„Viele Menschen sterben nur, weil sie zu arm sind“

Der Tschad gehört zu den Ländern mit der höchsten Mütter- und Säuglingssterblichkeit: Statistisch gesehen stirbt bei jeder hundertsten Geburt die Mutter. Und jede zehnte Geburt endet für den Säugling tödlich. Der Leiter des evangelischen Krankenhauses von Koyom, Doktor Djékadoum N’dilta, erklärt, warum Frauen oft den Gang in die Klinik scheuen und was ihn in der abgelegenen Stadt hält.

Warum gehen im Tschad nur so wenige Frauen zur Entbindung in eine Gesundheitseinrichtung?

Armut und mangelnde Bildung sind dafür die Hauptursachen. Vor allem in den ländlichen Gegenden im Tschad wissen viele Leute gar nicht, wie wichtig eine Schwangerschaftsvorsorge und die fachliche Betreuung bei der Entbindung für die Gesundheit von Mutter und Kind sind. Die Kinder kommen wie eh und je zu Hause auf die Welt, wo es häufiger zu Komplikationen kommt und die hygienischen Bedingungen schlecht sind. Entsprechend viele Kinder und Mütter sterben bei der Geburt. Oft ist es aber auch eine Frage des Geldes, dass Schwangere selbst im Notfall keine Gesundheitseinrichtung aufsuchen. Wir erleben oft, dass Frauen viel zu spät zu uns kommen. Aus Angst vor den Kosten für einen Krankenhausaufenthalt zögern sie und ihre Angehörigen zu lange und hoffen, dass das Kind doch noch auf normale Weise zur Welt kommt. Erst wenn gar nichts mehr geht, werden die Frauen zu uns ins Krankenhaus gebracht. Und dann ist es oft zu spät.

Gilt das nur für Entbindungen?

Nein, auch in anderen Fällen wie zum Beispiel Malaria warten viele Menschen zu lange ab und versuchen, mit traditionellen Heilmitteln wieder gesund zu werden. Wenn sie dann doch noch zu uns kommen, können wir oft nichts mehr für sie tun. In manchen Fällen komme ich als Allgemeinmediziner nicht weiter. Wenn ich den Patienten sage, dass sie in einem größeren Krankenhaus geheilt werden könnten, lehnen viele trotzdem ab und kehren wieder in ihre Dörfer zurück. Sie wissen, dass sie sich weder die Fahrt in die Stadt noch den Krankenhausaufenthalt dort leisten können und wir wissen, dass sie sterben werden, wenn sie wieder nach Hause gehen. Bei uns sterben viele Menschen einfach nur, weil sie zu arm sind.

Gibt es von staatlicher Seite aus Unterstützung?

Der Tschad ist das fünftärmste Land der Welt. Entsprechend schlecht ist die gesamte Infrastruktur insbesondere auf dem Land. Bis vor kurzem wurde von staatlicher Seite aus nichts gemacht. Seit zwei Jahren sind die Notfallbehandlungen in den staatlichen Krankenhäusern und Gesundheitszentren aber kostenlos. Als kirchliche Einrichtung mussten wir bei den Behörden sehr viel Druck machen, damit wir ebenfalls staatliche Gelder für den Notfallbereich bekommen. Seit einem Jahr müssen auch bei uns die Patienten für Notfallbehandlungen und die ersten drei Tage im Krankenhaus nichts zahlen.
Sie arbeiten seit 13 Jahren am evangelischen Krankenhaus in Koyom. Wie lebt es sich in Koyom?
In Koyom ist nichts los. Mit 2000 Einwohnern ist es ein Dorf. Strom gibt es nicht, außer im Krankenhaus. Wenn die Sonne untergegangen ist, ist es überall dunkel. Es gibt keinen Supermarkt, nur einmal in der Woche ist Markt. Selbst wer Geld hat, kann sich in Koyom oft nichts kaufen. 

Sie stammen nicht aus Koyom. Wie sind Sie dorthin gekommen?
Ich habe mit einem kirchlichen Stipendium Medizin in Benin studieren können. Voraussetzung war, dass ich mich verpflichte, nach meinem Abschluss zehn Jahre lang in einer kirchlichen Einrichtung zu arbeiten.

Diese zehn Jahre sind längst vorbei. Was hält Sie in Koyom?

Diese Frage stelle ich mir selbst auch immer wieder. Viele Kollegen würden gar nicht erst nach Koyom gehen und können nicht verstehen, warum ich nicht schon längst in einer größeren Stadt meine eigene Praxis aufgemacht habe. Aber ich sehe, wie wichtig ich für die Menschen in Koyom bin. Im Einzugsgebiet des Krankenhauses leben knapp 90.000 Menschen. Für sie bin ich der einzige Arzt und ihre Dankbarkeit stärkt mich. Bis vor einem Jahr waren wir noch zwei Mediziner. Mein Kollege hat es aber nicht mehr ausgehalten und ist gegangen. Was würden die Menschen machen, wenn ich auch noch gehen würde? Trotzdem merke ich immer wieder, dass ich an meine Grenzen komme.

Was sagt Ihre Familie dazu?

Als wir geheiratet haben, wusste meine Frau zum Glück, auf was sie sich einlässt. Ich war damals schon Arzt in Koyom. Unser Sohn aber ist jetzt zwölf und kommt aufs College. Er wird nach N’Djamena zur Schule gehen müssen. In Koyom gibt es zwar auch ein College. Aber das ist keine Option für uns. Dort unterrichtet nur ein einziger Lehrer. Gerade jetzt, wo wir uns von unserem Sohn trennen müssen, stellen wir uns natürlich wieder einmal die Frage, wie lange wir noch bleiben.

Haben Sie schon eine Antwort?

Ich habe mir eine Frist bis 2015 gesetzt. Gerade laufen einige Projekte, von denen ich mir eine Verbesserung der Gesundheitssituation in Koyom erhoffe. Zusammen mit dem Deutschen Institut für Ärztliche Mission (Difäm) bilden wir seit drei Jahren Hilfshebammen, sogenannte Matronen, aus. Sie arbeiten in den Gesundheitszentren, gehen zu den schwangeren Frauen in die Dörfer, machen die Vorsorgeuntersuchungen und klären insgesamt über die Risiken während der Schwangerschaft und bei der Entbindung auf. Die einfachen Geburten können die Matronen selbst betreuen. Und wenn es zu Komplikationen kommt, begleiten sie die Frauen ins Krankenhaus. Dieses Angebot wird sehr gut angenommen. Den Frauen fällt es leichter, eine Gesundheitseinrichtung aufzusuchen, wenn sie wissen, dass sie dort von einer Frau untersucht werden. Eine wichtige Rolle spielt aber auch, dass wir jetzt den kostenlosen Transport vom Dorf ins Krankenhaus anbieten können. Wenn wir hören, dass es einer Schwangeren schlecht geht, schicken wir unseren Fahrer los.

Konnte durch dieses Projekt die Müttersterblichkeit gesenkt werden?

Im Vergleich zu 2008 hat sich 2011 die Zahl der Schwangeren, die zur Vorsorge gehen, verdoppelt und auch die Zahl der medizinisch begleiteten Geburten ist fast um das Doppelte gestiegen. Im vergangenen Jahr haben in unserem Krankenhaus 300 Frauen entbunden. Nur eine Frau ist dabei gestorben. Und in diesem Jahr hatten wir bis Mitte September sogar schon 337 Entbindungen, ohne einen einzigen Todesfall beklagen zu müssen. Im Vergleich zu den Nachbardistrikten stehen wir sehr gut da.

Was müsste noch geschehen, um die Gesundheitssituation in Koyom langfristig zu verbessern?

Mein Traum ist, dass wir es schaffen, eine Krankenversicherung aufzubauen. Zwar müssten die Leute erst überzeugt werden, dass sie von dem wenigen Geld, das sie haben, etwas in die Versicherung einzahlen. Vermutlich könnte die Versicherung auch nicht gleich alle Kosten im Krankheitsfall übernehmen. Wenn die Menschen aber wissen, dass sie für die Behandlung der üblichen Krankheiten nichts oder nur sehr wenig zahlen müssen, würden sie schneller eine Gesundheitseinrichtung aufsuchen und wir könnten ihnen helfen, bevor es zu spät ist.

Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck. 

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erschienen in Ausgabe 12 / 2012: Leben mit dem Klimawandel
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