Die Schmerzen der Veränderung

Leonardo Boff
Zukunft für Mutter Erde. Warum wir als Krone der Schöpfung abdanken müssen
Claudius Verlag, München 2012
316 Seiten, 22,80 Euro


Kurz vor dem UN-Gipfel Rio+20 ist Leonardo Boffs Buch in deutscher Übersetzung erschienen. Der profilierte Befreiungstheologe fasst darin noch einmal kenntnisreich, wenn auch ein wenig redundant, zusammen, was über den Zustand der Erde bekannt ist und gesagt werden muss. Das ist nicht neu. Trotzdem ist das Buch keineswegs überflüssig, denn Boff bleibt nicht bei der Beschreibung der Problemlage stehen, sondern führt darüber hinaus.

Boff schildert schonungslos die vom Menschen ausgehende Bedrohung der Erde; zugleich aber gelingt es ihm, für die Zukunft Perspektiven der Hoffnung aufzuzeigen. Er sieht die Erde in einer von Menschen heraufbeschworenen gefährlichen Krise, aber die Tragödie ist noch abzuwenden. Es besteht die Chance, so zu handeln, dass das Leben eine Zukunft hat. Aber die Menschheit ist in Gefahr, sie zu verspielen.

Für Boff ist der Mensch Teil der Erde: Die Gaia-Hypothese aufnehmend versteht er die Erde als einen Großorganismus, in dem alles durch Wechselwirkungen verbunden ist. Er gebiert Leben und erhält es. Doch die spätestens seit Beginn der Industrialisierung bestehende Zivilisation der Ausbeutung, die sich im Kapitalismus manifestiert, erweist sich als lebensfeindlich. Umkehr ist daher notwendig, eine Einschränkung des unbegrenzten Konsums und die Entwicklung eines neuen Ethos. Dieses Ethos, dessen Entstehen bereits sichtbar ist, führt eine achtsame, solidarische, ökologische, integrierende und spirituelle Zivilisation herauf.

Boff weigert sich vehement, anzuerkennen, dass das Leben insgesamt oder auch nur das menschliche Leben auf dieser Erde zwangsläufig zu einem schrecklichen Ende kommen muss. Angesichts der realen Bedrohung weist er immer wieder auf die Hoffnung hin, dass das Leben stärker sei als der Tod. Das ist nicht etwa Ausdruck trotziger Naivität. Boff sieht die Gefahr, in der wir stehen, aber auch die Möglichkeit der Rettung, die es zu ergreifen gilt. Sein Ansatz ist zutiefst spirituell. Das wird auch darin deutlich, dass er die für die Befreiungstheologie grundlegende Parteinahme für die Armen mit der Parteinahme für die Erde verbindet, denn die Erde ist „die große Arme“, die einbezogen werden muss.

Der Wert des Buches liegt darin, dass Boff seine Thesen vor einem weiten wissenschaftlichen und interreligiösen Horizont entwirft und dass er nicht bei der Schilderung der Gefahr stehen bleibt. Boff vertritt keine billige Hoffnung. Er betont vielmehr, dass wir schmerzhaften Veränderungen entgegen gehen, die Schmerzen aber seien Geburtsschmerzen. Etwas Neues ist im Werden. Es ist ein zeitgemäßes Buch. (Rudolf Ficker)

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Schiff aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!