Unsichtbarkeit als Überlebensstrategie

Jesper Bjarnesen, Simon Turner (Hg.): Invisibility in African Displacements. From Structural Marginalization to Strategies of Avoidance. Zed Books, London 2020, 270 Seiten, 26,30 Euro (Taschenbuch), kostenlos zum Download verfügbar
Jesper Bjarnesen und Simon Turner stellen in ihrem Sammelband Menschen aus Afrika vor, die in der Nachbarschaft ihrer Heimatländer Schutz suchen. Sie leben und arbeiten dort, vermeiden aber aus Angst vor Entdeckung jeden Behördenkontakt.
 
Das lesenswerte Buch berichtet über ein breites Spektrum von Geflüchteten: von zwangsverheirateten jungen Frauen im Niger und Migranten im ländlichen Kamerun über Flüchtlingsfamilien im Grenzgebiet zwischen Sudan und dem Tschad bis hin zu Vertriebenen in Burkina Faso. Die meisten von ihnen sind vor Gewalt, wirtschaftlicher Not oder beidem geflohen, haben also ihre Heimat nicht auf legalem Weg verlassen. Sie wohnen und arbeiten in ihren Zufluchtsländern ohne Papiere.

In insgesamt dreizehn Beiträgen, die von einer konzeptionellen Einleitung und einem kurzen Schlusswort eingerahmt werden, stellen Migrationsfachleute unterschiedlicher Disziplinen und aus verschiedenen Ländern Fallstudien vor. Etliche sind selbst aus afrikanischen Staaten migriert, um an europäischen Universitäten zu arbeiten. So ergeben sich multidisziplinäre Perspektiven, die eurozentrischen Einschätzungen vorbeugen.

Die Herausgeber wollen erläutern, wie sich Unsichtbarkeit auf diejenigen auswirkt, die sich entscheiden, unter dem Radar von Behörden und staatlichen Sicherheitskräften zu bleiben. Sie weisen darauf hin, dass Wanderarbeiter ohne gültige Papiere schon in früheren Generationen versuchten, durch Umgehung oder Manipulation der staatlichen Bürokratien Strafen oder gar Deportationen zu vermeiden. Gerade dadurch, dass sie im rechtlosen Raum leben, wurden und werden sie aber besonders verletzlich gegenüber Arbeitgebern und bei Kontrollen von Behörden.

Sichtbar– und im Visier von Schlägern

Wie sehr Unsichtbarkeit auch mit der Genderfrage verbunden ist, illustriert die Lage geflohener Homosexueller aus Uganda, die im Nachbarland Kenia zunächst in der Metropole Nairobi vorübergehend Schutz gefunden haben. Wegen der verschärften Hetze der ugandischen und kenianischen Regierung gegen Homosexuelle sahen sie sich jedoch gezwungen, in UN-Flüchtlingscamps im ländlichen Kenia umzuziehen. Doch auch das zuständige UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge konnte sie nicht vor Angriffen von homophoben Geflohenen, etwa aus Somalia, schützen. Denn besondere Schutzeinrichtungen in den Lagern brachten die Homosexuellen, die bis dato im Verborgenen gelebt hatten, ins Visier der Schläger. Eine Evakuierung als Asylsuchende in Drittstaaten war bislang nur wenigen möglich.

Simbabwische Hausangestellte in Botsuana wiederum sind zwar nicht von tätlicher Gewalt bedroht, entscheiden sich aber dennoch oft für ein Leben im Verborgenen. Konkret bedeutet das, sie fügen sich den Vorgaben ihrer zumeist weiblichen Chefinnen – wohlhabenden Städterinnen – und lassen von diesen sogar Geldüberweisungen an ihre Herkunftsfamilien vornehmen, um nicht an Bankschaltern oder in der Öffentlichkeit aufzufallen. Der Preis dafür ist Bestechung von Schmugglern, die sie über die Grenze bringen, oder von Polizisten, die ihnen auf die Spur kommen. Wer mehr über die Rechtlosigkeit von Wanderarbeiterinnen und -arbeitern, die Probleme von Geflohenen und deren Handlungsstrategien im Verborgenen erfahren will, dem sei dieses anschauliche Buch empfohlen.

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