vertrieb verhandelt er jetzt mit verschiedenen Unternehmen.
Knut Henkel ist freier Journalist in Hamburg.
welt-sichten 8-2008