Einen schnellen und weltweiten Umbau anstoßen

Nur mit Hilfe einer „großen Transformation" von Wirtschaft und Gesellschaft kann die Erderwärmung unter 2 Grad gehalten werden. Diese grundlegende Umwälzung sei schwierig, aber möglich, erklärt der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem Gutachten, das er im April der Bundesregierung übergeben hat.

Manche Bedingungen sind laut WBGU für eine große Transformation günstig: Die nötigen Technologien seien einsetzbar oder kurz davor, die politischen Steuerungsinstrumente wie der Emissionshandel bekannt, die Investitionen finanzierbar und der Wissenstransfer schneller als früher. Zu den Hindernissen zählten die Ausrichtung von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft auf das fossile Modell und das Wirken nicht näher benannter Vetospieler. Zudem könne der Klimawandel nur unter Beteiligung aller großen Industrie- und Schwellenländer noch gebremst werden - ein impliziter Weltgesellschaftsvertrag sei nötig. Die Institutionen der globalen Politik müssten gestärkt und nachhaltig ausgerichtet werden, etwa mit einer Aufwertung des UN-Umweltprogramms.

Der Beirat nennt drei vordringliche Handlungsfelder: Energieerzeugung und Verkehr müssten künftig ohne fossile Brennstoffe auskommen, die Freisetzung von Treibhausgasen aus Waldvernichtung und Landnutzung beendet und das Wachstum der Städte nachhaltig gestaltet werden. Da sich allein in Asien die Stadtbevölkerung in zwanzig Jahren auf 3 Milliarden Menschen verdoppeln soll, ist das eine enorme Aufgabe. Die „große Transformation" muss bewusst angestrebt werden. Dazu sollen laut WBGU sowohl Pioniere und laufende Umbauprozesse gestärkt als auch zentrale Weichen umgestellt werden. Vor allem müsse der Ausstoß von Treibhausgas einen Preis bekommen. Erforderlich sei ein starker gestaltender Staat in Verbindung mit neuen Mitsprache- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung. Wie brauchbar dieses Leitbild über Europa hinaus ist, etwa in China, bleibt offen.

Obwohl er die Hindernisse benennt, wirkt der Bericht recht optimistisch. So diagnostiziert der WBGU einen globalen Wertewandel Richtung Nachhaltigkeit - was das bedeutet, bleibt unklar. Auch einige Lücken fallen auf: Die Notwendigkeit eines anderen Lebensstils wird nur erwähnt, das einzige konkrete Beispiel ist der Fleischkonsum. Über die Frage, ob das Wirtschaftswachstum begrenzt werden muss, hat der WBGU lange diskutiert mit dem Ergebnis, dass es für eine nachhaltige Energieversorgung nicht zwingend sei. Doch unsere Wirtschaftsweise droht noch weitere planetare Grenzen zu sprengen; das zeigen etwa das Artensterben und die Überfischung der Meere.

Auch soziale Ungleichheit wird in der Zusammenfassung nicht erwähnt (des gesamte Gutachten liegt noch nicht vor). Dabei behindert sie nicht nur die Verbreitung eines „grünen" Lebensstils. Ein rascher Strukturwandel belastet Menschen mit wenig Vermögen und Bildung besonders und erzeugt Unsicherheit. Das dürfte umso mehr Konflikte hervorrufen, je weniger die Sozialsicherung ausgebaut und die Ungleichheit vermindert wird. Es trägt außerdem zusätzlich zu Ungleichheit bei, wenn man - wie der WBGU empfiehlt - für die erforderlichen Investitionen privates Kapital mobilisiert und es mit guten Renditen belohnt. Dem mit einer anderen Besteuerung entgegenzuwirken oder Kapital alternativ aus Zwangsanleihen und Vermögensabgaben aufzubringen, zieht der WBGU nicht in Betracht. Darüber sollte ohne Tabus nachgedacht werden. Jedenfalls, so die Kernbotschaft des WBGU, darf die große Transformation keinesfalls weiter verzögert werden.

www.wbgu.de

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erschienen in Ausgabe 5 / 2011: Die Freiheit des Glaubens
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