„Indexfonds haben keinerlei sozialen Nutzen“

Spekulation mit Nahrungsmitteln
Viele Entwicklungswerke kritisieren die Spekulation mit Nahrungsmitteln, weil sie zu Hunger beitrage. Die Finanzmarktexpertin Ann Berg sagt: Spekulation ist nötig, aber man muss sie begrenzen.

Frau Berg, Sie haben selbst an der Börse gehandelt?
Ja. Ich habe zuerst als Exporteur für die Louis Dreyfus Corporation gearbeitet, einen der großen Vier auf dem Weltmarkt für Getreide. Dann bin ich 1981 nach Chicago gegangen und wurde für rund 18 Jahre unabhängige Rohstoff-Spekulantin.

Sind Spekulanten nützlich für Farmer und Käufer von Agrargütern?
Spekulation ist nötig, damit Käufer und Verkäufer sich gegen Preisrisiken absichern können. Spekulanten übernehmen von anderen Risiken, um Profit zu machen. Als Spekulantin habe ich mich als Opportunistin verstanden, nicht als sozial motiviert. Aber eine Studie, die die US-Regierung in den 1960er Jahren in Auftrag gegeben hatte, hat festgestellt, dass für jeden Marktteilnehmer, der sich absichern will – etwa Farmer oder Exporteure –, etwas mehr als ein Spekulant nötig ist, damit der Risikotransfer reibungslos funktioniert. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre gab es nicht genug Spekulation.

Haben deshalb damals die Preise stärker geschwankt als davor und danach?
Nein. Der Hauptgrund war der Kollaps des Bretton-Woods-Systems 1973, das die Wechselkurse anderer Währungen an den US-Dollar gebunden und diesen mit Goldreserven unterlegt hatte. Danach gab es eine hohe Inflation, die Ölpreise gingen hoch, und zudem kaufte die Sowjetunion große Mengen Getreide. Das verursachte enorme Preisspitzen bei Agrargütern wie Soja und Mais. Das beruhigte sich Ende der 1970er Jahre.

Ein Hauptinstrument des Risikomanagements an den Börsen sind Terminkontrakte. Wie funktionieren die – wird damit Getreide physisch verkauft?
Nein. Wenn ich Farmer bin und einen Mindestpreis für die künftige Ernte sichern will, kann ich zum Beispiel eine Vereinbarung verkaufen, dass mein Mais im September zu einem bestimmten Preis verkauft wird; das nennt man September-Futures. Wenn der Preis bis dahin fällt, verkaufe ich den Mais für was immer er bringt, gleiche aber die Einbuße durch den Gewinn aus dem Kontrakt aus. Dessen Besitzer, vielleicht ein Spekulant oder Ethanol-Produzent, verliert also Geld. Er gleicht das vielleicht mit anderen Anlagestrategien aus. Jeden Tag sammelt die Clearingzentrale der Börse die Einbußen der Verlierer ein und überträgt sie auf die Gewinner. Terminkontrakte sind handelbare Stellvertretungs-Instrumente. Für den Farmer wirkt das wie eine Versicherung.

Ist die Spekulation gewachsen und hat sie sich verändert?
Allerdings. Das war eine Folge der Deregulierung seit ungefähr 2000. Ein Wendepunkt war die Aufhebung des Glass-Steagall Act in den USA, der unter anderem die Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken vorschrieb. Danach begannen Banken auf den Rohstoffmärkten zu handeln. Und sie schufen aus Terminkontrakten Wertpapiere, die sie an Kleinanleger oder Pensionsfonds vermarkten konnten. Solche Indexfonds sind zu einer riesigen Geldmaschine für die Banken geworden. Sie nehmen Gebühren und beanspruchen einen Teil der Profite, beteiligen sich aber nicht an den Risiken. Ich kenne kein Produkt aus der Welt der Wertpapiere, das für Banken ähnlich profitabel ist. Das ist die Triebkraft der neuen Spekulation.

Wie wird aus Terminkontrakten ein Indexfonds?
Das Verfahren ist ziemlich kompliziert. Solche Fonds bestehen aus Futures auf eine Mischung von landwirtschaftlichen Rohstoffen, die, bevor sie fällig werden, ständig rolliert werden. Das bedeutet man verkauft zum Beispiel März-Futures und kauft Mai-Futures, später wiederholt man das. Der Index soll jederzeit das gewogene Mittel der Preise für Futures auf jene Rohstoffe abbilden, die der Fonds erfasst.

Beeinflussen Indexfonds und die hohen Summen zusätzlichen Anlagekapitals die Preise von landwirtschaftlichen Rohstoffen?
Das tun sie manchmal. Im größten Teil des Jahrzehnts ab 2000 gab es an der Rohstoffbörse in Chicago am Markt für Futures auf Weichweizen eine Inflation, weil riesige Indexfonds in den kleinen Markt investierten. Die dort gehandelte Weizenmenge betrug nur zehn Millionen Tonnen und Indexfonds besaßen Terminkontrakte über mehr als 20 Millionen. Dann ist es schwer, Marktteilnehmer zu finden, die kaufen, wenn Sie verkaufen wollen, und umgekehrt. Die Preise der Terminkontrakte wurden viel höher als die Tages-Weizenpreise. Für mich als jemand, die 35 Jahre in diesen Märkten tätig war, gibt es keine Frage, dass die neue Spekulation Verzerrungen auf dem Weizenmarkt verursacht hat.

Bringen Indexfonds nicht Geld und damit Liquidität in den Markt, so dass er besser funktioniert, nicht unter zu wenig Spekulation leidet?
Das ist das größte Scheinargument, das ich je gehört habe. Liquidität ist die Möglichkeit, je nach Preisbewegung in oder aus dem Markt zu gehen. Indexfonds kündigen aber lange vorher an, wann sie kaufen oder verkaufen. Sie reagieren gar nicht auf Preisbewegungen, das folgt alles einer mathematischen Formel. Indexfonds bringen also keine Liquidität, sondern ziehen Liquidität von anderen Marktteilnehmern ab. Sie brauchen ja jemanden, der etwa vier- bis fünfmal im Jahr für ihre angekündigten Käufe und Verkäufe, das Rollieren, den Gegenpart übernimmt. Mit ihren Geschäften geht praktisch keinerlei sozialer Nutzen einher.

Heißt das nicht, dass sie Preistrends folgen, statt sie zu machen?
Das stimmt. Sie haben nämlich keine Anlagestrategie außer Gebühren zu nehmen und eine Long-Position einzunehmen, also auf höhere Preise zu setzen. Long heißt bei einem Terminkontrakt die Partei, die gewinnt, wenn die Preise am Ende höher sind als erwartet; short heißt die, die bei niedrigerem Preis gewinnt. Bei Indexfonds liest niemand Ernteprognosen und sagt auch einmal, jetzt verkaufen wir lieber. Das tun Manager anderer neuer Marktteilnehmer, etwa von Hedgefonds. Auch die legen das Geld von Kunden an und kassieren hohe Gebühren. Aber sie nehmen auch Short-Positionen ein, wetten also auf fallende Preise, und passen ihre Anlagen ständig wechselnden Markterwartungen an. Solche gemanagten Fonds liefern den wahrscheinlich größten Beitrag zu großen Preisausschlägen.

Das heißt Indexfonds verstärken den Aufwärtstrend bei Nahrungsmittelpreisen, Hedgefonds verstärken die Preisschwankungen?
Genau. Gemanagte Fonds bringen Liquidität in den Markt und verkaufen und kaufen sehr aggressiv. Deshalb gibt es große Preisspitzen. Ende März zum Beispiel, als das US-Landwirtschaftsministerium ankündigte, dass Farmer Rekordmengen von Mais anbauen wollten, verkauften solche Fonds Terminkontrakte über riesige Maismengen. Der Preis brach stark ein. Solche Preissprünge machen es schwer, Futures zur Absicherung zu nutzen.

Was sollte man tun, um die schädlichen Aspekte der Spekulation einzudämmen?
Ich bin ein entschiedener Verfechter des Trennbankensystems. Geschäftsbanken sollten nicht selbst an der Börse handeln. Zum Beispiel spekulieren Banken zur Zeit auf sinkende Goldpreise. Gleichzeitig bieten sie ihren Kunden Gold-Indexfonds an, die auf steigende Preise setzen. Das ist ein klarer Interessenkonflikt. Außerdem wird ihr Handel vom Steuerzahler subventioniert, weil der sie rettet, wenn sie sich in Probleme bringen.

Braucht man darüber hinaus Regeln für Spekulationsgeschäfte mit Nahrungsgütern?
Positionsgrenzen wären hilfreich. Das heißt einzelne Händler dürfen nur bis zu einem gewissen Umfang auf steigende oder fallende Preise wetten. Solche Grenzen gibt es in den USA, aber sie sind so hoch, dass sie praktisch unwirksam sind. Doch das Problem könnte sich infolge von Spekulationsverlusten selbst erledigen – Kunden haben 2012 ein Fünftel ihres Geldes aus Indexfonds und Hedgefonds abgezogen.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann

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Banken profitieren vom Handel mit Nahrungsrohstoffen und treiben damit die Ärmsten dieser Welt in noch größere Hungersnöte! Die Initiative handle-fair.de klärt auf und sagt NEIN dazu!

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erschienen in Ausgabe 6 / 2013: Ungesunder Wohlstand
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