Skepsis gegenüber dem Ansatz der Klimaneutralität

picture alliance / SZ Photo/Florian Peljak
Emissionen reduzieren, nicht kompensieren: Protest vor der Zentrale der Münchner Stadtwerke.
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Klimaschutzgesetze der Bundesländer verpflichten Stadtverwaltungen zunehmend, klimaneutral zu werden. Das stellt auch die kommunale Eine-Welt-Arbeit vor praktische Probleme. Aus der Zivilgesellschaft kommen zudem grundsätzliche Einwände.

Klimaneutralität funktioniert so: Ausgestoßene Treibhausgase sollen ausgeglichen werden, indem an anderen Orten Emissionen reduziert oder Kohlenstoff gebunden wird. Das kann zum Beispiel durch das Pflanzen von Bäumen oder die Renaturierung von Mooren geschehen. Mit anderen Worten: Klimaneutralität lässt sich erreichen, ohne die eigenen Emissionen zu reduzieren, wenn das anderswo ausreichend geschieht oder CO2 gebunden wird. Die Reduzierung geschieht nur in der Bilanz, nicht physisch.

München will bis zum Jahr 2035 klimaneutral werden, das Bundesland Bayern hat alle Behörden im Land aufgefordert, bis spätestens 2028 ihre Emissionen auszugleichen. Auf einer Fachtagung im November in München mit Vertreterinnen und Vertretern der Stadtverwaltung und der Zivilgesellschaft wurde darüber diskutiert.

Der erste Schritt zur Klimaneutralität ist eine seriöse Bilanzierung, sagte Gesa Schöneberg von der Stiftung Allianz für Klima und Entwicklung, die vor vier Jahren von der KfW Entwicklungsbank im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums gegründet wurde. Die Stiftung berät staatliche und nichtstaatliche Institutionen und Organisationen in ihrer Klimapolitik. In die Klimabilanz müsste zum Beispiel eingerechnet werden, welche Emissionen anfallen, wenn im Rahmen einer kommunalen Nord-Süd-Partnerschaft eine Schule in der Partnerstadt gebaut werde, erklärte Schöneberg in München. Wie viel Energie wird im Büro verbraucht, wie viel für Computer, Heizung, Fahrzeuge? Neben der Kommunalverwaltung müssten auch Kooperationspartner wie Vereine oder Eine- Welt-Gruppen ihre Emissionen bilanzieren. Es gehe also nicht nur darum, die CO2-Emissionen aus Flugreisen zu den Partnern in Afrika, Asien oder Lateinamerika oder von Vertretern der Partnerkommune dort nach Deutschland auszugleichen, was manche Vereine und Initiativen bereits machen.

Wenn Kommunen dann aufgrund der Bilanz überschüssige Emissionen ausgleichen wollen, wird es erst recht schwierig. Seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 ist die Zahl der Instrumente und Anbieter auf dem Markt für Kompensationen stark gewachsen und mittlerweile schwer überschaubar, sagte Gesa Schöneberg. Welcher Anbieter ist seriös, welcher nicht? Gerade kleinere Kommunen dürfte die Entscheidung, wie sie ihre Emissionen kompensieren wollen, überfordern. Es gibt Kompensationen durch Aufforstung, durch technische Verfahren wie Kohlenstoffverpressung, den Emissionshandel oder Investitionen in erneuerbare Energien. Es gibt verschiedene Zertifizierungen und Standards; Schöneberg empfiehlt Kommunen den Gold Standard, der 2003 vom WWF eingeführt wurde und sich an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen orientiert. „Es gibt aber auch andere seriöse Standards“, sagt sie.

Eine einheitliche Vorgehensweise für Kommunen gibt es nicht. Einige Bundesländer, darunter Baden- Württemberg, wollen deshalb Beratungsstellen einrichten. Das Land Bremen hat einen Klimafonds geschaffen, der lokale und internationale Projekte finanziert, mit denen die Stadtverwaltung sowie Bremer Vereine und Unternehmen ihre Emissionen ausgleichen können. Das Management des Fonds entscheidet aufgrund seiner Expertise, welche Projekte geeignet sind. Aus der Zivilgesellschaft kommen allerdings auch grundsätzliche Bedenken gegenüber der Idee der Klimaneutralität. Thomas Brose vom Klima-Bündnis europäischer Städte mit indigenen Völkern mahnt an, den politischen und sozialen Kontext von Kompensationen genau zu beachten. CO2-Ausgleich beruhe auf der Idee, es sei egal, wo auf der Welt Emissionen reduziert werden, sagte Brose auf der Tagung in München. Das sei aber zu kurz gedacht, denn es gehe auch um die Frage der Ungleichheit: Während der globale Norden die meisten Emissionen verursacht, sind die Menschen im globalen Süden am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen. „Wer welche Ressourcen nutzt, ist auch eine soziale und ökonomische Frage. Daher macht es große Unterschiede, wo reduziert wird.“

Bloß aufzuforsten, macht keinen Sinn

Brose plädiert dafür, Menschen zu stärken, die in Wäldern leben, also etwa indigene Gemeinschaften im Amazonasgebiet, wie es die rund 2000 europäischen Kommunen im Klimabündnis anstreben. Es sei nicht sinnvoll, im Rahmen von Nord-Süd-Partnerschaften isoliert Wälder zu schützen oder Aufforstungsprojekte zu unterstützen, ohne den sozialen und politischen Kontext zu berücksichtigen. „Bevor man aufforstet, sollte man aufhören, Wälder und Baumbestand zu zerstören, auch hier bei uns“, fordert Brose. Für Vertreterinnen und Vertreter der Eine-Welt-Arbeit kommt beim Thema Klimaneutralität der Aspekt der Klimagerechtigkeit zu kurz; in München überwog daher bei zivilgesellschaftlichen Organisationen die Skepsis. Denn Nord- Süd-Partnerschaften wollen auch den Blick dafür schärfen, dass sich ohne einen grundlegenden Wandel bei uns die Erderhitzung nicht wird aufhalten lassen. Deshalb müsse der Fokus in erster Linie auf der Reduzierung von Treibhausgasemissionen liegen, nicht auf der Kompensation.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2022: Schlaue Maschinen
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