Weniger wäre mehr

Der französische Ökonom Serge Latouche rechnet mit dem Wachstumswahn ab – unterhaltsam und einleuchtend. Praktische Vorschläge für Alternativen kommen leider zu kurz.

Degrowth: Das ist kein neues Konzept. Schon in den 1970er Jahren dachte etwa der französische Sozialphilosoph André Gorz über den Wert der Arbeit nach, wie sie organisiert ist, was sie mit uns macht und ob man sie nicht anders aufteilen könnte. Wie wir anders arbeiten könnten, das ist ein Pfeiler der Überlegungen rund um Degrowth, das sich mit Wachstumsrücknahme übersetzen lässt. Einer der führenden Verfechter ist der ebenfalls aus Frankreich stammende Serge Latouche, emeritierter Wirtschaftsprofessor aus Paris.

Worum genau geht es? Latouche macht sich die Mühe vorzurechnen, was allen Menschen bewusst sein sollte, die bei klarem Verstand sind, was die meisten aber, vor allem in den Industrieländern, ignorieren: Die Ressourcen des Planeten Erde sind endlich, aber die Menschen verbrauchen sie weiter in rasantem Tempo und tun so, als könne das so bleiben. Autos, Fernreisen, Kleidung, Fleisch: Man arbeitet hart und belohnt sich dafür mit Konsum. Soll es das gewesen sein?

Aus dieser Sackgasse will Latouche die Leserinnen und Leser führen, und das tut er unterhaltsam und bissig auf knappem Raum. Mit prägnanten Verweisen auf vorrangig französische und italienische Denker skizziert das Buch, worum es geht: Dass sich „im Norden wie im Süden autonome, sparsame, solidarische Gesellschaften“ entwickeln. Dass lokale Produktion dominiert und nicht die Haltung der Konsumenten, alles zu jeder Zeit haben zu können. Dass die Alleinherrschaft der Autoindustrie gebrochen wird. Dass Bürgersinn ein wichtigerer gesellschaftlicher Wert wird als Wettbewerb – um nur einige Punkte zu nennen, die mal sachlich, mal mit polemischen Spitzen und auch vereinzelt unsachlich vorgetragen werden.

Was soll dieser vom Verlag mit einigen Jahren Verspätung aus dem französischen übertragene Essay für eine bessere Welt erreichen? Wer nur ein wenig darüber nachdenkt, muss schon sagen: Serge Latouche hat nach wie vor Recht! Alle bisherigen, halbherzigen politischen Projekte einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise genügen nicht, der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist zum skandalösen Gummiwort verkommen. Keine Regierung in Deutschland ist bisher bereit, den Wählerinnen und Wählern wirklich einmal etwas zuzumuten, was nur im Entferntesten nach Verzicht aussehen könnte. Denn die zucken schon zusammen, wenn ein fleischfreier Tag pro Woche in Kantinen vorgeschlagen wird. Düstere Aussichten.

Deshalb sollte das Konzept des „Degrowth“ in Schulen zum Pflichtthema werden, nicht nur ein kleiner Kreis, sondern alle sollten darüber nachdenken, wie sie leben wollen und wie das gutgehen soll. Leider mangelt es in Latouches Buch an derlei praktischen Vorschlägen, wie Wachstumsrücknahme machbar ist. Das Fazit gerät zum intellektuellen Sahnehäubchen, statt noch einmal konkreter zu werden, Optionen aufzuzeigen anhand von Projekten, und Ansätzen, die motivieren. Zum Einstieg ins Thema lässt sich das Buch dennoch empfehlen, mit kleinen Abstrichen.

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