„Wir müssen es wagen, Fehler zu machen“

Solidarisch Wirtschaften
Beim solidarischen Wirtschaften bleiben die Kirchen bislang weit unter ihren Möglichkeiten, findet Klaus Heidel von der Heidelberger Werkstatt Ökonomie. Er erklärt, warum sie sich dieser Aufgabe jetzt stellen müssen und warum am Verzicht kein Weg vorbei führt.

In Diskussionen über sozial gerechtere Wirtschaftsformen ist oft von einer „Ethik des Genug“ die Rede. Das hört sich nach Verzicht an, und das lässt bei vielen die Alarmglocken schrillen. Kann die Kirche die Menschen auf diesem Weg mitnehmen?
Ja. Wir werden Verhaltensänderungen nicht über moralische Appelle erreichen, und wir dürfen den Menschen kein schlechtes Gewissen machen. Es ist eine zweischneidige Sache: Neue Formen der Arbeit und des Ausgleichs zwischen Arbeit und Freizeit schaffen neue Freiräume. Aber es bleibt dabei, dass es künftig nicht mehr möglich sein wird, zwei Mal im Jahr nach Thailand in Urlaub zu fliegen. Das heißt, ganz ohne Verzicht wird es nicht gehen – und das müssen wir auch deutlich benennen. Außerdem gehen Vorstellungen des guten Lebens für alle immer davon aus, dass die Kluft zwischen Arm und Reich geringer werden muss. Im Moment ist das Gegenteil der Fall. Es müssen zum Beispiel steuerpolitische Maßnahmen zur Umverteilung ergriffen werden, und auch das kann als Angriff auf den Besitzstand verstanden werden.

Welche Vorteile würden Sie herausstellen?
Wenn wir da, wo wir leben, die Erwerbsarbeit, die Familienarbeit, die Gemeinwesen- und Bildungsarbeit enger miteinander verzahnen, gewinnen wir mehr Freiheiten und Lebensqualität, der Zeitdruck nimmt ab. Das Tauschen und Teilen von Gütern sowie alternative Geldsysteme werden immer wichtiger. Ich bin da relativ optimistisch. Bei jungen Leuten erlebe ich, dass das Auto kein Statussymbol mehr ist. Sie brauchen kein eigenes Fahrzeug, sie brauchen Mobilität. Sie leihen sich ein Auto, fahren mit dem Zug oder mit dem Fahrrad. All das setzt aber voraus, dass man das gute Leben nicht über den Besitz definiert.

Das klingt tatsächlich optimistisch. Wo sehen Sie denn mögliche Gefahren?
Ich fürchte, dass es zu einer neuen Spaltung der Gesellschaft kommt. Eine kleine Gruppe gebildeter junger Menschen wird Spaß daran haben, neue Formen des Zusammenlebens zu entdecken. Eine größere Schicht von Menschen hingegen definiert sich weiter über den Erwerb und den Besitz von Dingen. Die einen werden sich aktiv politisch beteiligen, die anderen werden vielleicht noch nicht einmal mehr wählen gehen. Und zwischen beiden ist kaum noch Verständigung möglich. Ich bin skeptisch, ob die Kirche helfen kann, die Spaltung zu überwinden.

Welchen Beitrag können Kirchengemeinden leisten zu Formen von Umverteilung und solidarischem Wirtschaften?
Wir brauchen Orte, an denen wir alternative Praktiken entwickeln und erproben. Und da gibt es große gesellschaftliche Erwartungen an die Kirchen. Die Chancen der Gemeinden liegen in drei Feldern: Spiritualität, Auflösung von Blockaden, die einen Wandel verhindern, und praktisches Handeln. Dabei geht es unter anderem darum, Strukturen so zu verändern, dass ein gutes Leben möglich wird. Einer alleinerziehenden Mutter kann ich schlecht vorwerfen, dass sie im Discounter einkauft, wenn sie aufgrund ihrer Arbeitszeiten und des Angebotes vor Ort keine andere Möglichkeit hat. Aber vielleicht kann jemand anderes für sie den Einkauf übernehmen. Gemeinden könnten sich etwa an der Gründung einer Genossenschaft, einer solidarischen Landwirtschaft oder an Tauschringen beteiligen. Dafür brauchen wir aber eine neue spirituelle Grundlage, eine transformative Spiritualität. Auch in der Kirche hängt der Status in der Regel noch immer vor allem an materiellen Gütern.

Was verstehen Sie unter transformativer Spiritualität?
Es geht darum, achtsam zu sein, die Schöpfung wahrzunehmen, Besitz nicht mehr für das Maß aller Dinge zu halten. Daraus können wir politisches Engagement ableiten: etwa Machtstrukturen zu hinterfragen, die sozial ungerecht sind, oder die Grundzüge des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Eine solche Spiritualität hat im Protestantismus allerdings wenig Tradition, Spiritualität wird oft mit Esoterik verwechselt.

Wie beteiligen sich Gemeinden bereits an Initiativen des alternativen Wirtschaftens?
Der Kirchenbezirk in Mannheim ist schon lange beteiligt an einem Dienstleistungstauschring – der allerdings nicht besonders gut läuft. Insgesamt bleiben wir als Kirche hinter unseren Möglichkeiten zurück. Bislang beteiligt sich noch keine Gemeinde an der Transition-Town-Bewegung. Das sind Kommunen, die sich etwa darum bemühen den Verbrauch fossiler Energien zu verringern und die lokale Wirtschaft zu stärken. Wir könnten beispielsweise brachliegende Flächen für „urban gardening“ zur Verfügung stellen. Wäre doch schön, wenn um die Kirche herum Tomaten und Bohnen wachsen.

Wie können Gemeinden zu Vorbildern werden?
Für die Transformation gibt es keine Blaupausen. Wir brauchen Versuche, wir müssen es wagen, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Wir können nicht so tun, als säßen wir auf einer hohen Kanzel und könnten der Gesellschaft Dinge empfehlen, die wir nicht ausprobiert haben. Wer soll es außer uns tun? Aus unserer biblischen Tradition können wir viel Kraft schöpfen. In der badischen Landeskirche sind wir dabei, sechs Gemeinden zu suchen, die sich auf diesen Weg machen wollen. Wir denken darüber nach, Geld dafür über einen landeskirchlichen Fonds bereitzustellen. Zu den Vergaberichtlinien wird gehören, dass die Gemeinden ausdrücklich ermutigt werden, Fehler zu machen. Die meisten Gemeinden sind sehr darauf konzentriert, ihren eigenen Bestand zu sichern, und ihr finanzieller Spielraum ist gering. Die Mitglieder werden immer älter, die Kirchensteuer fließt spärlicher. Nur noch wenige junge Leute beteiligen sich aktiv am Gemeindeleben. Aber ich glaube, wenn sich Gemeinden auf den Weg der Transformation machen, gewinnen sie an Attraktivität.

Sie treiben den ökumenischen Prozess „Umkehr zum Leben – den Wandel gestalten“ hier in Deutschland maßgeblich mit voran. Wie ist er mit dem „Pilgerweg für Gerechtigkeit“ des Ökumenischen Rates der Kirchen verknüpft?
Der Pilgerweg sollte dem Austausch dienen zwischen Nord und Süd über Fragen, wie wir künftig produzieren und wirtschaften wollen und wie wir die Verhältnisse ändern können. Die Arbeitsfelder des Konziliaren Prozesses – Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung – sollten stärker miteinander verknüpft werden. Wir brauchen einen systemischen Ansatz, um den nötigen Wandel zu gestalten. Inzwischen gibt es aber die Tendenz, dass sich die getrennten Arbeitsbereiche einen Wettlauf um die Finanzmittel liefern. Das ist dann das Ende einer Bewegung. Aus unserer deutschen Initiative, die von 31 Kirchen und kirchlichen Organisationen getragen wird, haben sich inzwischen leider die kirchlichen Wohlfahrtsverbände verabschiedet. Dabei ist die große Transformation eine zentrale Herausforderung auch für sie.

Inwiefern?
Der angestrebte Umbau der Wirtschaft zu weniger Kohlenstoffverbrauch kann in eine Postwachstumsökonomie führen. Die bisherigen Systeme sozialer Sicherung werden dann zusammenbrechen, weil sie auf Wachstum beruhen. Der notwendige Umbau wird viel Zeit brauchen. Aber selbst wenn er erst 2050 Wirklichkeit wird, müssen wir jetzt anfangen, darüber nachzudenken, wie soziale Sicherheit dann organisiert werden kann. Dasselbe gilt für den Strukturwandel in der Industrie, dem Hunderttausende Arbeitsplätze zum Opfer fallen können. Ich denke vor allem an die Autoindustrie und ihre Zulieferer. Mit den Entlassenen zu heulen, ist nicht sonderlich konstruktiv. Wir müssen überlegen, wie der Strukturwandel gestaltet werden kann, ohne dass er zum Desaster wird. Aber dafür sehe ich bei den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden derzeit keinerlei Anzeichen.

Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2014: Der Glaube und das Geld
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