Grün bemäntelter Landraub

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Versammlung im Massai-Dorf Oldonyo-Nyokie
Kate Stanworth
Versammlung im Massai-Dorf Oldonyo-Nyokie: Hier führen die Jungen den Widerstand gegen das Projekt zur Klimakom­pen­sation an.
CO2-Zertifikate
Firmen aus aller Welt investieren in Kenia in Projekte zum Bodenschutz und können sich den damit gebundenen Kohlenstoff gutschreiben lassen. Das Nachsehen haben die Massai, die auf dem Land leben. Bei manchen formiert sich Widerstand.

An einem sengend heißen Nachmittag versammeln sich die Ältesten des Massai-Dorfes Oldonyo-Nyokie im Bezirk Kajiado im Süden Kenias unter der brennenden Äquatorsonne. Gehüllt in ihre charakteristischen Shukas, die häufig ein leuchtend rotes Karomuster zeigen, sitzen sie im Halbkreis auf einem herabgefallenen Ast im Schatten einer Akazie, in der ovale Nester von Webervögeln hängen. Diesmal haben sie sich nicht versammelt, um über das Vieh, die Dürre oder ein anstehendes Ritual zu beraten, sondern über ein neues, ungewohntes Thema: ein Programm für CO2-Zertifikate, das die Nutzung ihres Landes für vierzig Jahre beschränken könnte und ihre Gemeinschaft zu spalten droht.

Ungewöhnlich ist für die Traditionen der Massai, bei denen die Älteren großen Respekt genießen, dass der Widerstand gegen diese Pläne von den Jungen angeführt wird. Von Aktivisten der Generation Z wie dem freundlich, aber sehr bestimmt auftretenden 24-jährigen Hochschulabsolventen Gedion Kancheri. Er gehört zu den Anführern der Jugendlichen dieser Massai-Gruppe, die als Oldonyo-Nyokie Group Ranch bekannt ist. Die jungen Leute sprechen sich teilweise vehement gegen Geschäfte mit CO2-Zertifikaten aus, die mit ihrem Land getätigt werden sollen. Kancheri sieht darin nichts anderes als „undurchsichtige Geschäfte zum Landraub“. Die Massai, so sagt er, „definieren sich durch ihr Land“. Rechte daran aufzugeben, würde zum Verlust ihrer Identität und ihres Erbes führen.

"Massai definieren sich durch ihr Land"

Hier im Kajiado County inmitten der riesigen Weidegebiete Kenias, auf die von Tansania der schneebedeckte Gipfel des Kilimandscharo herabblickt, tritt ein neuer, heftiger Konflikt zutage zwischen den globalen Bestrebungen zur Minderung von CO2-Emissionen und indigenen Bevölkerungsgruppen, die um ihre Landrechte fürchten. Die Idee ist, dass Unternehmen zum Ausgleich für ihre eigenen Emissionen Projekte finanzieren, die CO2 anderswo verringern oder aus der Luft holen. Internationale Projekte zur Vergabe von CO2-Zertifikaten, als Win-Win-Lösung für die Klimarettung gepriesen, versprechen den hier lebenden Massai-Gemeinschaften Geld, wenn sie ihr Land entsprechend den Vorgaben langfristiger CO2-Verträge bewirtschaften. Doch so einfach das Angebot scheint, es ruft nicht nur Verwirrung und Konflikte, sondern auch Widerstand hervor.

Hirten der Massai hüten Ende 2020 ihr Vieh in einem Schutzgebiet in Kenia.

Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht das Kajiado Rangelands Carbon Project (KRCP), das die in Nairobi ansässige Organisation Soils for the Future Africa (SftFA) in Partnerschaft mit dem amerikanischen Unternehmen CarbonSolve betreibt. Es hat 1,5 Millionen Hektar Land – eine Fläche so groß wie Schleswig-Holstein – im Kajiado County ins Auge gefasst, um dort Kohlenstoff im Boden zu speichern. Zu dem Land gehört auch das der Oldonyo-Nyokie Group Ranch. 

KRCP nutzt eine umstrittene Methode zur Kohlenstoffbindung, die von Soils for the Future entwickelt wurde. Ziel ist es, CO2 im Boden zu speichern. Dafür soll die Bodengesundheit mit verbesserten Praktiken wie Rotationsbeweidung gestärkt werden, die eine Übernutzung verhindern und dem Boden Gelegenheit geben, sich zu erholen. Dafür muss das Vieh ständig in Bewegung gehalten werden, um den Grasbewuchs zu schonen. Auf diese Weise soll der Boden mehr Kohlenstoff binden, so dass die Weideflächen zu einer natürlichen Kohlenstoffsenke werden.

Wachsender Markt für CO2-Zertifikate

Dieses Projekt könnte mittels Verkaufs von Zertifikaten an Unternehmen, die mit dem in Kenia gebundenen Kohlenstoff freiwillig eigene Emissionen ausgleichen wollen, eine Menge Geld einbringen. Kenia hat sich in den letzten Jahren zum Zentrum für diesen Handel mit CO2-Zertifikaten in Afrika entwickelt. Der weltweite Markt für freiwillige CO2-Zertifikate könnte bis 2030 ein Volumen von 50 Milliarden Dollar erreichen; 2021 wurde er gerade einmal auf zwei Milliarden Dollar geschätzt. Im Jahr 2024 hat Kenia ein Gesetz zur Regulierung des CO2-Marktes verabschiedet und damit einen Rechtsrahmen für den Handel mit CO2-Zertifikaten geschaffen.

Im Juni 2023 kauften Unternehmen aus Saudi-Arabien wie der Ölgigant Aramco und Saudi Airlines Zertifikate für mehr als 2,2 Millionen Tonnen des Treibhausgases, nach eigenen Angaben das bisher größte Geschäft dieser Art. Auch Konzerne wie Amazon, Shell oder Volkswagen richten ihren Blick zunehmend auf afrikanische Kohlenstoffprojekte, die versprechen, Emissionen zu binden. 

Ob das überhaupt funktionieren kann, wird aus verschiedenen Gründen bezweifelt. Ein zentraler Begriff dieser Diskussion ist die Zusätzlichkeit (additionality). Dieses Kernprinzip der Klimafinanzierung verlangt, dass ein CO2-Projekt die Reduzierung oder Beseitigung von Treibhausgasemissionen nur berücksichtigen darf, soweit die nachweislich nur durch die eingeleiteten Maßnahmen zustande kommen und nicht sowieso passieren würden.

Die millionenschweren Geschäfte mit CO2-Zertifikaten werden von großen Skandalen überschattet, die diesen Geschäftszweig bereits erschüttert haben. Das weltweit größte Projekt für CO2-Zertifikate, der kenianische Northern Rangelands Trust (NRT), erstreckt sich über schwindelerregende zehn Prozent der Fläche des Landes, ein Terrain von der doppelten Größe Belgiens. Zu seinen Kunden gehören Netflix und Meta, die Muttergesellschaft von Facebook. 

Skandale um unrechtmäßige Gutschriften

Ein kenianisches Gericht hat im Januar 2025 festgestellt, dass zwei mit dem Projekt verbundene Naturschutzgebiete unrechtmäßig und ohne ordnungsgemäße Konsultation der betroffenen Gemeinschaften eingerichtet wurden. Im Mai setzte Verra, die Organisation mit Sitz in Washington, die solche Unternehmungen zertifiziert, das Projekt zum zweiten Mal aus. Damit steht NRT derzeit unter Beobachtung und kann keine Emissionsgutschriften verkaufen.

Nichtstaatliche Organisationen wie Survival International werfen NRT vor, die traditionellen Weidepraktiken der Massai, Borana und Samburu zu beeinträchtigenViele Massai im Kajiado County reden in diesem Zusammenhang von den „watu wa hewa", den „Luftmenschen“. Laut dem Massai-Ältesten Samuel Kudate von der Oldonyo-Nyokie Group Ranch wissen die wenigsten, was CO2 eigentlich ist oder wie CO2-Zertifikate in der Praxis funktionieren. „Keiner versteht es“, sagt er. Seiner Meinung nach hat Soils for the Future Africa das Projekt weder transparent dargestellt noch die Vorteile für die Gemeinschaft ausreichend erläutert. Auch ihre eigenen Führer hätten es versäumt, klare Informationen und Unterlagen über das vorgeschlagene Geschäft mit CO2-Zertifikaten bereitzustellen.

Geplatzte Schecks und Kolonialismusvorwürfe

Im Rahmen des Kajiado-Projekts verspricht Soils for Future Africa den Gemeinschaften zwei Dollar pro Hektar geeignetem Weideland. Im Gegenzug übertragen die Gemeinschaften die Rechte zur Ausstellung von CO2-Zertifikaten an SftFA, den Projektentwickler, der sie in ihrem Namen verkauft. Zusätzlich unterzeichnen sie eine Vereinbarung über die Aufteilung der Einnahmen aus dem Verkauf der Gutschriften. Zu Zahlungen ist es bislang jedoch nicht gekommen, viele Schecks sind geplatzt. Dies verstärkt laut Samuel Kudate bei vielen die Vorbehalte, Rechte an ihrem angestammten Land im Rahmen von Verträgen mit einer Laufzeit von vierzig Jahren aufzugeben. Was die „Luftmenschen“ ihnen anbieten, stellt für sie keine Klimagerechtigkeit dar, sondern eine moderne Variante des Kolonialismus – Landraub im grünen Gewand. 

Die Projekte können die Weidegebiete der Massai beschränken, ihnen verbieten, Zäune zu errichten oder ihre Tiere zu Tränken zu führen. „Das Vieh ist die Quelle unseres Reichtums“, sagt Enoch Simera, ein 28-jähriger Massai-Aktivist, der zum Krankenpfleger ausgebildet ist. Die Beschränkungen würden den Massai einen wesentlichen Teil ihrer Identität rauben, meint er. Von anderen Ranches im Kajiado County hat er erfahren, dass sie nach Unterzeichnung des KRCP-Abkommens ihrem Vieh nicht mehr folgen und ihr Land nicht mehr so nutzen konnten, wie sie es seit Jahrhunderten gewohnt sind – ein tiefgreifender Einschnitt in das Leben dieser halbnomadischen Hirtengemeinschaften.

Aber das Schlimmste ist für Samuel Kudate, dass das Kajiado Rangelands Carbon Project seine Gemeinschaft tief gespalten hat. Der Konflikt zwischen den Befürwortern und Gegnern des Vorhabens hat sich bereits in Gewaltausbrüchen entladen. Es sei „beschämend“, dass dieses Projekt „Brüder gegen Brüder“ aufbringe, dass es zu Prügeleien mit Verletzten komme.

Am 30. April endete die Unterzeichnung des Vertrags zwischen der Oldonyo-Nyokie Group Ranch und Soils for the Future Africa in einem Tumult, als Mitglieder wie Kudate „Kein Kohlenstoff! Kein Kohlenstoff!“ zu skandieren begannen. Kudate hält den eigenen Anführern vor, eine „Agenda“ zu verfolgen, die nicht den Interessen der Mitglieder entspreche. Auch hätten sie auf unkorrekte Weise Unterschriften gesammelt und die Gemeinschaft nicht über das Treffen informiert. Außerdem habe niemand Verträge oder Unterlagen über das geplante Geschäft zu sehen bekommen. „Das ist kein fairer Kampf“, sagt er. Anfang Mai marschierten junge Mitglieder der Gruppe mit Stöcken und Knüppeln durch die Stadt Magadi und forderten mit dem Ruf „Nein zum Kohlenstoff-Kolonialismus“ ein Ende des Programms. 

Vor allem die Jugend protestiert

Gedion Kancheri sagt, dass der Kampf hauptsächlich von den jungen Mitgliedern der Massai-Gruppierung getragen wird. Sie organisieren sich über Instagram, Facebook und WhatsApp, veranstalten Proteste und suchen das Gespräch mit lokalen Politikern. Kancheris Meinung nach hat das KRCP-Projekt die jungen Leute motiviert, das zu nutzen, was sie in ihrer Ausbildung gelernt haben, und auf diese Weise ihrer Gemeinschaft etwas zurückzugeben. „Ich begrüße es, wenn junge Menschen erkennen, was ihnen und ihren Eltern gehört“, sagt er. Zwar räumt er ein, dass einige der Ältesten die Haltung der Jungen zum CO2-Programm beunruhigt, fügt aber hinzu, dass ihre Einwände sorgfältig recherchiert seien und dass „gute Eltern auch zuhören“.

Land ist für die Massai nicht bloß Besitz, es hat eine spirituelle Bedeutung. Nach Aussage des Ältesten Kudate gehören der Oldonyo-Nyokie Group Ranch insgesamt 68.000 Hektar, die sie als Erbe ihrer Vorfahren mit großem Respekt behandeln. „Wir sind ein Hirtenvolk. Wir weiden unsere Rinder und Schafe, darin besteht das ganze Geschäft, das wir mit unserem Land machen.“ 

Dabei geht es für sie nicht allein um wirtschaftliche Belange, sondern auch um ihre angestammten kulturellen Bindungen. Das Land gehört 1136 registrierten Mitgliedern, sämtlich Nachkommen von Familien, die in einer von der kenianischen Regierung 1974 initiierten Landnutzungsvereinbarung aufgeführt sind. Es ist nicht unterteilt, sondern in kollektivem Besitz und wird in gemeinschaftlicher Verantwortung genutzt. Das Hirtenleben kann wegen Dürren und unbeständigen Wetters sehr hart sein, sagt Kudate. Aber er schätzt seine Lebensweise und ist bereit, sich gemeinsam mit jungen Leuten wie Kancheri dem KRCP zu widersetzen.

Die Massai haben über viele Generationen eigenständig für ihr Land gesorgt und ein tiefes Verständnis entwickelt, das Außenstehenden abgeht. „Wir wissen hier, wie man das Land am besten bewirtschaftet, wir wissen, dass man diesen Baum nicht fällen oder dort nicht weiden sollte.“ Die Massai seien die besten Hüter ihres Landes; dürften sie es nicht mehr nutzen, würde das nicht nur ihnen, sondern auch dem empfindlichen Ökosystem schaden.

Die meisten anderen Massai haben die Verträge inzwischen unterzeichnet, die Oldonyo-Nyokie Group Ranch bildet mit ihrem Widerstand eine Ausnahme. Notfalls, so Samuel Kudate, „werden wir vor Gericht gehen“. Auch Gedion Kancheri ist entschlossen, den Kampf fortzusetzen, um „unsere indigene Lebensweise zu sichern“. Für ihn wie für seine Altersgenossen ist dieses Land „das Erbe unserer Urgroßväter“, sagt er. „Es bedeutet alles für uns.“

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

 

Ismail Einashe stammt aus Somalia und berichtet als freier Journalist unter anderem aus Kenia. Dieser Artikel wurde mit Unterstützung von journalismfund.eu erstellt.

 

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