Wiener Selbsthilfe

Österreichs bilaterale Entwicklungshilfe bleibt größtenteils im Lande. Rund 60 Prozent gehen an österreichisches Personal, an einheimische Unternehmen oder Auftragnehmer. Das geht aus einer Studie der Universität Neuchâtel in der Schweiz hervor. Das Finanzministerium scheint über die Ergebnisse nicht glücklich zu sein.

Die in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) erarbeitete Studie untersuchte für das Jahr 2010, welchen ökonomischen Effekt jeder als offizielle Entwicklungszusammenarbeit (ODA) abgerechnete Euro auf das österreichische Volkseinkommen hat. Demnach bleibt ein großer Teil der bilateralen Hilfe in Österreich, während der volkswirtschaftliche Nutzen multilateraler Leistungen eher klein ist.

Dieses Ergebnis scheint den Erwartungen der Auftraggeberin, Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP), nicht zu entsprechen: Die Regierung hat bislang nur eine knappe Zusammenfassung des Papiers veröffentlicht, obwohl es schon ein halbes Jahr vorliegt. Mögliche Erklärung: Die für Österreich besonders nützliche bilaterale Hilfe ist in den vergangenen Jahren stark gekürzt worden und wird weiter zusammengestrichen. 

Das Finanzministerium verwies für Nachfragen an die Österreichische Entwicklungsbank, die die Studie mitfinanziert hat. Die zuständige Beamtin durfte das offenbar brisante Papier aber nach Rückfrage im Finanzministerium nicht herausrücken. Der Hauptautor Alain Schoenenberger, Wirtschaftsprofessor an der Uni Neuchâtel, ist auch nicht zur Weitergabe autorisiert. Er wundert sich über die Österreicher: „Da kommt die Politik ins Spiel. Da kennen wir uns nicht aus.“ Schoenenberger hatte eine ähnliche Studie über die Schweizer Entwicklungshilfe gemacht. Da gebe es keine Geheimhaltung: „Bei uns muss das per Gesetz alle vier Jahre veröffentlicht werden.“

Für jeden Euro öffentliche Entwicklungshilfe seien 2010 durchschnittlich 53 Cent in die österreichische Volkswirtschaft geflossen, heißt es in der dreiseitigen Zusammenfassung der Studie; bei der bilateralen Hilfe seien es sogar 60 Prozent. Direkte Wirkungen ergeben sich aus Zahlungen an Personen, Organisationen und Unternehmen im Inland. „Indirekte Effekte stammen aus Rückflüssen meist über Aufträge an österreichische Unternehmen oder Nichtregierungsorganisationen“, so die Studie.

Wissenschaftliche Erkenntnisse sind nur dann willkommen, wenn sie der Politik in den Kram passen

Das Finanzministerium hatte Schoenenberger Anfang 2012 mit der Studie über Österreich beauftragt. Eine ehemalige Mitarbeiterin der Austrian Development Agency (ADA), fungierte als Beraterin, und die ÖFSE half mit Expertise und Datenmaterial. Demnach sind die Rückflüsse aus multilateralen Leistungen in Österreich viel kleiner als in der Schweiz. Zwar ist auch Wien ein Standort für UN-Organisationen, doch sind es weniger und kleinere Organisationen als in Genf. Allein der volkswirtschaftliche Effekt durch Beschaffungen ist daher dort viel größer.

Für Annelies Vilim, Geschäftsführerin des entwicklungspolitischen Dachverbands AG Globale Verantwortung, die auch nur die Zusammenfassung der Studie kennt, zeigt das Papier, „dass die bilaterale ODA viel mehr bringt, als die multilaterale“. Und das stehe in Widerspruch zur Tendenz, die multilateralen Leistungen zu stärken.

Schoenenberger sieht die Resultate der Studie als zweischneidiges Schwert: Gegner wie Befürworter von Entwicklungshilfe können sich in ihren Argumenten bestärkt sehen. Günther Schönleitner, im Finanzministerium für Internationale Finanzinstitutionen zuständig, drückt es so aus: „Natürlich stehen die Entwicklungseffekte im Zielland im Vordergrund. Aber es ist auch wichtig darzustellen, dass es auch positive Effekte im Inland hat.“

Beides soll man aus der Studie herauslesen können. Laut Alain Schoenenberger ist die Praxis, entwicklungspolitische Leistungen an Lieferungen aus dem Geberland zu knüpfen, in Österreich noch weiter verbreitet als in der Schweiz. Oft werde das aber nicht explizit im Vertrag vereinbart, sondern informell mündlich.

Der Umgang mit der Studie zeigt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nur dann willkommen sind, wenn sie der Politik in den Kram passen. Nicht nur in Österreich. Schoenenberger weiß von einer ähnlichen Studie in Deutschland, die unveröffentlicht in der Schublade verschwunden sei.

Ralf Leonhard

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erschienen in Ausgabe 9 / 2013: Solidarität: Was Menschen verbindet
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