Mit der Nominierung der Politikerin Reem Alabali-Radovan zur neuen Entwicklungsministerin hat die SPD-Parteiführung für eine Überraschung gesorgt. Die bisherige Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration ist mit 35 Jahren das jüngste Mitglied im Kabinett von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Bis zuletzt waren die bisherige Ministerin Svenja Schulze und die SPD-Co-Chefin Saskia Esken für den Posten gehandelt worden. Entwicklungspolitisch bringt Alabali-Radovan wenig Erfahrung mit, doch sie kann mit Expertise in der Migrationspolitik punkten.
Der Wechsel an der Spitze des Entwicklungsministeriums (BMZ) kommt zu einem schwierigen Zeitpunkt. Laut Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot sollen Mittel gekürzt und das Politikfeld grundlegend verändert werden. Zugleich streichen vor allem die USA, aber auch andere europäische Staaten Entwicklungsprojekte zusammen, was den Erwartungsdruck auf Deutschland erhöht, einige der entstehenden Lücken zu füllen.
Das stellt die neue BMZ-Leitung vor die Aufgabe, mit einem kleineren Budget die internationalen Verpflichtungen neu zu ordnen. Die frühere Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hatte zuletzt zu verstehen gegeben, dass Deutschland die von der Regierung Trump gerissenen Löcher nicht stopfen könne. Doch intern haben entsprechende Überlegungen längst begonnen. „Das BMZ ist dabei, die Folgen des US-Rückzugs in den Partnerländern zu analysieren und zu prüfen, inwieweit Priorisierungen und Umschichtungen möglich und sinnvoll sind“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage.
Folgen des USAID-Rückzugs
Bisher haben die USA etwa 30 Prozent der weltweiten Entwicklungsleistungen getragen; im Jahr 2023 haben sie 65 Milliarden US-Dollar öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) geleistet. Laut Außenminister Marco Rubio streicht Washington 83 Prozent oder 5200 der 6200 Programme der Entwicklungsbehörde USAID, die mehr als 10.000 Beschäftigte zählte und sich nun in Auflösung befindet. Am härtesten trifft der Schritt nach Analysen von GlobalAidFreeze und Donortracker internationale und nationale nichtstaatliche Organisationen in den Bereichen Gesundheit, Regierungsführung, Geschlechtergerechtigkeit, Klimaschutz und Menschenrechte.
Andere traditionell große Geber wie Großbritannien oder Frankreich kürzen ihre Entwicklungshilfe zugunsten von Wirtschafts- und Rüstungsausgaben. London will die Hilfe bis 2027 um 40 Prozent auf 0,3 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückfahren. Deutschland erreichte 2024 eine Quote von 0,67 Prozent, die ebenfalls sinken soll.
Wo könnte die Bundesregierung für bestimmte Länder oder Sektoren Schwerpunkte verschieben oder Mittel zugunsten der verwundbarsten Gruppen umwidmen? Eine Gelegenheit für mögliche Allianzen mit anderen Geberstaaten bietet Anfang Juni die nächste Hamburg Sustainability Conference des BMZ zu den UN-Nachhaltigkeitszielen. Die EU-Kommission sondiert in der Zwischenzeit, ob EU-Mitgliedstaaten Mittel innerhalb ihres Entwicklungsbudgets umschichten könnten, heißt es in Berlin – etwa in der Flüchtlingshilfe.
Hilfe für die Ukraine wird umgewidmet
Mit Blick auf die Ukraine hat das BMZ bereits reagiert: Beim ersten Treffen der Ukraine-Unterstützergruppe seit dem weitgehenden Stopp der entwicklungspolitischen Hilfe aus den USA haben Deutschland und die EU im April in Kyjiw verkündet, 100 Millionen Euro nicht wie geplant in die Modernisierung des ukrainischen Stromnetzes, sondern auf Bitten des Netzbetreibers in dringend benötigte Reparaturen von Umspannwerken zu investieren, nachdem die dafür eingeplanten US-Mittel kurzfristig ausgeblieben seien. Die wichtigen Knotenpunkte werden häufig gezielt von Russland zerstört.
Auch am Rande der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank Ende April in Washington war zumindest informell der Frontalangriff der Trump-Regierung auf die multilaterale Zusammenarbeit beherrschendes Thema. In Gefahr gerät etwa die von Deutschland mit vorangetriebene Reform der Weltbank, im Kampf gegen Armut verstärkt auch globale öffentliche Güter wie das Klima, die Umwelt sowie Frieden und Sicherheit zu schützen. Die USA wollen diesen Kurswechsel stoppen. Daher trommelte Svenja Schulze als zu dieser Zeit noch amtierende deutsche Weltbank-Gouverneurin zur Gegenwehr: Es komme nun auf die Mitgliedsstaaten an, errungene Fortschritte zu verteidigen, erklärte sie öffentlich.
Beobachter berichten, Schulzes Botschaft wurde bei der Tagung gehört. Nicht zuletzt erwarten viele ärmere Länder nun mehr Geld für den Klimaschutz, nachdem sie den Reformkurs der Weltbank unterstützt haben. Die Organisation Germanwatch appelliert an die neue Bundesregierung, sich ebenso wie die alte Regierung sattelfest zu zeigen. „Die neue Bundesregierung muss sich zu Beginn ihrer Amtszeit damit beschäftigen, wie sie wirkungsvolle Reformkoalitionen unterstützen kann“, fordert David Ryfisch, Germanwatch-Bereichsleiter für zukunftsfähige Finanzflüsse. Deutschland und die EU müssten außerdem afrikanischen Partnerländern ernsthafte Angebote für eine grüne Industrialisierung machen.
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