Die Macht der Schulden

Bei überschuldeten Staaten denkt man heute als erstes an Südeuropa. Schwellenländer wie Indien gelten dagegen als neue Lokomotiven der Weltwirtschaft. Und auch die Schuldensituation der armen Staaten hat sich insgesamt gebessert. 36 arme und hoch verschuldete Länder, sogenannte HIPCs, haben seit 1999 einen Teilerlass ihrer Auslandsschulden erhalten.

Die meisten haben einen mehr oder weniger großen Teil des Geldes in Bildung und Gesundheit investiert, findet der jüngste Schuldenreport von erlassjahr.de und der Kindernothilfe.

Ist also das Schuldenproblem im Süden gelöst? Keineswegs. Zum einen kann ein Teil der unter der HIPC-Initiative entschuldeten Länder leicht wieder Zahlungsprobleme bekommen, warnt der Schuldenreport. Zum anderen kommen Warnsignale aus Ländern mit mittlerem Einkommen, etwa in Osteuropa und Zentralasien. Und aus Indien, Brasilien, Südafrika sowie der Türkei ist 2013 viel Kapital abgeflossen, weil Anleger eine weniger lockere Geldpolitik in den USA erwarteten.

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".
Das verweist auf ein Kernproblem der Weltfinanz­ordnung. Die USA geben mit dem US-Dollar die Weltwährung aus, setzen die Zinsen dafür aber nach ihrem nationalen Interesse fest. Japan und die Europäische Union (EU) spielen regional eine ähnliche Rolle. Sind die Zinsen im Norden niedrig, dann fließt massenhaft Kapital in Entwicklungsländer auf der Jagd nach höheren Renditen – auch in Spekulation und in unsolide Projekte wie Luxuswohnungen in der Türkei. Erhöht die Notenbank in den USA dann den Zins oder erscheint nur die wirtschaftliche Lage unsicher, so fließt das Kapital zurück. In betroffenen Staaten verliert die Währung an Wert, Zinsen steigen, unsolide Projekte platzen und Länder, die mehr importieren als exportieren, bekommen Finanzierungsprobleme.

Dieser Mechanismus lag schon den Schuldenkrisen in Lateinamerika der 1980er Jahre und der Asienkrise von 1997 zugrunde – auch wenn Misswirtschaft oder Strukturprobleme in den Ländern zu den Krisen beitragen. Das Problem ist seitdem größer geworden, weil die Hürden für grenzüberschreitende Investitionen und Kredite in vielen Ländern gesenkt worden sind, die Spekulation gewachsen ist, die Transfers sich beschleunigt haben und mehr Privatfirmen sich direkt im Ausland verschulden.

Die USA und die Eurozone pumpen billiges Geld in den Markt

Diese systembedingten Gefahren muss man verringern. Doch die Rezepte, mit denen die USA und die Eurozone zurzeit ihre eigenen Krisen angehen, bewirken das Gegenteil. Beide pumpen, nachdem sie 2008 den Vermögenseignern Verlustrisiken aus faulen Krediten abgenommen haben, billiges Geld in den Markt. Und Berlin drängt darauf, dass die Euro-Krisenländer Staatshaushalte und Einkommen kürzen, um „wettbewerbsfähig“ zu werden. So schrumpft die Nachfrage in Europa, was die EU mit einer Export­offensive auf Kosten Dritter ausgleicht. Mehr billiges Geld, aber weniger globale Nachfrage ist ein Rezept für Finanzblasen.

Schützen können sich Entwicklungsländer, indem sie Währungsreserven anhäufen wie asiatische Staaten seit 1997. Das geht aber nur mit Exportüberschüssen. Oder sie können wie Chile den Kapitalfluss bremsen, am besten schon den Zustrom von kurzfristigen Anlagen. Das ist für arme Staaten nicht leicht, und die Verlockung des billigen Geldes ist groß. Es muss aber erlaubt sein; Versuche der Industrieländer, in Freihandelsverträgen offene Kapitalmärkte festzuschreiben, sind schädlich.

Doch unter der heutigen Finanzordnung werden immer wieder Länder in Zahlungsnot geraten. Nach wie vor wird daher ein Insolvenzverfahren für Staaten gebraucht. Konzepte liegen seit langem auf dem Tisch: Eine neutrale Stelle muss feststellen, welcher Schuldenerlass nötig ist, damit ein Land wieder auf die Beine kommen und die übrigen Schulden bedienen kann. Das ist besser und für alle günstiger, als verschuldeten Ländern zunächst immer neue Kredite zu geben, mit denen sie alte Schulden abzahlen.

Zudem werden so private Kreditgeber einheitlich mit zur Kasse gebeten. Wenn die vorher wissen, dass sie ihr Geld verlieren können, steigt auch der Druck, es verantwortlich zu verleihen. Nicht zuletzt gilt es zu verhindern, dass die Mehrzahl der Gläubiger einem Land Nachlässe gewährt und einige wenige das ausnutzen und ihre gesamte Forderung einklagen – oder dass gar sogenannte Geierfonds Schuldtitel armer Länder aufkaufen, um sie einzuklagen.

Die Bundesregierung sollte eine europäische Initiative für ein Staateninsolvenzrecht auf den Weg bringen. Oder fürchtet sie, dass sie Geld und ein politisches Machtmittel in der EU verliert, wenn der Konkurs Griechenlands offiziell festgestellt und das Land von seinen Schulden befreit würde? 

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erschienen in Ausgabe 5 / 2014: Durchlass hier, Mauer dort
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