Mit dem Mut der Verzweiflung

Klimaschutz
Die Aussichten sind düster. Trotzdem sollten wir für Klimaschutz und eine bessere Welt kämpfen, meint Tillmann Elliesen. Allein schon, weil es Spaß macht.

Unlängst saßen mein 17-jähriger Sohn und ich in einer lauen Sommernacht bei uns zuhause auf dem Balkon. Es war spät, alles schlief um uns herum, die Stadt friedlich und ruhig. Wir sprachen über den Klimawandel und er fragte mich: „Glaubst du, der Mensch schafft es, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen?“ Ich überlegte kurz, antwortete dann aber ehrlich: „Ich fürchte, nein.“

Kein schönes Gefühl, dem eigenen Nachwuchs durch die Blume zu sagen, dass es in der Welt, in der er erwachsen sein wird, voraussichtlich um einiges ruppiger zugehen wird als in der Welt, in der sein Vater groß geworden ist.

Denn die meisten Fachleute sind sich einig, dass die Erderhitzung das Leben auf diesem Planeten in vielerlei Hinsicht deutlich ungemütlicher machen wird – nicht nur im fernen Afrika, sondern auch bei uns. Und nicht nur in ökologischer Hinsicht, sondern auch gesellschaftlich und politisch. Das australische Breakthrough National Centre for Climate Restauration hat in einer neuen Studie durchgespielt, was bei einer Erhitzung um drei Grad im schlimmsten Fall passieren könnte. David Spratt, einer der Autoren, sagt in einem Interview, ein solcher Klimawandel führe möglicherweise „zum Ende menschlicher Zivilisation und moderner Gesellschaft, wie wir sie kennen“.

Ähnlich hat das die neue Klimaschutzikone Greta Thunberg formuliert, und auch bei ihr klang das ein wenig zu apokalyptisch. Absehbar ist aber, dass sich der Druck auf Gesellschaften in vielen Regionen der Welt stark erhöhen wird. Wetterextreme werden häufiger, aus der Not geborene Migration wird zunehmen, Landwirtschaft wird schwieriger und Wasser knapper werden. Als Reaktion rechnet Spratt mit wachsendem religiösem Fanatismus und Chaos bis hin zum Zusammenbruch von Staaten.

Warnungen vor einer „Klima-Apartheid“

Ein ähnlich düsteres Bild zeichnet der UN-Sonderberichterstatter zu extremer Armut und Menschenrechten, Philip Alston. Der Klimawandel drohe die Erfolge aus 50 Jahren Armutsbekämpfung zunichte zu machen, sagte Alston im Juni vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. Laut Alston droht eine „Klima-Apartheid“ – eine Zweiteilung der Menschheit in jene, die sich vor den Folgen der Erderhitzung schützen können, und jene, die ihr schutzlos ausgeliefert sind. Auch Alston fürchtet, dass das zu gesellschaftlichen Verwerfungen, zu Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus führen wird. Der Klimawandel bedroht nicht nur die Menschenrechte auf Leben, Wasser und Ernährung, sondern auch die Demokratie und den Rechtsstaat, sagt Alston.

Wer angesichts solcher Aussichten nicht hin und wieder verzweifelt, ist entweder ignorant oder naiv. Manche der prognostizierten Folgen für Umwelt, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zeichnen sich ja bereits ab, und viele reagieren darauf heute schon mit Angst und Wut. In unserer Gesellschaft äußert sich das im Erstarken von Rechtspopulismus, Hass auf das Fremde und dem Glauben an einfache Lösungen. Es äußert sich im Erstarken einer AfD und anderer rechtsextremer Gruppen, die ihrerseits die Wut immer wieder anfachen. Die Wut hat in den vergangenen Jahren die politische Tagesordnung bestimmt und die Gesellschaft vor sich her getrieben.

Die Aussicht eröffnet, dass eine andere Welt möglich ist

Aber es ändert sich was. Seit einem guten halben Jahr bricht sich Mut verstärkt Bahn, und das nicht nur auf der Straße in Demonstrationen, sondern auch in der Politik. Die jungen Klimaschützer von „Fridays for Future“, die Woche für Woche für ihre Zukunft demonstrieren, haben gezeigt, dass Politik mehr sein kann, als die Rechten in Schach zu halten und die Wut nicht Oberwasser gewinnen zu lassen. Vor wenigen Monaten noch von Politikern arrogant belächelt, haben sie dazu beigetragen, dass Klimaschutz im Bundestag und im Europaparlament auf einmal ganz oben auf der Agenda steht – und dass im Bund und in den Ländern ernsthaft über politische Bündnisse links der Mitte nachgedacht wird.

Die jungen Leute haben die Aussicht eröffnet, dass eine andere Welt möglich ist. Insofern ist „Fridays for Future“ heute schon die wichtigste zivilgesellschaftliche Bewegung der vergangenen Jahre. „Weil es mir einfach Spaß macht“, antwortet ein junger Aktivist in der Zeitschrift „Publik-Forum“ auf die Frage, warum er so viel Zeit in sein Engagement investiert. Es ist diese Zuversicht und Leidenschaft, die „Fridays for Future“ manchen alten Umwelt- und Entwicklungsverbänden voraushat – und die deren Routine und Erfahrung wunderbar ergänzen könnte.

Wird der Mensch es schaffen, die Erderhitzung auf zwei Grad zu begrenzen? Ich fürchte, nein. Das entlässt uns aber nicht aus der Verantwortung, mit dem Mut der Verzweiflung weiter daran zu arbeiten, dass die düsteren Aussichten nicht Wirklichkeit werden.

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Wer keine Klimakatastrophe sieht, ist nicht ignorant oder naiv. Man müsste den Buben fragen, was er den selbst gegen den Klimawandel tun wird. Ob Arm in Arm mit Greta gegen hemmungsloses Wirtschaftswachstum demonstrieren schon etwas bewirkt? Wohl kaum. Wer meint 200 Jahre Verbrennen von fossiler Energie hätten den Klimawandel forciert, könnte schon Recht haben. Aber dann wäre das CO2 klimawirksam, das schon da ist und nicht das eine Prozent, das jährlich hinzukommt. Bisher hat jede Klimademo nur eine Partei gestärkt, die nichts mit der Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte zu tun hat. Aber was wollen die Grünen? Welche Welt soll da geformt werden? Sobald die Antworten sichtbar werden, tauchen schon die Klippen auf. Beispiel E-Mobilität: Hunderttausende Arbeitsplätze werden verschwinden, weil in E-Autos viele Komponenten der Verbrenner nicht gebraucht werden. Beispiel CO2-Steuer: Natürlich kommt die nie, denn wenn in Deutschland eine weitere Steuer auf Kraftstoff käme, würde im nahen Ausland getankt. Mit nicht durchsetzbaren Maximalforderungen machen sich Politiker lächerlich. Und nicht zuletzt Deutschlands Stellung im Weltmaßstab betrachtet: Die Deutschen stellen etwas mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung, so ist auf demokratischen Weg nichts zu erreichen. Junge Leute sind gut beraten, sich auf das Machbare zu konzentrieren. So kann jeder sofort bei sich selbst anfangen. Das ist dann vorbildlich und generiert ein gutes Gewissen

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erschienen in Ausgabe 9 / 2019: Mission und Macht
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