Vertreibung aus dem Billigparadies

Die sozialen und ökologischen Kosten von Einkäufen bei Discountern und Online-Händlern sind hoch, das zeigt einmal mehr der US-amerikanische Soziologieprofessor Michael Carolan. Er schlägt einen „Weg der Erschwinglichkeit“ vor, der Schlechtes besteuert und Gutes belohnt.

Es ist schön, wenn man als Professor für Soziologie an einer US-amerikanischen Universität nicht sparen muss, sondern nur dann zu Walmart geht, wenn man Anschauungsmaterial für Vorlesungen über den Billigwahn braucht. Michael Carolan widmet dem Einzelhandelsriesen und Aushängeschild für „Cheaponomics“ ein ganzes Kapitel. Das Unternehmen sei von den amerikanischen Steuerzahlern subventioniert, schreibt er, vor allem weil viele seiner Angestellten aufgrund der schlechten Entlohnung Sozialhilfe bezögen. Für Carolan ein Beleg für seine These, dass es immer jemanden gibt, der die „externalisierten Kosten“ des Billighandels begleicht – in diesem Fall der Staat.

Weniger schön ist es, wenn man darauf angewiesen ist, billig einzukaufen – auch online, was laut Walmart-Werbung besonders preisgünstig ist. Zwar tragen Online-Shopper nicht zur „autozentrierten Gesellschaft“ bei und nutzen auch keine Gratis-Plastiktüten. Dafür aber einen Computer, über den es in dem Buch heißt: „Sie haben diesen Rechner gekauft, aber bezahlt hat ihn jemand anderes“ (insbesondere billige Arbeitskräfte in armen Ländern).

Mehr als 2,5 Tonnen beträgt das virtuelle Gewicht eines Laptops, zeigt Carolan auf. Denn bei dessen Herstellung würden unter anderem 260 Kilogramm fossile Brennstoffe verbraucht. Dazu komme der (Kohle)Strom für den Rechner und vor allem für die energieintensiven Server. Der CO2-Fußabdruck des gesamten IT-Sektors entspreche dem des weltweiten Luftverkehrs, schreibt Carolan.

Wer jetzt immer noch gerne online einkauft, den bewegt vielleicht Carolans markiger Satz zur Umkehr: „In unseren elektronischen Geräten zirkuliert virtuelles Blut.“ Damit spielt er auf den zur Produktion nötigen Rohstoff Coltan an. Die Nachfrage danach habe „jedes Jahr Vergewaltigung, Folter und Mord an Hunderttausenden unschuldiger Kongolesen zu Folge“, da rivalisierende (oft ausländische) Milizen um die Kontrolle über die Coltanminen kämpfen. Dazu zitiert Carolan einen früheren Soldaten der kongolesischen Armee mit der Aussage: „Für euren Laptop mussten Menschen sterben.“

Supermarktkunden könnte der (Kauf)Appetit ebenfalls vergehen, denn das Buch beschäftigt sich auch mit „dem hohen Preis billiger Nahrungsmittel“. Dazu stellt der Autor fest: Wer wenig verdient, hält sich meist an energiedichte, aber nährstoffarme billige Lebensmittel, um die täglichen Kalorien zu beschaffen. So schlägt er den Bogen zu Fehlernährung und Fettleibigkeit aus Mangel an sozialer Gerechtigkeit.

In der zweiten Buchhälfte rückt der Autor den Wandel der energieintensiven, billigwarenorientierten Lebensweise hin zu einer nachhaltigen und gerechten Gesellschaft in den Blick. Dabei glaubt er, dass höhere und gerechte Preise notwendig und möglich sind, ohne dass die Verbraucher in den Industrieländern auf Wesentliches verzichten müssen.

Da horcht der Käufer auf – auch der mit wenig Geld: Michael Carolan will die Gesellschaft kaufkräftiger machen. Es geht ihm nicht nur um eine Preisgestaltung, die die externalisierten Kosten berücksichtigt. Er gibt auch Empfehlungen für einen „Weg zur Erschwinglichkeit“ ab. Als da wären: „Kollaborativ“ konsumieren, also „die Dinge so herstellen, dass sie es aushalten, geteilt und vermietet  zu werden“, Schlechtes besteuern, Gutes belohnen, mehr Transparenz und Demokratie schaffen, fußgänger-freundliche Gemeinden entwickeln, reparierbare Produkte herstellen, Wettbewerbsgesetze durchsetzen, einen Höchstlohn festlegen. Und: Alle Arbeit unter der Weltbevölkerung so aufteilen, dass die gesamte Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter etwa zwanzig Wochenstunden arbeitet.

Das kann allerdings noch ein Weilchen dauern. Bis dahin bleibt die Frage: Wo kaufen Menschen ein, deren Einkommen sich von dem eines Professors für Soziologie deutlich unterscheidet?

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