Eine gute Wahl

Der chinesische Schriftsteller Mo Yan hat den Literaturnobelpreis verdient

Als „Staatsautor“, der das Regime vertrete, bezeichnet der in China verfolgte Schriftsteller Liao Yiwu seinen Kollegen Mo Yan. In der Tat hat der frisch gekürte Nobelpreisträger sich mit der Regierung in China gewissermaßen arrangiert. Er ist Vizepräsident des offiziellen chinesischen Schriftstellerverbandes, gehörte zur Delegation Chinas auf der Frankfurter Buchmesse 2009 und hat sich dort – wohl auf Anweisung von oben – den Debatten mit Dissidenten entzogen.

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".

Besonders übel wird ihm angekreidet, dass er 2012 zusammen mit 99 anderen Autoren an der Jubiläumsausgabe von Mao Zedongs Reden zur Literatur und Kunst mitgewirkt hat; Mao hatte darin 1942 die Kunst zur Dienerin der Revolution erklärt. Mo Yan leugnet nicht, dass er Kompromisse macht: Einer chinesischen Wochenzeitung hat er einmal gesagt, er sei im Alltag ein Feigling und nur beim Schreiben mutig.

Um diesen Mut zu sehen, muss man seine Bücher lesen. Zu ihren Leitmotiven gehört, wie kleine Leute auf dem Land der Willkür der Herrschenden ausgeliefert sind und sich ihren Anordnungen widersetzen. „Die Knoblauchrevolte“ zum Beispiel erzählt vom Aufstand eines Dorfes, das von der Misswirtschaft der örtlichen Behörden ruiniert wurde; die Revolte wird blutig niedergeworfen. In „Der Überdruss“ erscheinen die Landreform der 1950er Jahre und die Kulturrevolution seit 1966 als Abfolge von politisch angeleiteten, sinnlosen Gewalttaten, und heutige Behörden sind korrupt und dort gilt das Prinzip „nach oben buckeln – nach unten treten“.

In seinem Schreiben ist Mo Yan konsequent und wirklichkeitstreu

Mo Yan ist also keineswegs von Chinas Realität abgehoben, wie der Künstler und Dissident Ai Weiwei sagt. Die Forderung, ein Künstler müsse in China klar politisch Stellung beziehen, ist problematisch. Dass Ai Weiwei und andere dazu den Mut haben, verdient größte Hochachtung. Doch wenn politische Eindeutigkeit eine Voraussetzung für große Kunst wäre, hätte Mao 1942 Recht gehabt. Dessen Ästhetik gilt in China nicht mehr, und dazu hat gerade Mo Yan wesentlich beigetragen: In seinen Büchern gibt es keine makellosen sozialistischen Helden, sondern schillernde, ausschweifende und verführbare Charaktere. Mo Yans persönliche Haltung mag ähnlich mehrdeutig sein. In seinem Schreiben aber ist er zügellos, konsequent und der Wirklichkeit treu – in all ihrer schmerzhaften Widersprüchlichkeit. Genau das macht seine Bücher zu Weltliteratur.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2012: Die Wirtschaft entwickeln
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