Ein Kessel unter Druck

In Tansania lebten Christen und Muslime lange Zeit friedlich zusammen. In jüngster Zeit sorgen jedoch Attentate auf Geistliche und Brandanschläge auf Kirchen für Angst und Schrecken in der Bevölkerung. Das Land befindet sich im Umbruch.

Mehr als 60 Prozent der Tansanier gehören nach Angaben des US-amerikanischen Pew Research Centers von 2010 dem christlichen Glauben an, 35 Prozent dem Islam. Beide Religionen sind in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich verteilt. Seit einigen Monaten versuchen Gruppen von radikalen Muslimen, Unfrieden zwischen den Christen und Muslimen zu stiften.

Sowohl auf Sansibar, wo die Christen mit zwei Prozent deutlich in der Minderheit sind, als auch auf dem Festland wurden Brandanschläge auf Kirchen und Attentate auf Geistliche verübt. Im Februar wurde auf Sansibar ein katholischer Priester durch Schüsse schwer verletzt, wenige Tage später wurde ein anderer Priester erschossen. Ein Mufti, der sich im interreligiösen Dialog auf Sansibar engagiert, betonte öffentlich, solche Taten seien nicht mit dem Islam vereinbar. Kurze Zeit später wurde er selbst Opfer eines Säureattentats. In Flugblättern drohte eine radikal-islamische Gruppe all jenen Vergeltung an, die sich zu diesen Attentaten kritisch äußern.

Anfang Mai fand die Gewaltwelle ihren vorläufigen Höhepunkt. Bei der Weihe der neuen katholischen Kirche in Arusha explodierte eine Bombe, die zwei Menschen tötete und mehr als 60 verletzte. Kleinere Reibereien zwischen den Anhängern beider Religionen habe es auch in der Vergangenheit gegeben, sagt Manfred Scheckenbach, Tansania-Referent bei Mission Eine Welt in Neuendettelsau. „Jetzt hat die Gewalt ein neues Ausmaß angenommen.“

Von einem religiösen Konflikt könne allerdings nicht die Rede sein. Die Vorfälle gingen auf radikale Splittergruppen zurück, die eine Abspaltung Sansibars vom Festland anstreben. „Möglicherweise bekommen sie aus dem Ausland Unterstützung.“ Es gebe Hinweise, dass der amerikanische Geheimdienst auf Sansibar mögliche Verbindungen zu Al-Qaida untersuche.

Islamvertreter verurteilen die Anschläge als unislamisch

Die Kirchen in Tansania rufen zu Besonnenheit auf und vermeiden alles, was das bisher gute Verhältnis der Religionen beeinträchtigen könnte. Die lutherischen Bischöfe forderten nach einem schweren Brandanschlag in Daressalam im Oktober 2012 die christlichen Gemeinden und insbesondere die Jugend auf, von Rache und Vergeltung abzusehen. Auch die landesweite islamische Interessenvertretung Bakwata mahnt zur Besonnenheit und verurteilte die Anschläge als unislamisch.

Nach den Attentaten auf Sansibar betonten der tansanische Christenrat, die anglikanische Kirche sowie die Pfingstkirchen, dass die Gewalt nur von kleinen Gruppen von Muslimen ausgehe. Die Mehrzahl der Muslime verurteile die Vorfälle. Gleichzeitig nehmen die Kirchen die Regierung ins Visier und kreiden ihr an, nicht genug für den Schutz der Christen zu tun. In der Untätigkeit der Behörden sehen sie den Nährboden für weitere Übergriffe.

Fraglich ist allerdings, was solche Stellungnahmen bewirken und inwieweit die Kirchen für die christliche Bevölkerung sprechen. „Unter den Christen in Sansibar gibt es Stimmen, die die Erklärungen und die Fokussierung auf die Regierung als wenig hilfreich empfinden“, sagt Tobias Krüger, Tansania-Referent beim Leipziger Missionswerk. Egal, wer für die Taten zur Verantwortung gezogen werde, die Angst sei geschürt und habe das Lebensgefühl vieler Menschen stark verändert. Krüger sieht die Übergriffe auf Christen auf dem Hintergrund, dass Tansania sich allgemein im Wandel befinde. „Es kriselt und knistert an vielen Stellen.“

Seit 1992 hat Tansania ein Mehrparteiensystem. In den vergangenen 20 Jahren hatte die übermächtige CCM (Partei der Revolution) jedoch fast alle Fäden in der Hand. Dies stößt in der Bevölkerung zunehmend auf Kritik. „Viele rechnen damit, dass es spätestens bei den nächsten Wahlen 2015 zu einem wirklichen Wachwechsel kommt“, sagt Krüger. „Tansania ist wie ein Kessel, der unter Druck steht. An verschiedenen Stellen sucht sich der Dampf nun ein Ventil.“ 

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erschienen in Ausgabe 7 / 2013: Neues Wissen im Blick
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