Geboren wurde Manizha Bakhtari 1972 in Kabul. Die erste Herrschaft der Taliban ab 1996 erlebte sie hautnah mit: Frauenverachtung, eingeschränkte Bildungsmöglichkeiten für Mädchen, verpflichtende Vollverschleierung auf der Straße. Bakhtaris Leidenschaft galt damals der Literatur und dem Schreiben. Nach dem Sturz des ersten Taliban-Regimes 2001 unterrichtete sie Journalismus an der Universität Kabul, schrieb Zeitungskolumnen, veröffentlichte Bücher. „Ich habe mich selbst weitergebildet, viel gelesen über Feminismus, Gleichstellung und Ungleichheit. Wenn man für eine Sache kämpfen will, braucht man Argumente“, sagt sie. Neben wissenschaftlichen Arbeiten etwa zu Fragen der Ethik im Journalismus schrieb sie Romane und Kurzgeschichten. Im September erschien ihr neuer Band mit Kurzgeschichten auf Farsi.
2006 folgte der Schritt in die Diplomatie. Das Außenministerium suchte gezielt nach jungen Frauen. Bakhtari wurde eingeladen und stieg rasch auf: als Stabschefin im Ministerium, später Botschafterin in Norwegen und schließlich Anfang 2021 in Wien. „Ich bin in einem Land groß geworden, in dem Frauen systematisch benachteiligt werden“, sagt sie. „Zu Hause waren wir drei Mädchen und ein Junge, unsere Eltern waren sehr offen, sie haben uns nie diskriminiert. Aber ich habe gespürt, wie die Gesellschaft auf uns blickte.“ Schon als Kind sah sie, wie Frauen geschlagen und von ihren Familien unterdrückt wurden.
Von den Taliban entlassen, doch Bakhtari bleibt
Als im August 2021 die Taliban erneut Kabul erobern, trifft ein offizielles Schreiben in Wien ein: ihre Entlassung. Doch Bakhtari lässt sich nicht beirren: „Ich habe keine Regierung mehr, die ich vertrete. Aber ich habe mein Volk. Ich wurde von einer gewählten Regierung eingesetzt. Und ich kann nicht schweigen.“ Die österreichische Regierung, die das Taliban-Regime nicht anerkennt, führt sie bis heute offiziell als Botschafterin Afghanistans.
Seit der Machtergreifung der Taliban ist ihre Arbeit geprägt von Improvisation. Die Botschaft musste aus Kostengründen in kleinere Räume umziehen, das Team wurde von über zwanzig auf vier Mitarbeitende reduziert. Viele Dienstleistungen wie die Visaerteilung sind nicht mehr möglich. Passverlängerungen und Identitätsfeststellungen, etwa für Aufenthaltsverfahren oder die Beglaubigung von Dokumenten, führen sie jedoch weiterhin durch. Die Einnahmen aus den Konsulargebühren finanzieren die Gehälter der verbliebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die allerdings entsprechend schwanken.
Gleichzeitig ist Bakhtari weiterhin als ständige Vertreterin Afghanistans bei den Vereinten Nationen in Wien akkreditiert. Das Mandat wurde ihr nicht entzogen, da die UN wie die Mehrheit der Staaten die Taliban nicht anerkennen. „Meist schweige ich in Sitzungen, denn ohne Regierung habe ich keine offizielle Position. Doch die bloße Anwesenheit ist wichtig. Sie zeigt: Wir existieren noch“, sagt sie. Damit ist sie nicht allein. Rund 18 afghanische Botschafter und Konsuln weltweit arbeiten Bakhtari zufolge unabhängig von den Taliban, etwa in Australien, Kanada, Kuwait und einigen europäischen Staaten. Sie beraten einander und stimmen Strategien im Geiste der vorherigen Regierung ab.
Österreich lehnt Zusammenarbeit mit den Taliban ab
Die Staaten gehen unterschiedlich mit der Situation um. Norwegen etwa lud die Taliban 2022 als erstes europäisches Land zu Gesprächen ein. Für Bakhtari war das ein Schock: „Ich habe Norwegen immer als vorbildliche Demokratie gesehen. Umso schmerzhafter war es, zu sehen, wie die Taliban in Oslo empfangen wurden. Wer sie in Europa einlädt, normalisiert sie.“ Deutschland ließ im Juli 2025 Taliban-Entsandte ins Land, um Abschiebungen zu erleichtern – allerdings ohne diplomatische Anerkennung. Bakhtari sieht all dies mit Sorge: „Die internationale Gemeinschaft hat 20 Jahre lang die Taliban bekämpft. Wir haben Tausende von Menschen und unsere Infrastruktur verloren. Und jetzt will man diese bewaffnete Gruppe normalisieren?“
Autorin
Milena Österreicher
ist freie Journalistin und Chefredakteurin des MO-Magazins für Menschenrechte. Sie schreibt für welt-sichten über die österreichische Entwicklungspolitik.Sie kämpft für die Rechte der Frauen und Mädchen in Afghanistan
Ihre Mission hat inzwischen einen eigenen Schwerpunkt bekommen: den Kampf für die Rechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan. Denn diese wurden seit der Machtübernahme der Taliban immer weiter eingeschränkt. Mädchen dürfen keine weiterführenden Schulen besuchen, Universitäten haben Frauen weitgehend ausgeschlossen. Frauen ist der Zugang zu vielen Berufen untersagt, ihre Bewegungsfreiheit wurde stark beschnitten. Zudem wurden ihre Stimmen aus den Medien und der Politik verbannt.
Die Menschenrechtslage verschlechtere sich täglich, auch für Männer, sagt Bakhtari. In manchen Provinzen ist westlich anmutende Kleidung verboten, Männer müssen Bärte tragen. „Sie bilden eine neue Generation von Extremisten heran.“ Zudem sei die Wirtschaft zusammengebrochen. „Alle leiden, aber am meisten die Frauen und Mädchen, die im Prinzip zu Hause eingesperrt sind“, sagt die Botschafterin. Sie bezeichnet das als Genderapartheid.
Kraft schöpft sie aus dem Umgang mit den jungen Frauen in Afghanistan, mit denen sie in Kontakt steht und die trotz allem weitermachen. „Andere sagen hingegen: Dann gehe ich eben nicht mehr zur Schule, heirate und bleibe zuhause. Das bricht mir das Herz.“ Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, hat Bakhtari das Daughters Programme gegründet, eine Initiative, die Mädchen in Afghanistan durch finanzielle Hilfe, Mentoring und Zugang zu Online-Bildungsangeboten unterstützt.
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Dokumentarfilm über die letzte Botschafterin
Das Leben und Schaffen der Botschafterin hat in den letzten Jahren die österreichische Regisseurin Natalie Halla begleitet. Ihr Dokumentarfilm „Die letzte Botschafterin“ lief im Sommer im Kino. Darin sagt Bakhtaris Ehemann, er liebe seine Frau wegen ihrer Stärke. Sie selbst zögert: „Wenn es um Frauenrechte geht, gibt es für mich keinen Kompromiss. Aber es gibt auch Tage, an denen ich schwach bin, an denen ich verzweifle.“
Manizha Bakhtari bleibt bisweilen im Wiener Exil Repräsentantin Afghanistans und die vorerst letzte weibliche Botschafterin des Landes weltweit. Jeden Tag könnte ihr Status enden, wenn Österreich oder die internationale Gemeinschaft beschließen, die Taliban anzuerkennen. Doch bis dahin erhebt sie ihre Stimme: für die Frauen, für die Mädchen, für die Menschen in Afghanistan.

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