„Nur mit Entwicklungspolitik“

Zum Thema
Fachkräfte-Einwanderungsgesetz
Migration
Die Bundesregierung will die Einwanderungspolitik gegenüber ärmeren Ländern auf eine neue Grundlage stellen. Der Migrationsforscher Steffen Angenendt erklärt, was er davon hält.

Steffen Angenendt ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik und Fachmann für Fragen von Migration und Entwicklung.

Herr Angenendt, die Bundesregierung will mit Ghana, Marokko, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Nigeria, Irak, Pakistan und Indonesien das Ziel einer sicheren, regulären und geordneten Migration zum gegenseitigen Vorteil erreichen. Das BMZ spricht von einem Paradigmenwechsel in der deutschen Migrationspolitik und Entwicklungszusammenarbeit in diesem Bereich. Wie glaubwürdig ist das?
Zunächst würde ich sagen, es ist alternativlos. Ohne partnerschaftliche Zusammenarbeit in vielen migrations- und flüchtlingspolitischen Feldern wird es keine Fortschritte geben. Diverse einseitige Ansätze von Migrations- oder Mobilitätspartnerschaften, wie etwa unsere Rücknahmeübereinkommen, oder auch auf EU-Ebene, waren nicht konsequent und sind politische Absichtserklärungen geblieben, weil die Perspektiven der Herkunftsländer wenig Beachtung finden. 

„Sicher, regulär und geordnet zum gegenseitigen Vorteil“ klingt ziemlich ambitioniert ...
Das große Ziel der Migrationspolitik, ungeordnete Einwanderung in geordnete Bahnen zu lenken, wird immer nur zu einem Teil gelingen. Trotzdem muss man das weiter versuchen. Wichtig ist dabei, die Migrationspolitik nicht mehr hauptsächlich den Innenpolitikern zu überlassen, sondern die Außenpolitik und die Entwicklungszusammenarbeit stärker zu beteiligen. Im BMZ hat das Thema inzwischen an Gewicht gewonnen und ich gehe davon aus, dass die Entwicklungspolitik in der Migrationspolitik künftig eine größere Rolle spielen wird. 

Der Startschuss der Neuausrichtung fiel im März: Das ghanaisch-deutsche Migrationsberatungszentrum soll zu einem „Zentrum für Jobs, Migration und Entwicklung“ ausgebaut werden. Ist das der richtige Weg?
Ursprünglich sollten diese Zentren ja – eingerichtet von der Vorgängerregierung – die Rückkehr von Migranten in ihre Heimatländer unterstützen. Jetzt erfolgt ein Neustart mit dieser Leuchtturminitiative. Die Zentren sind ein wichtiges und gutes Instrument, denn sie bieten für eine partnerschaftliche Migrationspolitik dauerhafte Ansprechpersonen, Strukturen der Umsetzung und Kontakte zu den Regierungsstellen. Entscheidend wird sein, die Zentren auf die Gegebenheiten des jeweiligen Landes zuzuschneiden; man kann nicht allen ein Generalkonzept überstülpen. Und ich rate dazu, nicht das Blaue vom Himmel zu versprechen, solange man nicht weiß, wie die Initiative ausgestaltet und ausgestattet werden soll. 

Die Minister für Entwicklung und Arbeit wollen eine „Win-Win-Situation“ schaffen: Fachkräfte sollen sowohl für den heimischen Bedarf als auch für den der Partnerländer ausgebildet werden. Wie kann das gehen?
Das ist die Königsdisziplin. Es gibt wenig in der Migrationspolitik, das voraussetzungsvoller wäre. Aber der Ansatz ist wichtig, weil er verspricht, dauerhafte Probleme zu bewältigen – etwa die Frage, wie viel unseres Engagements Entwicklungszusammenarbeit ist und dem betreffenden Land hilft und wie viel Eigennutz ist, weil es uns an Arbeitskräften mangelt. Jede Partnerschaft muss eine Ausbildungs- und Beschäftigungskomponente haben. Ich denke da etwa an die für die Energiewende gefragten sogenannten Green Skills. 

Die Bundesregierung will die Partnerländer zugleich dabei unterstützen, das Risiko eines „Braindrain" zu reduzieren. Ist das realistisch?
Wir haben die moralische Pflicht, darauf zu achten. Im BMZ gab es genau aus diesen Gründen lange Skepsis gegenüber Migration. Inzwischen macht die Forschung über Migration deutlich, dass diese per se Entwicklung antreibt und nicht etwa verhindert – wenn sie geregelt und gut gemacht wird. Aber das Risiko, dass Fachkräfte abwandern, bleibt trotzdem bestehen. In kritischen Bereichen wie in Gesundheitsberufen  sollte klar sein, dass wir keine Fachkräfte anwerben in Ländern, die selber einen Mangel haben. 

Wie sähe ein entwicklungsorientierter Ansatz in der Arbeits- und Ausbildungsmigration idealerweise aus? 
Zweigleisig: Deutschland finanziert beispielsweise in Ägypten eine Pflegefachschule mit einem Ausbildungsgang für Fachkräfte nach deutschen Curricula und Bedürfnissen, flankiert mit Sprachvermittlung etwa durch das Goethe-Institut und politisch koordiniert mit den Außenhandelskammern vor Ort, so dass die Arbeitskräfte direkt in Deutschland beschäftigt werden können. Und auf einem zweiten Gleis bildet die Schule Kräfte für den ägyptischen Arbeitsmarkt aus. Die deutsche Privatwirtschaft könnte das kofinanzieren, da die Ausbildungskosten im Partnerland deutlich geringer sind. Da könnte man etwas bei den Arbeitgebern abschöpfen. Das Modell hat den Vorteil, dass wirklich alle davon profitieren. Die Krux liegt in der Praxis. Es braucht die Arbeitgeber an Bord, die oft zu risikoscheu sind, sich auf solche Ausbildungsgänge im Ausland einzulassen. Sie wollen Arbeitskräfte jetzt – und nicht in drei Jahren, wenn sie aus Ägypten kommen. Zudem ist das Vertrauen in die Bundesagentur für Arbeit, dass sie die richtigen Leute irgendwann bekommen, nicht sehr ausgeprägt. Die Bundesregierung sollte die guten Erfahrungen aus Pilotprojekten zur Fachkräftegewinnung im Ausland jetzt für größere Anwerbeprogramme nutzen und unter Beteiligung von Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft die Weichen für eine entwicklungsorientierte Arbeitskräftegewinnung stellen.

Sind die Bundesregierung und die Behörden für den neuen Ansatz gut aufgestellt?
Für eine umfassende Politik, die entwicklungspolitisch gut verankert ist, müssen wir hier bei uns die Schraube ansetzen, etwa bei der Digitalisierung von Verfahren oder bei der Anerkennung von Abschlüssen – und das verbinden mit einer Integrationspolitik, die Leuten unter die Arme greift. Das wird nicht funktionieren ohne Abstimmung zwischen den Ressorts unter ernsthafter Beteiligung des BMZ. 

Das Gespräch führte Marina Zapf.

 

Zum Weiterlesen:

Steffen Angenendt, Nadine Knapp, David Kipp: Deutschland sucht Arbeitskräfte. Wie die Arbeitskräfteanwerbung entwicklungsorientiert, nachhaltig und fair gestaltet werden kann, SWP-Studie 2023/S 01

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