Kein Grund zum Feiern für Namibia

Der Namibia-Kenner Henning Melber analysiert in seinen Essays die nachkoloniale Lage in dem südwestafrikanischen Land. Dabei spart er nicht mit Kritik.

Am 21. März diesen Jahres jährte sich zum 25. Mal die Unabhängigkeit Namibias. Das ist für die einen vor allem ein Grund zum Feiern, während andere kritisch das bisher Erreichte in den Blick nehmen. Henning Melber schaut distanziert und pointiert auf die Entwicklung von Politik und Gesellschaft zurück. Herausgekommen ist ein gut lesbarer Essayband, der neue sowie an anderer Stelle bereits veröffentlichte, bearbeitete Texte vereint.
Seine Bilanz fällt nach 25 Jahren Unabhängigkeit ernüchternd aus. Melber kam 1967 mit seinen Eltern ins Land und engagierte sich in den folgenden Jahrzehnten in der und für die damalige Befreiungsbewegung SWAPO (South-West Africa People‘s Organisation). Er widmet sich vor allem der neuen politischen Wirklichkeit, die von der übermächtigen, zur Partei gewandelten SWAPO dominiert wird. „Autoritäre Demokratie“ nennt Melber diese Form der Regierungsführung angesichts einer satten Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament und mehr als 80 Prozent Zustimmung für den neuen Präsidenten Hage Geingob.

Darüber hinaus skizziert der Autor die neuen sozialen Verwerfungen und die Kluft zwischen einer gut betuchten neuen Aristokratie und der breiten Bevölkerung, die nicht oder nur wenig davon profitiert hat, dass die SWAPO an die Macht gekommen ist. Namibia sei ein „armes reiches Land“, in dem die Kommandobrücken der Wirtschaft nach wie vor von alten kolonialen Eliten gehalten werden, zu denen sich eine neue Schicht der eng mit der Regierungspartei verbundenen Oberschicht gesellt.

Melber beschäftigt sich jedoch nicht nur mit der äußerst gemischten Bilanz der Regierung. Er thematisiert auch Formen des Gedenkens in Namibia, die die Kultur der Herrschaft besonders gut zum Vorschein bringen. Er schickt die Leser auf einen Stadtrundgang in Windhoek und widmet sich der Kontroverse um das Reiterdenkmal in der namibischen Hauptstadt und den neu entstandenen Gedenkorten für die Befreiungskämpfer und jetzigen Regierenden.

Sowohl der Heroes Acre, der Heldenfriedhof, als auch das Denkmal für den „unbekannten Soldaten“, wurden – wie schon in Simbabwes Hauptstadt Harare – von einer nordkoreanischen Firma realisiert. Melber zufolge wurde die Chance vertan, über die angemessene Art des Gedenkens an den Befreiungskampf pluralistisch und frei zu debattieren. Vielmehr gleiche die Gedenkpolitik der kolonialen Geschichtsschreibung: Sie übertünche Widersprüche und nehme die Interpretation des Befreiungskampfes für sich in Anspruch.

Neben allen, die sich für die Entwicklung von Politik und Gesellschaft in Namibia interessieren, richtet sich Melbers Buch auch an die Tausenden deutschsprachigen Touristen, die das Land jedes Jahr besuchen. Mit seiner Hilfe können sie hinter die Kulissen des Werbebildes von grenzenloser Wildnis, unberührter Tierwelt und edlen, genügsamen Schwarzen blicken. Nicht nur ihnen sei das Buch nachdrücklich empfohlen.

Ruben Eberlein

 

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