Fehlstart in Mogadischu

Farah Abdi Warsameh/AP/picture alliance
Somalias neuer Präsident Hassan Sheikh ­Mohamud (Mitte) mit zweien seiner Vorgänger bei seiner Amts­ein­führung im Juni 2022.
Somalia
Somalias neuer Präsident Hassan Sheikh Mohamud hat eine Regierung für alle versprochen. Er praktiziert aber das Gegenteil, heizt Konflikte in Somalia an und zieht die Nachbarstaaten weiter hinein.

Mitte Mai 2022 hat das Parlament in Somalia endlich einen neuen Präsidenten gewählt. Das war seit Februar 2021 mehrfach verschoben worden, weil erst im April – statt wie vorgesehen im Dezember 2021 – die Parlamentswahl abgeschlossen werden konnte. Die Abgeordneten hatten zwischen Dutzenden Kandidaten zu entscheiden und wählten am Ende eines langen Tages Hassan Sheikh Mohamud. Er ist allerdings kein neues Gesicht, stand er doch schon von September 2012 bis Februar 2017 an der Spitze des Staates.

Hassan Sheikh Mohamud ist mit dem Versprechen angetreten, eine alle einschließende Politik zu verfolgen, wie sie gerade Somalia bitter nötig hat. Er wollte eine Regierung der nationalen Einheit bilden, die alle politischen Gruppierungen des Landes ins Boot holen sollte. Zu den Hauptgründen der Instabilität Somalias gehört die politische Kultur, dass sich die Sieger stets die ganze Macht nehmen wollen; das stößt die Verlierer vor den Kopf, so dass sie das Regieren nach Möglichkeit behindern. Der Slogan von Mohamud war dagegen „Für ein Somalia, das im Frieden mit sich selbst und dem Rest der Welt ist“. 

Allerdings haben seine ersten innen- und außenpolitischen Schritte wenig dazu beigetragen, das Land auf den Pfad einer stabilen Regierung zu führen. Die meisten (wenn nicht alle) Mitglieder seines neuen Kabinetts stammen aus dem Kreis seiner engsten Gefolgsleute. Das hat für erheblichen Unmut in der politischen Klasse des Landes gesorgt – es hieß, es werde wieder einmal eine Regierung der Wenigen für die Wenigen gebildet.

Krieg statt Frieden und Versöhnung

Der neue Präsident hat sich auch umgehend den Zorn der Vertreter der abtrünnigen autonomen Region Somaliland im Norden zugezogen: Er hat kategorisch erklärt, einer Abspaltung nicht zuzustimmen. Und statt Frieden und Versöhnung unter der somalischen Bevölkerung zu fördern, hat er sofort einen rückhaltlosen Krieg gegen die Aufständischen der islamistischen Al-Shabaab ausgerufen. Er betrachtet diese als ausländischen Aggressor, nicht als somalische Gruppierung. Dies unterläuft die Bemühungen von Clan-Ältesten der Somali, sich mit Al-Shabaab friedlich zu verständigen und so einen Hauptkonfliktherd in Somalia beizulegen.

In größeren Städten – hier ein Markt in der Hafenstadt Hargeysa im März 2020 – kann man ein fast normales Leben führen.

Zudem hat Hassan Sheikh Mohamud die Präsidenten der Bundesstaaten weder bei der Auswahl seines Premierministers einbezogen noch bei der Zusammenstellung seines Kabinetts. Viele dieser Präsidenten hatten Mohamud bei der Wahl nicht unterstützt. Die fünf Bundesstaaten (ohne das de facto selbstständige Somaliland) sind seit 2016 politisch bedeutsam: Damals hat ihnen Hassan Sheikh während seiner ersten Amtszeit das Recht zugestanden, die Mitglieder der zweiten Parlamentskammer, des Bundessenats, zu bestimmen. 

Krieg und Dürre bringen Hunger

Somalia erlebt zurzeit die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Während in einigen Gebieten seit mehreren Jahren kein Regen gefallen ist, kam es in anderen, beispielsweise am Shabelle-Fluss im ...

Die Folge ist ein ständiges Ringen mit der Zentralregierung. Die Präsidenten der Bundesstaaten verweigerten 2022 als Reaktion auf ihre politische Ausgrenzung jede Zusammenarbeit mit Mohamud in Sicherheitsfragen und anderen entscheidenden Belangen. Einige suchten sogar in Äthiopien Unterstützung gegen den neuen Präsidenten und seine Regierung – so Abdiaziz Laftagareen, der Präsident von Südwestsomalia. Er besuchte das Nachbarland im August 2022 und erhielt kurz darauf von dort eine Waffenlieferung.

Enge Verbindungen zur Volksbefreiungsfront von Tigray

Durch die neuerliche Intervention der Nachbarstaaten Äthiopien und Kenia (mit Waffenlieferungen und diplomatischer Unterstützung) drohen sich die inneren Konflikte in Somalia noch zu verschärfen. Kurz nach seinem Amtsantritt hat Hassan Sheikh Mohamud Dschibuti, Kenia, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Uganda besucht, aber Äthiopien übergangen. Denn der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed hat seinem Rivalen Farmajo nahegestanden, während Dschibuti und Kenia insgeheim Mohamud im Wahlkampf unterstützt hatten. In den Jahren zuvor war Äthiopien dank Farmajos gutem Draht zu Addis Abeba der wichtigste Schlichter von politischem Gerangel in Somalia gewesen.

Autor

Mohamed Haji Ingiriis

ist Gastprofessor am African Leadership Centre des King’s College in London.
Mohamud unterhielt dagegen enge Verbindungen zur Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), die bis zum Amtsantritt von Abiy Ahmed 2018 die Regierung Äthiopiens dominiert hatte, in der Provinz Tigray verankert ist und heute im Krieg mit Abiys Regierung steht. Seine Beziehungen zur TPLF waren so eng, dass Mohamud im August 2016 sogar zum Parteitag der Volksbefreiungsfront in Mek’ele eingeladen wurde, der Hauptstadt der äthiopischen Provinz Tigray. Begleitet wurde er von seinem damaligen Staatsminister und derzeitigen Spionagechef, der zu seinem engsten Zirkel gehört.

Nach Konsultationen mit der Staatsführung in Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kairo und Abu Dhabi mied Mohamud weiter jeden offiziellen Kontakt mit Äthiopien unter Abiy Ahmed. Ägypten liegt im Streit mit Äthiopien über das Wasser des Nil, seit Äthiopien ihn mit der großen Talsperre Grand Ethiopian Renaissance aufstauen will. Kairo betrachtet das Projekt als Provokation und sucht nach politischen Verbündeten, um die weitere Füllung des Stausees zu stoppen. Zusammen mit anderen arabischen Ländern ist es Ägypten gelungen, mit Hassan Sheikh Mohamud einen Verbündeten gegen Äthiopien zu gewinnen. Es ist ganz ungewöhnlich, dass der neue Präsident im regionalen Konflikt zwischen Äthiopien und Ägypten Stellung bezogen hat – zwei Ländern, die beide von den USA unterstützt werden. Somalia hat eigentlich genug innere Probleme zu lösen.

Stärkere Zusammenarbeit mit Äthiopien beabsichtigt

Die Äthiopier reagierten anfangs wütend auf Mohamuds Hinwendung zu Ägypten. Doch sie fanden dann einen Weg, sich bei ihm Gehör zu verschaffen: Sie schickten Militärdelegationen in einige somalische Bundesstaaten. Das hat Mohamud gezwungen, Äthiopien entgegenzukommen: Er bat äthiopische Diplomaten in Mogadischu, einen Besuch in Addis Abeba vorzubereiten.
Es dauerte dann noch vier Monate, bis Mohamud am 28. September 2022 zum ersten Mal seit seiner Wahl im Mai nach Äthiopien reiste. Abiy Ahmed empfing ihn mit dem üblichen Pomp und brachte Äthiopiens Bereitschaft zum Ausdruck, die beiderseitigen Beziehungen zu verbessern. Mohamud erklärte, seine Regierung wolle die Zusammenarbeit mit Äthiopien in Fragen der Sicherheit und im Kampf gegen die zurzeit am Horn von Afrika herrschende Dürre verstärken.

Genau umgekehrt veränderte sich das Verhältnis zu Kenia. Mohamud wählt in der Regel seine Verbündeten danach aus, wie deren Beziehung zu seinem Vorgänger Farmajo war. Da der in Nairobi nicht wohlgelitten war, hat Mohamud während seines Wahlkampfs engere Beziehungen zu Kenia gesucht und sich wiederholt dort mit hochrangigen Politikern getroffen, die versprachen, seine Rückkehr an die Macht zu unterstützen.

Kaum zwei Monate nach seiner Wahl reiste Mohamud wieder nach Nairobi, um ein Handelsabkommen mit dem scheidenden kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta zu schließen. Dies stieß in der somalischen Öffentlichkeit auf Kritik, weil Kenia nur einen Monat vor einer wichtigen Wahl stand; man fürchtete, er könne den Wahlausgang zugunsten von Raila Odinga beeinflussen, den Kenyatta als Nachfolger favorisierte.

Abkommen über die Lieferung der Alltagsdroge Khat

Hassan Sheikh Mohamud setzte sich über diese Bedenken hinweg, besuchte Kenias Präsidenten in dessen Residenz und unterzeichnete ein umstrittenes Abkommen über die Lieferung von Khat, der am Horn von Afrika weitverbreiteten Alltagsdroge. Die Regierung seines Vorgängers Farmajo hatte den Import von kenianischem Khat gestoppt, um Nairobi ökonomisch abzustrafen. Uhuru Kenyatta war mit Hinblick auf seine Anhänger im zentralkenianischen Meru sehr daran gelegen, dass die Lieferungen nach Somalia wieder in Gang kamen. Die Wiederwahl von Hassan Sheikh ins Präsidentenamt war für ihn ein politischer Glücksfall.

Auch nachdem nicht Odinga, sondern Kenyattas Stellvertreter und Rivale William Ruto die Wahl in Kenia gewonnen hatte, suchte Hassan Sheikh Mohamud engere Beziehungen zu diesem Nachbarn. Am 12. September 2022 nahm er in Nairobi an der Amtseinführung von Ruto teil, mit dem er sich während des Besuchs zwei Mal traf. Seine Hauptforderung an Kenia ist, nicht wieder zuzulassen, dass die wachsende somalische Opposition in Nairobi mobilisiert – die politische Klasse Somalias hatte seit Beginn des Bürgerkries 1991 und dem Kollaps des Staates die Hauptstadt des Nachbarlandes als Stützpunkt genutzt.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist Hassan Sheiks Haltung gegenüber den verschiedenen ausländischen Streitkräften, die seit 2006 in Somalia stationiert sind. Das erzeugt sowohl unter der somalischen Bevölkerung als auch bei Somaliern in der Diaspora großen Unmut. Anders als sein Vorgänger Farmajo vertritt Mohamud in dieser Frage eine flexible Haltung. 

Mohamud setzt auf ausländische Streitkräfte

Farmajo drängte stets auf den Abzug des ausländischen Militärs. In seinen Augen hoben sich die Vor- und Nachteile ihres Einsatzes in seinem Land bestenfalls gegenseitig auf. Einmal bat er die Vereinten Nationen in New York sogar, das Mandat für die Soldaten der Afrikanischen Union in Somalia nicht zu verlängern. Infolge dessen änderte die afrikanische Friedenstruppe ihren offiziellen Namen von „Mission der Afrikanischen Union in Somalia“ in „Afrikanische Übergangsmission in Somalia“, um zum Ausdruck zu bringen, dass ihre Anwesenheit dort nicht auf Dauer angelegt ist.

Frieden hat der Einsatz bisher nicht gebracht: Ein Soldat der Afrikanischen Mission in Somalia (AMISOM) springt Ende 2021 aus seinem Fahrzeug – in der Nähe ist ein Anschlag auf die Truppe verübt worden.

Hassan Sheikh Mohamud ließ dagegen seine Haltung zur Rolle der ausländischen Friedenstruppe noch nach seiner Wahl im Unklaren. Er setzt darauf, dass alle ausländischen Streitkräfte, auch die der USA und Großbritanniens, so lange bleiben, bis seine Regierung gefestigt genug ist, um sich selbst gegen die regelmäßigen Überfälle von Al-Shabaab zu verteidigen. 

Die Zukunft dürfte der Gegenwart ähneln

Wie wird die Zukunft für Somalia in den kommenden vier Jahren unter Hassan Sheikh Mohamud aussehen? Mehr oder weniger wie die Gegenwart. Der Norden und Nordosten des Landes werden weiterhin relativ stabil bleiben, während sich die Lage für die südlichen und zentralen Landesteile mangels einer fähigen lokalen Führung, die eine Vision für Frieden und Staatsaufbau verfolgt, eher noch verschlimmern wird.

Der Trend zur Zersplitterung in Ministaaten dürfte anhalten und weitere nichtstaatliche Akteure sich im Süden festsetzen, insbesondere jetzt, da Al-Shabaab in Kämpfen mit den Clans Geländegewinne erzielt. Zwar unterstützt die Regierung von Hassan Sheikh offiziell die Hawiya-Clans, im Kampf gegen Al-Shabaab ihre Territorien zu befreien, sie versorgt sie aber nicht mit den nötigen Mitteln. So gelingt es Al-Shabaab, die schlechte Organisation der Clans zur Eroberung weiterer Gebiete auszunutzen.

Einfache Bürger, die in größeren Städten in Somalia und Somaliland leben wie Mogadischu, Hargeysa und Kismayo, haben eine Chance, zu arbeiten, ihre Kinder zur Schule zu schicken und sich bescheidenen Wohlstand zu schaffen; diese Orte sind Knotenpunkte einer gewissen wirtschaftlichen Aktivität, wenn auch auf niedrigem Niveau. In den ausgedehnten Gebieten zwischen den Städten werden militante Islamisten weiter die wirtschaftliche und politische Macht haben und heimlich auch in einigen städtischen Zentren im Süden operieren, darunter in der Hauptstadt Mogadischu.

Ministaaten sollen mit Mauern gegen Al-Shabaab schützen

Solange eine funktionierende Zentralregierung fehlt und der Kampf gegen Al-Shabaab scheitert, werden Menschen auf dem Land zu der Überzeugung kommen, dass sie nur eine gewisse Sicherheit finden, wenn neue Ministaaten in umstrittenen Regionen geschaffen werden, etwa in Hiiraan im Süden des Zentrums. Handelszentren auf dem Land wie die Stadt Beledweyne in der Region Hiiraan könnten sich ebenfalls zu Ministaaten erklären, um sich mit Mauern gegen Al-Shabaab zu schützen. Man kann also damit rechnen, dass Somalia sich weiter in Richtung eines lockeren, stark dezentralisierten Stadtstaaten-Modells entwickelt, wie es für Teile Europas im 17. Jahrhundert kennzeichnend war.

Das liegt daran, dass Hassan Sheikh Mohamud kein Programm präsentiert hat, um Somalia aus den Trümmern endloser Kämpfe zu befreien. Er hat seine Amtszeit schon als stark geschwächte Figur begonnen. Statt Legitimität durch Aufbauarbeit in Somalia zu gewinnen, reist er von Hauptstadt zu Hauptstadt auf der Suche nach internationaler Legitimität.

Eine Folge davon ist klar: Die somalischen Eliten, wenn auch nicht die einfache Bevölkerung, erwarten von der internationalen Gemeinschaft bessere Ideen, wie die politischen Konflikte der verschiedenen einander bekämpfenden Gruppierungen im Land beigelegt werden könnten. Es gilt zu verhindern, dass Somalia zu einem weiteren Afghanistan wird, was heißen würde: Al-Shabaab kommt in Mogadischu an die Macht, so wie die Taliban im August vergangenen Jahres Kabul erobert haben.

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2022: Leben in Krisenzeiten
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