„Georgien muss sagen, was es jetzt braucht“

Die Bundesregierung will ihre Kaukasus-Initiative planmäßig fortsetzen

Bis vor kurzem sah es so aus, als würde die Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern des Südkaukasus – Georgien, Armenien und Aserbaidschan – Früchte tragen und helfen, den Frieden zu sichern. Doch der Krieg zwischen Georgien und Russland um die Vorherrschaft in Südossetien bringt alles ins Wanken. Diplomatie und schnelle Nothilfe sind gefragt. Und die künftige Entwicklungszusammenarbeit steht auf dem Prüfstand.

Zwei Million Euro humanitäre Hilfe waren außer diplomatischen Initiativen die erste handfeste Reaktion des Auswärtigen Amtes auf den Krieg zwischen den georgischen und russischen Truppen, der Zehntausende zur Flucht aus Südossetien gezwungen und auch im georgischen Kernland große Fluchtbewegungen ausgelöst hat. Das Geld ist dem Roten Kreuz und dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zugeflossen. Hilfsorganisationen wie der Evangelische Entwicklungsdienst (EED), die Diakonie Katastrophenhilfe oder die Caritas tun das ihre, um die schlimmste Not zu lindern, während Partnerorganisationen vor Ort ihre oft jahrelangen Bemühungen um Integration und Versöhnung in der Region schwer beschädigt sehen.

Denn es geht nicht nur um die neuen Kriegsflüchtlinge. Schon vor Ausbruch der Kämpfe Anfang August gab es laut dem Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) in Genf rund 800.000 Binnenvertriebene und 400.000 Flüchtlinge in den Ländern des Südkaukasus. Allein in Georgien gelten seit Beginn der Konflikte um Südossetien und Abchasien Anfang der 1990er Jahre mindestens 300.000 Menschen als Binnenvertriebene. Viele von ihnen leben seit mehr als 15 Jahren in Notunterkünften, ohne Aussicht auf Rückkehr in ihre Heimat.

Besorgt spricht der EED jetzt von einer „zweiten Vertreibung“. Tausende Bewohner  der georgischen Stadt Gori hatten sich vor den ins georgische Kernland vorrückenden russischen Truppen in Richtung Tiflis aufgemacht; in der südossetischen Grenzregion kommt es laut UNHCR zu ethnischen Vertreibungen. Bei der Diakonie Katastrophenhilfe befürchtet man, dass der jüngste Konflikt die ohnehin vorhandenen Spannungen zwischen den Ethnien der Region noch verstärkt und in weitere Gewalt mündet.  

Auch im Entwicklungsministerium (BMZ) weiß man um die schwierige Lage in der Region – und darum, dass jetzt vor allem Nothilfe, schnelle Wiederaufbau- und Rückkehrhilfe geboten sind. Schwerpunkt der BMZ-Arbeit im Südkaukasus war bis jetzt freilich ein anderer. Seit April 2001 bemüht sich das Ministerium im Rahmen der so genannten Kaukasus-Initiative darum, den fragilen Frieden zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Georgien, Armenien und Aserbaidschan zu festigen und mittels regionaler Kooperationsprojekte neuen Konflikten vorzubeugen. Gerade auch mit der Regierung Saakaschwili in Tiflis besteht zudem eine intensive bilaterale Entwicklungszusammenarbeit, die allerdings die abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien schon vor deren Unabhängigkeitserklärung und der Anerkennung durch Moskau nur am Rande einbezogen hat.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit setzt in der Region auf den Aufbau demokratischer Rechtssysteme, die Förderung der Privatwirtschaft und die Organisation einer funktionierenden eigenen Energiewirtschaft. Um Kooperation einzuüben und zugleich für die Umwelt etwas zu tun, fördert das BMZ zudem den Aufbau grenzüberschreitender Nationalparks. In der direkten Entwicklungszusammenarbeit mit Georgien lag – bis jetzt – das Gewicht außerdem auf  Armutsminderung, ländliche Entwicklung und die Eindämmung der weit verbreiteten Korruption. Erst im Mai dieses Jahres haben Berlin und Tiflis einen neuen Rahmen für ihre Entwicklungszusammenarbeit vereinbart – Volumen: 31 Millionen Euro.

Auf den von Saakaschwili begonnenen Krieg gegen Südossetien und auf die russische Reaktion darauf reagierte das BMZ zunächst mit wochenlangem Schweigen. Erst seit klar ist, dass die EU und der Westen Tiflis weiter unterstützen wollen, fand das BMZ Anfang September die Sprache wieder: Die Zusammenarbeit werde auf jeden Fall fortgesetzt, so Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Doch werde es zweifellos einige  „Umschichtungen“ und „Umwidmungen“ der Mittel geben. Welche genau, werde derzeit vor Ort geprüft.

„Georgien muss sagen, was es jetzt besonders braucht“, bekräftigte Wieczorek-Zeul indirekt die Bereitschaft, mit der Regierung Saakaschwili weiter zu kooperieren – trotz deren unglücklichen Agierens im Südossetien-Konflikt und des Austritts Georgiens aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), der die regionale Zusammenarbeit mit Aserbaidschan und Armenien in der Kaukasus-Initiative nicht leichter macht. Auch Entwicklungspolitik ist Politik: Ein Motiv für die besonders enge Entwicklungszusammenarbeit mit Georgien ist nicht zuletzt dessen geostrategische Rolle als Transitland für Öl- und Gastransporte aus dem kaspischen Raum in Richtung EU, wie es in einem BMZ-Länderprofil ausdrücklich heißt.  

Mitarbeiter der staatlichen Durchführungsorganisationen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und KfW-Entwicklungsbank hatten während des Fünftage-Kriegs Tiflis erst einmal verlassen. Inzwischen sind sie wieder vor Ort. Vertreter beider Organisationen gehen davon aus, dass die bisherige Projektarbeit weitergeführt wird. „Rechtsstaatsberatung macht heute nicht weniger Sinn als vor dem Krieg“, sagt ein GTZ-Mitarbeiter. Laut KfW hat der Krieg von der Entwicklungsbank finanzierte Projekte wie Filialen der ProCredit Bank zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, Trink- und Abwassersysteme sowie Schulen und Gemeindezentren nicht beschädigt. Die Vorbereitung weiterer Projekte werde „planmäßig“ fortgesetzt. Als Lasten des Krieges nennt die KfW die Zerstörung wichtiger Infrastruktur- und Versorgungsanlagen ebenso wie den Teilrückzug ausländischer Investoren oder die Kosten für die Versorgung und Unterbringung der vielen Flüchtlinge.

Was künftig zu tun ist, müsse freilich das BMZ entscheiden, heißt es bei beiden Durchführungsorganisationen. Bis dahin gelte: Eine Unterbrechung der Arbeit „ist nicht angeordnet“.

Johannes Schradi

welt-sichten 9-2008

 

erschienen in Ausgabe 9 / 2008: Sudan: Krieg an vielen Fronten
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