Lobgesang auf die Marktwirtschaft

Das Buch nervt: In Form einer höflichen, aber hartnäckigen Gehirnwäsche propagiert es einen missionarischen Glauben daran, dass Märkte, Daten und neue Technologien fast jedes Problem lösen können.

Grundsätzlich vergleicht Raj Kumar in seinem Buch alte und neue Konzepte der Hilfe. Die „neue Hilfsindustrie“, die er mit Silicon Valley-Größen wie Uber, Facebook und Tesla vergleicht, ermögliche über Internet, biometrische Identifikation und mobiles Banking, „die Armen der Welt direkt zu erreichen und Echtzeit-Ergebnisse darüber zu erhalten, was funktioniert und was nicht“. Dort, wo die „alte Hilfe“ alles um sonst hergegeben habe, gebe die „neue Hilfe“ beispielsweise nur, wo es sinnvoll sei - mit dem Ziel, örtliche Wirtschaft anzukurbeln und die Menschen in Arbeit zu bringen. Wo die „alte Hilfe“ mit einer großen Idee im Gepäck gekommen sei, frage die „neue Hilfe“ die Menschen vor Ort, woran es hapert, und helfe ihnen dann, ihre eigenen Ideen umzusetzen.

Die neuen Hilfskonzepte erläutert der Gründer der Internetplattform „Devex“ für globale Entwicklung in Kapiteln über milliardenschwere Philanthropen, arme Hilfsempfänger, Sozialunternehmen, direkte Finanzierung und Open-Source-Hilfe und weitere Themen. Dabei folgt jedes Kapitel einem simplen Schema: Nach ein paar pauschalen Behauptungen lobt der Autor völlig unkritisch einige Beispiele aus der Startup-Szene. Darauf folgt eine oberflächliche Zusammenfassung von Gegenargumenten, die sich angeblich mit besseren Daten und mehr Transparenz in Luft auflösen. Jedes Kapitel endet mit einem Plädoyer für neue Hilfskonzepte.

Auch ich kritisiere viel an alten Konzepten von Hilfe. Was also ist mein Problem mit dem Buch? Abgesehen vom etwas geschmacklosen Abfeiern der Milliardäre, stört mich die Uniformität der angepriesenen Heilmittel: Die Marktwirtschaft scheint für Kumar die Lösung für jegliche Probleme bereitzustellen.

Kumar ist klug und sachkundig. Er hat einen guten Instinkt für die Probleme überkommener Hilfskonzepte – aber dieser Instinkt wird von seinem Glauben an die Marktwirtschaft überschattet. Die Menschen sind bei ihm kaum mehr als isolierte und rational handelnde Individuen, die auf Informationen und Bedürfnisse reagieren. Jeder für sich ist wundervoll, was zu seiner Entfaltung fehlt, sind Geld, Informationen oder die passende App. Politiker sind nebensächlich, Machtverhältnisse sind irrelevant und politische oder wirtschaftliche Konflikte unbedeutend. Alle können gewinnen, niemand muss verlieren.

Das zeigt sich auch an seiner Darstellung der „wichtigsten Erfolgsgeschichte im globalen Gesundheitswesen in den letzten zwei Jahrzehnten“ – der Verbreitung der Aids-Behandlung insbesondere in Afrika. Kumar schreibt diesen Erfolg ausschließlich den US-Präsidenten George W. Bush und Bill Clinton zu. Kein Wort über umfassende und globale Kampagnen wie der Treatment Action Campaign, die von südafrikanischen Organisationen ins Leben gerufen wurde.  
Ein Teil von mir ist neidisch auf das luftige Selbstvertrauen des Autors und die Faszination für das Neue. Dieses Vertrauen ist berauschend und herausfordernd – und es gibt mit das Gefühl, dass ich ein alter Sack und ein Spielverderber bin. Aber ich glaube einfach nicht daran.

Übersetzung: Moritz Elliesen

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