Die internationale Drogenpolitik braucht eine neue Strategie
Von Martin Jelsma
Die UN-Generalversammlung hat 1998 Zielvorgaben zur Drogenbekämpfung gemacht: Auf ihrer Sondersitzung zum Thema beschloss sie damals, den illegalen Anbau von Koka, Cannabis und Schlafmohn bis 2008 zumindest deutlich zu reduzieren sowie die Nachfrage zu verringern. Die Ziele sind verfehlt worden – das heißt Repression hat sich als falsche Strategie erwiesen. Im kommenden Jahr steht eine Neuorientierung der Drogenpolitik zur Diskussion.
Nach den neuesten Zahlen der UN-Behörde für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (United Nations Office on Drugs and Crime, UNODC) hat sich die weltweite Opiumproduktion in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Die Kokainproduktion ist um 20 Prozent gestiegen. Schätzungen zu Cannabis und synthetischen Drogen wie Speed und Ecstasy sind zu unzuverlässig, da diese dezentralisiert in aller Welt hergestellt werden. Drogen können heute weltweit zu niedrigeren Preisen beschafft werden als vor zehn Jahren.
Die Annahme, der illegale Konsum von Drogen lasse sich durch strafrechtliche Maßnahmen und durch die Drosselung des Angebots unter Kontrolle bringen, hat sich als falsch erwiesen. Die Drogenbekämpfung hatte enorm schädliche Auswirkungen: die Kriminalisierung von Konsumenten und Bauern, die Überlastung des Rechtswesens, die Verletzung der Menschenrechte und die unzureichende Versorgung mit wichtigen Medikamenten zumindest in einer Hälfte der Welt. Daraus lässt sich kaum schließen, die Welt sei auf dem richtigen Weg und es gebe keinen Grund, das gegenwärtige Modell der Drogenbekämpfung zu überdenken.
Während sich im vergangenen Jahrzehnt der Krieg gegen Drogen in den traditionellen Anbauländern in den Anden, in Afghanistan und in Südostasien verschärft hat, hat sich unter den Stichworten „Schadensbegrenzung“, „Entkriminalisierung“ und „alternative Entwicklung“ in anderen Ländern ein eher pragmatischer und weniger auf Strafen setzender Umgang mit dem Drogenproblem entwickelt. Das hat deutliche Risse im Konsens über die von den Vereinten Nationen verfolgte Strategie verursacht und könnte das bestehende System der Drogenpolitik auf internationaler Ebene verändern. Unter Drogenabhängigen breitet sich HIV/Aids aus, Gefängnisse sind überfüllt, lateinamerikanische Länder wollen nicht weiterhin Schauplatz militärischer Feldzüge gegen Drogen sein, und die repressiven Maßnahmen gegen den illegalen Markt sind unwirksam – all das hat die internationale Unterstützung der Null-Toleranz-Strategie amerikanischer Prägung geschwächt.
Ein Diskussionspapier für die UNGASS-Überprüfung, das UNODC-Leiter Antonio Maria Costa im März 2008 vorgelegt hat, enthält eine Reihe interessanter Vorschläge für eine stärker zielorientierte Drogenkontrolle. Laut Costa landen zu viele Menschen im Gefängnis, es wird zu viel in polizeiliche Maßnahmen und zu wenig in Vorbeugung, Behandlung und Schadensbegrenzung investiert. Die Bekämpfung des illegalen Anbaus stehe zu sehr im Vordergrund, die Entwicklungshilfe für die betroffenen armen Bauern komme zu kurz. Erstmals verteidigt Costa ausdrücklich eine Politik der Schadensbegrenzung, indem er feststellt, dass „die Umsetzung der Drogenkonventionen mit der gebotenen Rücksicht auf Gesundheit und Menschenrechte erfolgen muss“.
Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit die Vereinten Nationen ihre erste Konvention zur Drogenbekämpfung verabschiedet haben. Die „Single Convention on Narcotic Drugs“ von 1961 sah vor, Opium innerhalb von 15 Jahren, Koka und Cannabis im Lauf von 25 Jahren zu beseitigen. Der Vertrag unterschied nicht zwischen der Koka-Pflanze und Kokain oder zwischen Cannabis und Heroin. Als die anvisierten Fristen abgelaufen und die illegalen Märkte trotzdem stark gewachsen waren, beschlossen die UN, die Mitgliedstaaten auf strafrechtliche Maßnahmen gegen alle Aspekte der Produktion und des Besitzes von Drogen sowie des Drogenhandels zu verpflichten – so wie es die „Konvention gegen den illegalen Handel mit narkotischen Drogen und psychotropen Substanzen“ von 1988 vorsieht. Weltweit wurden die Drogengesetze verschärft, und die Gefängnisse füllten sich mit Süchtigen und kleinen Dealern.
Zehn Jahre später war der illegale Markt aber immer noch genauso groß wie vorher. Die UN-Generalversammlung beschloss daraufhin auf ihrer Sondersitzung (UN GeneralAssembly Special Session, UNGASS) zu Drogen 1998 einen neuen Zehnjahresplan mit Zielvorgaben, die die „New York Times“ damals als „Neuauflage unrealistischer Versprechen“ bezeichnete. Einer der Delegierten von damals sagte: „Wir haben die notwendigen Mittel; jetzt müssen wir sie effektiver einsetzen. Unser Konzept hat Biss, und jetzt müssen wir zupacken.“ Auch bei der derzeitigen Überprüfung der UNGASS-Ziele vertreten einige Mitgliedstaaten, die einer ernsthaften Neubewertung ausweichen, diese Position.
Diese Stimmen sind zwar im Lauf des vergangenen Jahrzehnts zu einer Minderheit geworden. Doch die zuständige UN Commission on Narcotic Drugs entscheidet leider im Konsens, so dass auch eine kleine Minderheit die Entwicklung blockieren kann. Nach einem halben Jahrhundert ist es an der Zeit, die Drogenpolitik zu modernisieren und zu humanisieren und einen Ausgleich zwischen Repression und Gesundheitsfürsorge zu finden. Priorität sollte nicht die Bekämpfung des Markts haben, sondern die Begrenzung der Schäden, die er verursacht: Wir müssen uns auf problematische Fälle von Drogenmissbrauch konzentrieren, nicht auf den Drogenkonsum an sich. Wir sollten die Kokapflanze aus der Konvention von 1961 streichen, die Auflagen für den Handel mit Cannabis denen für Alkohol und Tabak angleichen und das organisierte Verbrechen, die drogenbedingte Gewalt sowie die Korruption bekämpfen, statt kleine Dealer einzusperren.
Viele Länder haben den Konsum und den Besitz von Drogen für den persönlichen Bedarf entkriminalisiert. Die Verfassunggebende Versammlung Ecuadors hat im vergangenen Sommer einen vorbildlichen Präzedenzfall geschaffen: Sie hat eine Amnestie für kleine Dealer und Drogenkuriere beschlossen, die mit weniger als zwei Kilo Rauschgift erwischt wurden, zum ersten Mal straffällig geworden waren und mindestens zehn Prozent ihrer Strafe abgesessen haben. Rund 1500 Gefangene, von denen viele zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt waren, werden jetzt aus den überfüllten Gefängnissen entlassen.
Zurzeit beginnt die Arbeit an einer neuen politischen Erklärung der Vereinten Nationen zur Drogenkontrolle, über die im März 2009 in Wien abgestimmt werden soll. Gleichgesinnte Länder, besonders in Europa und Lateinamerika, versuchen Aspekte wie Schadensbegrenzung, Menschenrechte, Verhältnismäßigkeit und das Recht auf wichtige Medikamente einzubringen. Die UN-Konventionen selbst stehen derzeit noch nicht zur Verhandlung. Aber aus der Sackgasse, in der wir uns befinden, führt kein anderer Weg als das offene Eingeständnis, dass die derzeitigen Strategien fehlschlagen und dass die Verträge über die Drogenkontrolle überholt sind und voller innerer Widersprüche stecken.
Im ersten UN-Weltdrogenbericht von 1997 heißt es, auch internationale Konventionen seien „nicht in Stein gemeißelt“ und veränderbar. Es stimmt hoffnungsvoll, dass UNODC-Direktor Costa in seinem für die UNGASS-Überprüfung vorgelegten Diskussionspapier feststellt, es liege „tatsächlich ein Reformwille in der Luft, die Verträge auf ihren Zweck hin zu orientieren und sie der Realität anzupassen, die sich seit der Zeit, als sie formuliert wurden, beträchtlich verändert hat“.
Martin Jelsma arbeitet am Transnational Institute in Amsterdam. Lateinamerika und die internationale Drogenpolitik sind seine Spezialgebiete.
welt-sichten 11-2008