Anfang Juni kommen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zur zweiten Hamburger Sustainability Conference zusammen. Das vom Bundesentwicklungsministerium (BMZ) und dem UN-Entwicklungsprogramm UNDP initiierte Treffen will die Privatwirtschaft für einen Beitrag zu den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) mobilisieren. Da der Künstlichen Intelligenz (KI) nach Ansicht der Organisatoren dabei eine wichtige Rolle zukommt, soll auf der Konferenz eine Resolution zu „verantwortungsvoller KI für die SDGs“ verabschiedet werden.
Angesichts der rasant wachsenden Bedeutung von KI für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie der ungleichen Entwicklung weltweit ist das auch dringend geboten. Ein neuer Bericht der UN-Konferenz für Handel- und Entwicklung (UNCTAD) zeigt: Der gegenwärtige Hype um KI ist nur ein Vorgeschmack auf den bevorstehenden Boom. Im Vergleich zum Jahr 2023 soll laut UNCTAD der globale KI-Markt bis zum Jahr 2033 um den Faktor 25 auf 4,8 Billionen US-Dollar wachsen.
Mobiler Internet-Zugang reicht nicht
Dieses Wachstum verteilt sich nicht gleichmäßig über den Globus. 40 Prozent der Investitionen für die Erforschung und Weiterentwicklung von KI stammen von lediglich 100 Unternehmen. Drei von vier dieser Unternehmen haben ihren Sitz in den USA, China oder Deutschland. Ursächlich für diese Dominanz sind drei Faktoren: die in den Ländern vorhandene digitale Infrastruktur, die Qualifikation ihrer Arbeitskräfte und der Stand der lokalen KI-Forschung. Ein UNCTAD-Index zu den KI-Potenzialen verschiedener Länder zeigt, dass selbst ökonomische Schwergewichte des globalen Südens nur auf mittleren Plätzen rangieren: Indien auf Platz 36, Brasilien auf Platz 38 und Südafrika auf Platz 52.
Die Resolution, die in Hamburg verabschiedet werden soll, fordert zwar einen gleichberechtigten Zugang zu KI, sagt jedoch nicht, wie die Kluft zwischen den Industriestaaten und dem globalen Süden verringert werden kann. Gut zwei Drittel der Menschheit haben zwar inzwischen Internetzugang, doch die für KI entscheidende Qualität der Verbindungen ist nach wie vor sehr unterschiedlich. So haben auf dem afrikanischen Kontinent fast drei Viertel der Internet-Nutzer lediglich einen mobilen Zugang. Da für datenintensivere Anwendungen wie KI Festnetz-Breitbandanschlüsse benötigt werden, müsste stark in ihren Ausbau investiert werden. Wie das in den ärmsten Entwicklungsländern gelingen und mit einem inklusiven KI-Ansatz verbunden werden kann, sagt die Resolution nicht.
Autor
Sven Hilbig
ist Digitalexperte bei Brot für die Welt und Co-Autor des Buches „Digitaler Kolonialismus. Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen“, erschienen im Februar 2025 bei C.H. Beck.Hinzu kommt: Den Umweltschäden, die KI verursacht, schenkt die Resolution erstaunlich wenig Beachtung. Die Initiatoren wollen KI „energieeffizient und ökologisch nachhaltig“ gestalten und hoffen, die neue Technik werde effektivere Lösungsansätze für den Klimaschutz hervorbringen. Nachhaltigkeitsversprechen dieser Art gehören allerdings seit langem zum Standardrepertoire der Tech-Konzerne. „Mit KI den CO2-Fußabdruck reduzieren“, verspricht Microsoft auf seiner Website.
Generative KI vergrößert den Energiebedarf
Die Realität sieht anders aus. Der Hype um generative KI für Sprach- oder Bildmodelle wie ChatGPT treibt den Datenhunger, den Bedarf an Rechenkapazität und damit auch den Energiebedarf weiter in die Höhe. Wurde ChatGPT 2 noch mit 40 Gigabyte Text und 1,5 Milliarden Parametern trainiert, basiert die vierte Version dieser KI auf 25.000-mal so viel Text und 700-mal so vielen Parametern. Das Wettrennen um die schnellste und klügste KI hat dazu geführt, dass in den Jahren 2015 bis 2022 weltweit 25 Millionen neue Server in Betrieb genommen wurden. Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur verbrauchen die Rechenzentren weltweit fast so viel Strom pro Jahr wie Frankreich, die siebtgrößte Volkswirtschaft der Erde.
In den USA wurde die Schließung eines Kohlekraftwerks verschoben, da der Strombedarf neuer Rechenzentren von Google sonst nicht mehr hätte gedeckt werden können. Google musste zudem einräumen, dass noch gut ein Drittel seiner Energie aus kohlenstoffhaltigen Quellen stammt. Den Preis zahlen insbesondere die Menschen im globalen Süden, die am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Was kommt erst auf sie zu, wenn der globale KI-Markt in den kommenden acht Jahren um mehr als das Zwanzigfache steigt?
Auch in Bezug auf die Folgen des KI-Booms für die Menschenrechte weist die Resolution gravierende Lücken auf. Der Einsatz von KI in Kriegen und militärischen Konflikten wird mit keinem Wort erwähnt – etwa die verheerenden Auswirkungen von Drohnenangriffen, bei denen das Ziel, sprich: die zu tötende Person, auf der Grundlage von Daten ermittelt wird, die Geheimdienste und Militär vorab gesammelt haben. Mit „We kill people based on metadata“ bringt der ehemalige US-Geheimdienstchef Michael Hayden diese neue Kriegsführung auf den Punkt. Die KI stellt dabei Wahrscheinlichkeitsrechnungen aufgrund von Verhaltens- oder Bewegungsmustern von Gruppen oder Einzelpersonen an. Wenn die Muster den Kriterien des Typs „Terrorist“ entsprechen, wird ein Angriff wahrscheinlich. Die Drohne kann also auch „Unschuldige“ treffen, die keine Terroristen sind. Solche Gefahren, die von KI als Waffe in Kriegen und Bürgerkriegen im globalen Süden ausgehen, sind immens.
Neue Formen der Ausbeutung
Aus menschenrechtlicher Sicht problematisch ist außerdem, dass Millionen Datenarbeiterinnen und -arbeiter vor allem in Ländern des globalen Südens wie Kenia und Indien sich täglich traumatisierende Bilder und Texte von Kindesmissbrauch, Folter, Vergewaltigungen und Hinrichtungen anschauen oder lesen und dann aussortieren müssen, damit wir KI-Anwendungen wie ChatGPT sorgenfrei nutzen können. Die Auftraggeber, KI-Firmen wie Google und OpenAI, sitzen in den USA, Kanada, Europa und Australien. Diese neuen Formen der Ausbeutung sind ein Grund dafür, dass eine zunehmende Zahl von Wissenschaftlern, Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen sowie sozialen Bewegungen die gegenwärtige globale Ordnung als digitalen Kolonialismus kritisiert.
Angesichts dieser nachteiligen Auswirkungen von KI auf den globalen Süden wirkt die Resolution, die in Hamburg verabschiedet wird, schon jetzt überholt. Wer KI zum Motor der UN-Nachhaltigkeitsziele machen möchte, darf nicht nur ein paar gute Ansätze formulieren und hoffen, private Unternehmen würden sie finanzieren. Vielmehr sollte das Entwicklungsministerium eine weltweite Allianz schmieden, um den Treibern und Profiteuren von KI und digitalem Kolonialismus Einhalt zu gebieten. Die im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung vorgesehene Gründung einer Nord-Süd-Kommission könnte dafür ein Forum sein.
In Anbetracht der sich weltweit formierenden Proteste gegen Elon Musk und andere Tech-Barone, die keinen Hehl aus ihrer ausbeuterischen und demokratiefeindlichen Gesinnung machen, ist der Zeitpunkt für eine Kehrtwende möglicherweise günstiger, als es angesichts der politischen Entwicklungen auf der anderen Seite des Atlantiks scheint.
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