Laurence C. Smith
Die Welt im Jahr 2050.
Die Zukunft unserer Zivilisation
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011,
480 Seiten, 22,99 Euro
Wie werden sich globale Veränderungen auf die Anrainer der Arktis auswirken? Dieser Frage geht Laurence Smith in seinem Buch nach, dem der Verlag leider einen irreführenden Untertitel verpasst hat. Denn der US-amerikanische Geowissenschaftler stellt keine Prognose für die ganze Welt auf, sondern fragt nach den Auswirkungen von vier großen globalen Kräften – Bevölkerungswachstum und Urbanisierung, Rohstoff verbrauch, Globalisierung sowie Klimawandel – auf die Region im hohen Norden. Der Untertitel des englischen Originals „Four Forces Shaping Civilization’s Northern Future“ trifft es dagegen genau.
Smith erklärt zunächst in knapp der Hälfte des Buches, wie die vier großen Kräfte sich global auswirken. Dabei beschränkt er sich auf zuverlässig erkennbare Tendenzen und verbietet sich Spekulationen über wundersame technische Durchbrüche, unabsehbare Katastrophen wie Seuchen – er nennt das „böse Flaschengeister“ – sowie einen neuen Weltkrieg. Er erwartet eine Welt um 2050, in der die Zahl der Menschen um die Hälfte gewachsen ist, besonders in den Tropen und Subtropen. Sie sind im Durchschnitt reicher, städtischer und älter als heute. Der Klimawandel und mehr noch das Wachstum der Wirtschaft und der Bevölkerung haben vielerorts Wasser und Rohstoffe knapp werden und den Meeresspiegel leicht ansteigen lassen. Erneuerbare Energiequellen sind ausgebaut worden, aber fossile Brennstoffe können laut Smith bis 2050 nicht vollständig ersetzt
werden. Dann befasst er sich genauer mit den Folgen für die Arktis. Hier, so erklärt er, steigen die Durchschnittstemperaturen besonders stark, und so wird insbesondere Sibirien weniger lebensfeindlich. Der Norden ist zudem wasserreich und besitzt große Erdöl- und Erdgasvorkommen, deren Ausbeutung laut Smith zu erwarten ist. Er schildert aber nicht nur die Chancen, sondern auch die Grenzen einer wirtschaftlichen Nutzung der Arktis. Man erfährt etwa, dass ein wärmeres Klima den Zugang auf dem Seeweg erleichtert, auf dem Landweg aber erschwert. Denn der tauende Boden trägt keine Straßen, und die Eispisten, über die heute im Winter der Lastverkehr rollt, werden künftig nur eine viel kürzere Zeit im Jahr befahrbar sein.
In diesem Teil behandelt Smith politische und soziale Themen. Er schildert beispielsweise, dass die Anrainerstaaten – ausgenommen Russland – gefestigte Rechtssysteme besitzen, der indigenen Bevölkerung relativ weitgehende Rechte einräumen und offen für Zuwanderung sind. Kriege und Konflikte um Bodenschätze im Norden hält er deshalb für unwahrscheinlich und erwartet, dass dort multikulturelle Gesellschaften entstehen – auch wenn das Ausmaß der Zuwanderung begrenzt bleiben wird. Die Indigenen werden ihre Lebensgrundlage als Jäger einbüßen, aber im und am Abbau der Rohstoffe gut verdienen.
Der Ton des Buches ist angenehm unaufgeregt. Smith nimmt nüchtern die Ambivalenz vieler Trends in den Blick. Souverän und gut verständlich erklärt er Befunde aus zahlreichen Wissenschaftsgebieten und behält bei allen Details den Blick für das Wesentliche. Wenn es um die Arktis geht, schiebt er immer wieder Beispiele und Geschichten aus eigener Anschauung ein. Das Buch ist fesselnd und erklärt sehr sachkundig manches, was man immer schon verstehen wollte – besonders über Klimawissenschaft und Geografie. So sind die Passagen zu den Süßwasserquellen auf der Erde sehr lehrreich.
Am Schluss relativiert Smith die eigenen Überlegungen: Er fragt, welche „bösen Flaschengeister“ das Bild deutlich ändern könnten. Explodierende Erdölpreise oder einen neuen Wirtschaftsprotektionismus hält er nicht für ausgeschlossen. Doch vor allem weist er darauf hin, dass man bisher nicht weiß, ob das Auftauen des Permafrostes in der Arktis die Erderwärmung zusätzlich beschleunigen, ob der Meeresspiegel stärker steigen oder ob der Golfstrom, der Westeuropa wärmt, sich deutlich abschwächen wird. So legt man das Buch mit der Erkenntnis aus der Hand, dass es durchaus schlimmer kommen kann, als Smith erwartet.
Bernd Ludermann
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