Peking handelt, Brüssel zaudert

Europa ist im Begriff, sich als Klimaschutz-Vorreiter zu verabschieden
Europa ist im Begriff, sich als Klimaschutz-Vorreiter zu verabschieden

(11.11.2013) Verhandlungen wie jetzt auf dem Klimagipfel in Warschau werden bis 2015 keine universellen und verpflichtenden Minderungsziele bringen, sagt „welt-sichten“-Chefredakteur Bernd Ludermann. Eine destruktive Rolle spielt auch Deutschland: Die angebliche Klimakanzlerin Angela Merkel hat gerade erneut strengere Abgasstandards für Autos abgeblockt. Und eine große Koalition wird wohl den Ausbau der erneuerbaren Energien zugunsten der Kohle abbremsen.

Macht der Klimawandel Pause? Wer den jüngsten Bericht aus dem Weltklimarat (IPCC), in dem Wissenschaftler aus aller Welt den Forschungsstand festhalten, so deutet, der irrt leider. Zwar ist die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche in den vergangenen 15 Jahren langsamer gestiegen, als Klimamodelle erwarten ließen. Als Ursache kommen natürliche Schwankungen der Sonnenstrahlung und der Meeresströmungen im Pazifik in Frage, aber auch Unzulänglichkeiten der Modelle. Doch der langfristige Trend, betont der IPCC, zeige weiter eine starke Erwärmung. Andere Symptome der Klimaänderung wie die Erwärmung und Versauerung der Ozeane halten ungebremst an. Den Anstieg des Meeresspiegels veranschlagt der IPCC nun höher als im vorigen Bericht und ebenso die Gewissheit, dass die Erwärmung im Wesentlichen vom Menschen verursacht wird: Die Chance eines Irrtums liegt hier unter fünf Prozent.

Die Wissenschaftler nennen nun auch Höchstwerte für die vertretbare Gesamtmenge der künftigen Emissionen. Nicht zufällig war das in den Verhandlungen mit den Regierungen über die offizielle Zusammenfassung des Berichts besonders strittig. Denn es bedeutet: Wenn man noch eine reale Chance haben will, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, müssen global die Emissionen, die weiter steigen, klar begrenzt werden und sehr bald sinken. Theoretisch sollten nun die Staaten, die sich ja zum Zwei-Grad-Ziel bekannt haben, die notwendigen Einschränkungen untereinander aufteilen.

Der Wankelmut der Europäischen Union ist bedrückend

Doch dieser Top-Down-Ansatz ist mit den Mechanismen der internationalen Politik kaum vereinbar. Und das nicht nur wegen der mächtigen Lobbys für fossile Energien. Zu so tiefgreifenden ökonomischen Eingriffen lässt sich kein bedeutender Staat von außen zwingen. Der Versuch, global verbindliche Ziele zu vereinbaren, ist zuletzt in Kopenhagen 2009 gescheitert – vor allem an den beiden größten Emittenten China und USA. Stattdessen sollen die Staaten sich nun selbst Emissionsziele setzen und sie den Vereinten Nationen (UN) melden. Viele haben das getan – auch Entwicklungsländer. Doch dieser Bottom-Up-Ansatz hat ebenfalls zu wenig Wirkung: Selbst wenn alle bisherigen Zusagen streng eingehalten werden, ist bis 2100 eine Erderwärmung um mehr als drei Grad sehr wahrscheinlich.

Verhandlungen wie jetzt auf dem Klimagipfel in Warschau werden bis 2015 keine universellen und verpflichtenden Minderungsziele bringen. Der Kongress in den USA würde dem nie zustimmen – auch wenn Präsident Obama und einige US-Bundesstaaten mehr gegen Treibhausgase tun wollen. Im besten Fall kommt jetzt der Klimaschutz voran, wenn einzelne Staaten praktisch zeigen, dass er möglich und mit Wohlstand vereinbar ist. Auch deshalb ist so wichtig, dass die Energiewende in Deutschland gelingt, die etwa in Indien aufmerksam beobachtet wird. Zugleich sollten Vorreiter aus Nord und Süd Koalitionen bilden. Dann können globale Verhandlungen vieleicht Druck auf die Staaten aufbauen, ihre Ziele freiwillig zu erhöhen, und einen Mechanismus schaffen, die Einhaltung zu überwachen und die Lasten zu teilen. Auch wenn das weniger bringt als für das Zwei-Grad-Ziel nötig, ist es die beste Chance.

Berlin nötigt südlichen EU-Mitgliedern statt „grüner“ Investitionen Sparprogramme auf

Ansätze dafür gibt es. China etwa hat ehrgeizige Ziele für Energieeffizienz und erneuerbare Energien verkündet. Das wird wegen des hohen Wirtschaftswachstums den Anstieg seiner Emissionen zunächst nur verlangsamen. Doch neuerdings experimentiert das Land mit Emissionshandel, und die Staatsführung ist schon wegen der enormen Luftverschmutzung interessiert, die Emissionen bald zu senken.

Umso bedrückender ist der Wankelmut der Europäischen Union (EU). Sie hat das Ziel „20 Prozent weniger Emissionen bis 2020“ schon erreicht, kann sich aber nicht durchringen, es anzuheben. Hier bremst das Kohleland Polen. Aber auch Deutschland spielt eine zunehmend destruktive Rolle. Die angebliche Klimakanzlerin Angela Merkel hat gerade erneut strengere Abgasstandards für Autos abgeblockt. Ihre Partei hat Mitte des Jahres im Europaparlament gegen einen Versuch gestimmt, den Absturz der Preise für Emissionsrechte zu stoppen. Man muss sogar fürchten, dass eine große Koalition in Berlin den Ausbau der erneuerbaren Energien zugunsten der Kohle abbremst – nicht zuletzt auf Druck der SPD aus Nordrhein-Westfalen. Zudem nötigt Berlin südlichen EU-Mitgliedern statt „grüner“ Investitionen ein Sparprogramm auf, während Deutschland seinen Startvorteil bei Öko-Technologien festigt. Das untergräbt das Vertrauen, dass Gewinne und Kosten in Europa fair verteilt werden, und damit jede europäische Klimastrategie. Eine Pause beim Klimaschutz dürfen wir uns aber nicht leisten. 

 

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Danke für die schöne Vorlage, Herr Ludermann, wo ich doch gerade nach meinem Beratungsauftrag aus China zurück gekommen bin. Mit Interesse notiere ich eine Richtungsänderung in Ihrem Beitrag. Da wird nun schon deutlicher, wie wenig Sie auf wirksame Entscheidungen unserer Politiker hoffen. Leider legen Sie noch immer so großen Wert auf die Verlautbarungen des IPCC. Dabei ist jedem logisch Denkenden klar, nicht die zukünftigen Einträge in die Lufthülle sind entscheidend, sondern die schon vorhandenen. Wer also das CO2 in der Lufthülle für entscheidend hält, muss auf den seit 150 Jahren zunehmenden Verbrauch von fossiler Energie blicken. Das ist dann die klimawirksame Menge CO2 und die verschwindet nicht. Erfreulich finde ich den Hinweis auf Sonnenstrahlung und den Einfluß der Meere, denn über die Unabänderlichkeit dieser Einflußgrößen brauchen wir nicht zu diskutieren. Eine Verminderung des Verbrauchs fossiler Energie ist nicht in Ländern mit forciertem Wirtschaftswachstum zu erzielen. Und in Europa auch nur, weil es wirtschaftlich sinnvoll geworden ist, Energie und Rohstoff verschlingende Produktionen ins Ausland zu verlagern. Dabei ist es pure Heuchelei, China wegen seines Energiehungers zu rügen, aber die bei uns so beliebten Solarzellen dort zu bestellen. Was mir noch fehlt in Ihrem Beitrag ist der Hinweis auf sinnigen Mitteleinsatz. Es nützt den Obdachlosen in den Katastrophengebieten nichts, wenn die Weltgemeinschäft den Klimagasausstoß auf den Stand von 1900 bringt. Das wird Tornados in den USA, Wirbelstürme in den Tropen und immer höhere Hochwasser bei uns nicht verhindern. Wie ich schon in einigen Kommentaren geschrieben habe, sollte man know how und Geld für die Anpassung an die offenkundig stärker zerstörerischen Bedingungen anpassen. Schon ein kurzer Blick auf die vom Wirbelsturm zerstörten Städte macht deutlich, man kann Häuser bauen, die nicht dem Erdboden gleich gemacht werden und man kann Stromleitungen so verlegen, daß die Stromversorgen nicht dauerhaft zusammenbricht. Hierfür know how und Geld bereitzustellen macht Sinn. Da haben uns die Chinesen mancherorts schon überholt. Dort stellt man Laternenmasten mit Solarzelle und Speicher auf. Da werden keine Kabel verlegt, wird nicht ans öffentliche Stromnetz angeschlossen. Der Mast ist in einer Stunde eingegraben und beleuchtet schon in der kommenden Nacht die Strasse. Ein Ergebnis meiner Beratung in China ist, 2014 kommt eine Delegation, die sich hier vorhandene Biogasanlagen anschaut. Nun ist nicht der Moment gekommen, reflexhaft "Mais und Maismonokultur" zu schreien. Es geht um energetische Verwertung von Biomüll und Ernteresten, die bisher auf den Feldern verbrannt werden

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Lieber Herr Lohmann, danke für Ihren Komentar. Natürlich fehlt in meinem Artikel vieles, ich bitte aber um Verständnis, dass man in einem Text von nur einer Seite nicht neben dem Klimaschutz auch noch das Problem Anpassung abhandeln kann. Daher nur zwei Entgegnungen: Erstens, ich sehe in der Tat für die naturwissenschaftliche Seite des Klimaproblems die Ergebnisse des IPCC als die verlässlichste vorliegende Quelle an. Wenn Sie bessere Erkenntnisse haben, sollten Sie die dringend in dessen Diskussionsprozess einspeisen. Und zweitens verstehe ich nicht, was Sie meinen, wenn Sie vergangene Emissionen als entscheidend bezeichnen. Natürlich: CO2 reichert sich an, und schon die bisherigen Emissionen führen zu einem Anstieg der Durchschnittstemperatur. Das kann man aber nicht mehr rückgängig machen. Wie hoch die Konzentration von Treibhausgasen jetzt noch weiter steigt, darüber entscheiden  zweifellos die künftigen Emissionen. Ich weiß nicht recht, worauf Sie in Kern hinauswollen. Mir scheint, Sie wollen sagen, dass Klimaschutz nicht möglich ist und man besser gleich in die Anpassung investiert. Das sehe ich anders: Man muss sofort in die Anpassung investieren. Aber die Chance, so das Schlimmste abzuwenden, ist leider gering, wenn nicht gleichzeitig das Ausmaß der breits unvermeidlichen Erwärmung begrenzt wird. Sicher: Auch die Chance dazu ist klein. Darüber soll man sich keine Illusionen machen. Über die Grenzen der möglichen Anpassung an völlig neuartige Klima-Verhältnisse aber bitte auch nicht.

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Lieber Herr Ludermann, schade dass Ihnen manches nebulös erscheint, was für mich sonnenklar ist. Deshalb versuche ich deutlicher zu machen: Die Klimaveränderungen sind mit einer Begrenzung des Zuwachses nicht aufzuhalten. Wer jetzt Unheil abwehren will, muss handeln und nicht fordern. CO2 verschwindet nicht, es reichert sich in der Lufthülle und in den Meeren an. Was nicht durch die Assimilation in C und O zerlegt wurde, ist dauerhaft vorhanden. Deshalb sind die riesigen Mengen CO2 seit 150 Jahren am "glasshouse effect" stärker beteiligt, als was jährlich dazukommt. Darum sind auch alle Einsparungen vielleicht erst in 50 Jahren wirksam. Hier nochmal ein Zitat aus dem Streitgespräch Lomborg/Welzer im STERN vom 2.Mai 2013. "....die kostspieligen Einsparungen der letzten 20 Jahre machen nicht einmal wett, was China monatlich in die Atmosphäre pustet." Der von Ihnen favorisierte Klimaschutz, also der Appell, CO2 zu vermeiden, wird weiter jedes Jahr Abertausende Leben kosten. Ich habe Ihnen mal geschrieben, dass die Verbesserung der Deiche rund um New Orleans einen Bruchteil der Schadenssumme gekostet hätte, von den dann geretteten Menschen mal abgesehen. Aber auch bei uns reiht sich ein Jahrhunderthochwasser ans nächste. Es ist Konsens, dass der Weltenergieverbrauch bis 2050 um mindestens 30% zunehmen wird, allein durch das Wirtschaftswachstum in den BRIC-Staaten. Dort hört man nicht auf Appelle. Deshalb deuten Sie meine Zeilen richtig, den Beschwörungen nun Taten folgen zu lassen. Sie nennen das "Anpassung", ein ziemlich schwacher Begriff für die gigantische Aufgabe, von Unwettern bedrohte Regionen auf das vorzubereiten, was offensichtlich näherkommt. Fordern Sie also mehr Taten und nicht CO2-Reduzierung. Die bekommen Sie erst, wenn die fossilen Quellen zur Neige gehen.

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