Die Abenddämmerung des Ölzeitalters

 

Peter Maass
Crude World.
The Violent Twilight of Oil
Alfred A. Knopf, New York 2009,
276 Seiten, 20,59 Euro

Dieses Buch ist unwiderstehlich. Nach wenigen Seiten stehen wir zusammen mit Autor Peter Maass staunend vor der gigantischen Ölraffinerie Ras Tanura am Persischen Golf, wo jeden Tag acht Millionen Fass Erdöl verarbeitet werden, ein Zehntel der Weltproduktion. Der saudi-arabische Ölminister Ali al-Naimi versichert uns, die Vorräte seines Landes seien noch lange nicht erschöpft und würden den Markt noch lange Zeit bedienen. Maass reist weiter in die Ölmetropole Dhahran und trifft dort einen früheren leitenden Manager des staatlichen Ölkonzerns Saudi Aramco, der seinem Minister klar widerspricht: Saudi-Arabien habe den Gipfel seiner Ölproduktion erreicht; die künftige Nachfrage darüber hinaus müsse aus anderen Quellen bedient werden. Nur aus welchen? „Wir gleichen dem benommenen Boxer, der bereits auf den Knien ist und nicht ahnt, wo ihn der nächste Schlag trifft“, beendet Maass das furiose erste Kapitel seines Buches.

Und das ist erst der Auftakt. Es folgt eine fesselnde, aber auch erschreckende Reise um die Welt des Öls. Maass schildert, wie die Abhängigkeit vom Schmierstoff der Weltwirtschaft überall Elend, Gewalt, Korruption und Umweltzerstörung hervorbringt – und für einige wenige sagenhaften Reichtum. Die Kapitel seines Buches tragen Titel wie „Plünderung“, „Fäulnis“, „Vergiftung“, „Angst“ und „Gier“ und sie handeln von der Zerstörung des Niger-Delta, der Kumpanei amerikanischer Politiker und Wirtschaftsbosse mit den Diktatoren neureicher Ölstaaten in Afrika, der Verseuchung des Dschungels in Ecuador oder der Entwicklung Saudi-Arabiens von einem unbedeutenden Beduinenreich zu einer Art Petrodollar-Disneyland, in dem die absurd reiche Herrscherklasse jedem nur erdenklichen Luxus frönt und gleichzeitig vom Volk die strenge Einhaltung archaischer Traditionen fordert.

Das alles ist nicht wirklich neu, dennoch ist das Buch, das inzwischen bei Droemer-Knaur auf deutsch erschienen ist, faszinierend von der ersten bis zur letzten Seite. Maass ist ein gewissenhafter und mutiger Journalist, der außerdem wunderbar schreiben kann. Sein Sprache ist sparsam und präzise und zugleich von beeindruckender Wucht und Anschaulichkeit. Die Beschreibung seiner Bootsfahrt durch das sterbende Niger-Delta erzeugt Bilder im Kopf, die lange haften bleiben. Sein Bericht von einer Konferenz amerikanischer Ölmagnaten erinnert stark an die Einführung der wichtigsten Ganoven in einem Mafiafilm aus Hollywood – mit dem Unterschied, dass die Typen, die Maass vorstellt, alle echt sind. Die Dialoge mit seinen Gesprächspartnern sind knackig auf den Punkt, als hätte ein Krimiklassiker wie Raymond Chandler sie sich ausgedacht. Meisterhaft wechselt Maass die Perspektiven: Erklärende Passagen für den Überblick wechseln mit Reportageabschnitten, die den Geschichten Leben und Gesichter geben. Das macht sein Buch informativ und zugleich äußerst unterhaltsam.

Für Maass ist die Ölindustrie zwangsläufig dreckig, korrupt und skrupellos, weil der Dollarfluss garantiert ist, sobald das erste Fass gefördert wird: „Es ist nicht der Kunde, der König ist und das Schicksal eines Unternehmens bestimmt, sondern der Präsident, Minister, Senator, Bürgermeister oder leibhaftige König, der die Förderlizenz gewährt.“ Das Muster-Ölland Norwegen ist für Maass nur eine Ausnahme, die diese Regel bestätigt. Und weil die weltweiten Vorräte schwinden, muss man wohl damit rechnen, dass die Abenddämmerung des Ölzeitalters, wie Maass sie uns beschreibt, künftig eher noch mehr von Gewalt geprägt und schmutziger sein wird als bisher schon. (Tillmann Elliesen)

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