Es braucht einen globalen Sozialfonds

Herausgeberkolumne
Als Folge der Klimakrise werden Überschwemmungen, Wirbelstürme oder Dürren häufiger und heftiger. Umso wichtiger ist der Ausbau der sozialen Sicherungssysteme weltweit.

Dagmar Pruin ist Präsidentin von Brot für die Welt.

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen deutlich, dass Krisen vor allem dort in eine soziale Katastrophe münden, wo Menschen besonders verwundbar sind – durch prekäre Lebenslagen, schlechte Arbeitsbedingungen oder fehlende soziale Absicherung. Länder mit sozialen Sicherungssystemen sind deutlich besser aufgestellt. Soziale Sicherheit ist dabei Vorsorge und Hilfe zugleich: Sie macht Menschen weniger anfällig und federt die Auswirkungen einer Krise auf sie und die Gesellschaft insgesamt ab. Ein sicherer Zugang zu einem Existenzminimum und essenzieller Gesundheitsversorgung schaffen eine stabilere Ausgangsbasis – auch um sich auf die Folgen der Klimakrise einzustellen oder Einkommensquellen zu diversifizieren. 

Der Zugang zu sozialer Sicherheit ist aber weltweit sehr ungleich verteilt. Während in Europa und Zentralasien rund 84 Prozent der Bevölkerung Zugang zu mindestens einer sozialen Sicherungsleistung wie etwa Rente, Kindergeld oder Arbeitslosenhilfe haben, sind es in Afrika nur 17 Prozent. Sogar innerhalb eines Landes können die Unterschiede groß sein. Der indische Bundesstaat Kerala etwa hat schon in den ersten Wochen der Corona-Pandemie einen Lockdown beschlossen, konnte aber parallel dazu auch ein Hilfspaket schnüren: Die Menschen haben Lebensmittel und Einkommensbeihilfe bekommen. Selbstständige und Beschäftigte im informellen Sektor erhielten unbürokratisch Geld oder Kredite. In anderen Teilen Indiens hingegen standen Millionen Menschen von heute auf morgen ohne Einkommen da. 

Alle 187 Mitgliedsstaaten der Internationalen Arbeitsorganisationen (ILO) haben sich im Jahr 2012 darauf verständigt, minimale Einkommenssicherheit und Zugang zu essenzieller Gesundheitsvorsorge für all ihre Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Zehn Jahre nach dieser feierlichen Selbstverpflichtung müssen sie diese nun aber auch so schnell wie möglich umsetzen. Die ehrgeizige Initiative des UN-Generalsekretärs aus dem Herbst 2021 – der Global Accelerator for Jobs and Social Protection der Agenda 2030  – bietet dafür einen guten politischen Rahmen, ist bislang jedoch kaum greifbar.

Die Ziele in gemeinsames Handeln übersetzen

Entwicklungsministerin Svenja Schulze hat sich des Themas angenommen und möchte zentrale Akteure wie die Internationale Arbeitsorganisation und die Weltbank, aber auch Regierungen aus dem Norden und dem globalen Süden an einen Tisch bringen, um die noch sehr wolkigen Ziele in gemeinsames Handeln zu übersetzen. Dabei sollten auch die weltweit verwundbarsten Staaten wie beispielsweise Nepal oder Ruanda einbezogen werden. Dann jedoch braucht es nicht nur technische Anstrengungen zum Aufbau tragfähiger Sozialsysteme, sondern auch zusätzliche finanzielle Mittel. Progressive nationale Steuersysteme müssen genauso gestärkt werden wie internationale Steuergerechtigkeit, beispielsweise durch eine internationale Neuverteilung von Besteuerungsrechten im Sinne einer Gesamtkonzernsteuer oder die Einführung einer globalen Mindeststeuer.

Trotzdem wird es nicht ohne internationale öffentliche Investitionen gehen.

Der UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte, Olivier De Schutter, schlägt einen globalen Fonds für soziale Sicherheit vor. Diese Idee begrüßt Brot für die Welt ausdrücklich. Ein multilateral entsprechend der Wirtschaftskraft der Länder finanzierter Fonds würde sich in erster Linie am Aufbau sozialer Grundsicherung in Ländern mit niedrigem Einkommen beteiligen. In Krisen können dann soziale Sicherungssysteme die Menschen angemessen unterstützen.

Es bedarf mutiger Schritte zu mehr nationaler und internationaler Solidarität, um verlässliche soziale Sicherungssysteme aufzubauen. Das gegenwärtige Ausmaß sozialer Ungleichheit behindert die Überwindung von Armut und verletzt somit die Menschenrechte. In einer Welt mit globalen Lieferketten, globalen Wirtschaftskrisen, globalen Pandemien und einer sich zuspitzenden Klimakrise brauchen wir globalen Zusammenhalt.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2023: Religion und Frieden
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