Neuer Start mit schwerem Erbe

Die Umsetzung des Friedensvertrags für den Südsudan von 2005 tritt in eine kritische Phase: Im April werden der Präsident und die Parlamente im gesamten Sudan wie im Südteil gewählt; dieser stimmt dann 2011 darüber ab, ob er sich vom Sudan lösen will. Die große Mehrheit will für einen eigenen Staat stimmen. Nach einer friedlichen Sezession wird der neue Staat jedoch vor großen wirtschaftlichen und politischen Problemen stehen.

Alufayo Manyang, der anglikanische Bischof von Rumbek, muss nicht lange überlegen, was jetzt die wichtigste Aufgabe der Kirchen hier ist: die Erfüllung des Umfassenden Friedensvertrages (Comprehensive Peace Agreement, CPA) vom Januar 2005, dessen Abschluss das Referendum über die Einheit des Sudan oder die Abtrennung des Südsudan ist. Das trifft die Meinung fast aller: Das Referendum ist für Januar 2011 vorgesehen, und es darf nichts dazwischen kommen. Es ist fast unmöglich, im Südsudan jemanden zu finden, der nicht entschlossen ist, dann für die Trennung zu stimmen. „Let my people choose“ ist die Parole, welche die Kirchen gegen den zu einem säkularen Gesamtsudan neigenden John Garang durchgesetzt haben – gegen den langjährigen Führer der südsudanesischen Befreiungsbewegung SPLM, der kurz nach dem Abschluss des CPA bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist.

Die Katholische Bischofskonferenz mahnt auf einem Plakat, man solle bei der Abstimmung überlegen, ob man in einem Land leben wolle, wo man Bürger zweiter Klasse sei. Das trifft den Nerv. Im ganzen 19. Jahrhundert war der Südsudan Objekt des Sklavenhandels vom Norden her, und die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts (von 1955 bis 1972 und erneut 1983 bis 2005) war bestimmt von der kriegerischen Abwehr nördlicher Herrschaftsansprüche. Das sitzt tief im kollektiven Gedächtnis. Pastor Nelson Fitch, der Koordinator der anglikanischen Kirche für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung, fasst es in die Worte: „Und wenn ich ein Doktor wäre  und beschäftigte einen aus dem Nordsudan als Chauffeur, so würde der mich verachten.“ Die Geschichte des Sklavenhandels ist im Sudan so präsent wie der Holocaust in Israel und in Deutschland. Für Südsudanesen geht es jetzt darum, vom Norden loszukommen. Nordsudanesen sehen die Sache eher leidenschaftslos: Eine Sezession wäre schade – es sei nie gut, wenn ein Land sich teile.

Autor

Helmut Falkenstörfer

ist Theologe und Journalist. Von 1974 bis 1977 hat er in Äthiopien gelebt und gearbeitet. Zuletzt war er im vergangenen Februar in dem Land.

Bischof Alufayo Manyang spricht aber auch die Gewalt im Lande an, die „mit dem CPA nichts zu tun“ habe. Daniel Deng, der anglikanische Erzbischof von Juba, war im Januar in London, um politische Unterstützung in der letzten Phase vor dem Referendum zu suchen. Er komme mit schwerem Herzen zurück. Vielfach sei er gefragt worden, ob der Süden sich selbst regieren könne. Der politische Prozess sei in Gefahr, und wenn er scheitere, drohe ein neuer Bürgerkrieg. „Wir sind sehr korrupt“, sagt er und nimmt die Kirche nicht aus. Friedensarbeit draußen im Lande sei nötig. 2009 hat es über 2000 Tote gegeben, und das neue Jahr fing mit 140 Toten bei einem Viehraubzug unter verschiedenen Gruppen der Dinka an.

Dass es um Viehraub und auch um die Entführung von Kindern ging, ist politisch sogar ein gutes Zeichen. Denn es handelte sich nicht um politisch motivierte Gewalt, sondern um eine Verstärkung dessen, was im Sudan  immer üblich war – nun mit Kalaschnikows statt mit Speeren. Auch eine Brutalisierung ist festzustellen: Ehemalige Kindersoldaten kennen das Stammestabu, keine Frauen und Kinder zu töten, nicht mehr.

Die Regierung des Südsudan bemüht sich um Entwaffnung der Stämme. So etwas klappt nie vollständig. Wer zwei Gewehre hat, kann eins abgeben und das andere verstecken. Bei Akot im Bundesstaat Bahr al Ghazal gab es bei der Entwaffnung Tote, weil hier eine aus Nuer bestehende Militäreinheit eine mit ihnen verfeindete Stammesgruppe von Dinka entwaffnen sollte. Genauso verhängnisvoll ist es, wenn man von zwei verfeindeten Gruppen erst nur die eine entwaffnet. Auch das ist vorgekommen und wird heute als Fehler erkannt.

In einer neuen Villa im Außenstadtteil Munuki residiert die Anti-Corruption Commission. Herr Deng Deng, ihr Verwaltungsdirektor, ist ein Herr im dunkelblauen Dreiteiler mit erstklassigem britischem Englisch und entsprechenden Manieren, der 12 Jahre in Großbritannien gelebt hat. Er erzählt mit Stolz von seiner Arbeit. Anzeigen hat es bisher nur etwa hundert gegeben. Aber die Kommission setze tiefer an: Zuerst habe man eine Wahrnehmungsuntersuchung zu Korruption durchgeführt. Angesichts der Bekanntheit des Phänomens ist das wie eine Untersuchung, ob im Nil Wasser sei. Jetzt arbeite man an Gesetzentwürfen gegen Korruption. Die müssten aber weit hinten in der Schlange der Gesetzgebungsmaschinerie anstehen,  gibt Deng zu. Seit dem 1. Februar müssten alle höheren Staatsdiener eine Erklärung über ihr Einkommen, ihr Vermögen und ihre Schulden ausfüllen. Wenn einer nicht erklären könne, wie er sein Haus finanziert habe, werde dieses versteigert und der Erlöst falle an die Staatskasse. „Wir werden wohl viele Häuser zu versteigern haben“, meint Deng zuversichtlich.

Auf einem Riesenplakat an der Straße zum Flughafen wirbt die Kommission dafür, die Korruption unter anderem in der Justiz, dem Gesundheitswesen und der Luftfahrt zu beseitigen. Das sind Bereiche der kleinen Korruption, die einfache Leute schmerzt. Die großen Fische beginnen beim verstorbenen John Garang selbst: Alle Konten der SPLA liefen auf ihn persönlich und sind mit seinem Tode verschwunden. Und er ist nicht der einzige. Viel Geld ist aus dem Land geflossen, sagt ein Präsidentenberater aus der Riege derer, die aus dem Exil zurückgekommen sind, frustriert. Viele, die gekommen seien, um beim Aufbau zu helfen, seien wieder gegangen, „als sie sahen, wie das hier läuft“. Er selbst hat, wie andere hohe Beamte, eine Zweitvisitenkarte, die ihn als Direktor einer privaten Firma ausweist. Das ermöglicht Geschäfte mit sich selbst.

Gewalt und Korruption sind Stolpersteine auf dem Weg zum Referendum, aber es wird an ihnen nicht scheitern. Wichtig sind die vorherigen Wahlen im April. Gewählt werden der Präsident des Gesamtsudan, im Südsudan auch der Präsident dort, die Gouverneure der Bundesstaaten (im Süden gibt es zehn) sowie die Parlamente des Gesamtsudan, des Südsudan und der Bundesstaaten. Für die Parlamente haben alle Wahlberechtigten drei Stimmen – zwei für eine Partei und eine für einen Wahlkreiskandidaten, ähnlich wie im deutschen System der Erst- und Zweitstimme. Eine weitere Stimme gibt es für eine Kandidatin aus der Frauenliste, die ein Viertel der Parlamente im gesamten Sudan und im Südsudan stellt. So hat im Südsudan jede Wählerin und jeder Wähler insgesamt zwölf Stimmen, im Nordsudan acht.

Die SPLM hat als Präsidentschaftskandidaten für den Südsudan den bisherigen Präsidenten Salva Kiir aufgestellt und für den Gesamtsudan Yassir Armân, einen Muslim aus dem Norden. Dies ist ein kluger Schachzug. Armân hat zwar kaum eine Chance zu gewinnen, er kann aber Stimmen aus unzufriedenen Randgebieten des Nordens auf sich ziehen und von Intellektuellen, die sich einen säkular ausgerichteten Sudan wünschen. John Garang hatte die Vision, auf diese Weise Präsident des gesamten Sudan zu werden. Aber das ist mit seinem Tod vorbei.

Nach schleppenden Anfängen sieht es jetzt für die Durchführung der Wahlen gut aus. Im Hauptquartier der Kommission in Juba zieht man eine Liste aus den Akten, wonach 113 Prozent der Wahlberichtigen sich haben registrieren lassen. Das ist weniger unmathematisch als es  scheint: Grundlage der Rechnung ist die Volkszählung von 2007, und die gilt als unvollständig. Für den Süden hat die zu niedrig angesetzte Bevölkerungszahl Vor- und Nachteile. Der Nachteil ist, dass die Zahl der Wahlkreise nicht ausreicht, um im Gesamtparlament eine Sperrminorität gegen Verfassungsänderungen zu erreichen. Der Vorteil ist, dass weniger Stimmen nötig sind, um bei dem Referendum das Ende Dezember vom Parlament in Khartum beschlossene Quorum von 60 Prozent für die Sezession zu erreichen.

Die Wahlkommission hat einheimische und ausländische Organisationen gebeten, sich an der Wählerregistrierung im Sudan zu beteiligen, darunter den Sudan Council of Churches, vertreten durch die deutsche Theologin Gunda Stegen. Sie hat die Registrierung als ersten Schritt auf dem Weg zur Zivilgesellschaft erlebt. Viele Menschen – vor allem Frauen – hatten zum ersten Mal Gelegenheit, ihren Namen zu Protokoll zu geben. Viele wurden zum ersten Mal als Bürger des Südsudan und nicht als Mitglieder ihres Stammes angesprochen.

Der wirklich große Schritt, der vor dem Referendum zu tun bleibt, ist die Markierung der Grenzen. Man kann nicht über die Abtrennung des Südens abstimmen, wenn nicht klar ist, wo er endet. Dazu kommt die Frage nach dem künftigen Status der Gebiete von Abiyei, Blue Nile und der Nubaberge (siehe Karte Seite 36), die alle nördlich der Grenze liegen. Unter ihrem Boden liegt viel Öl, und ihre Bevölkerung gehört zum Teil zu Stammesgruppen im Südsudan. Hier sind getrennte Konsultations- und Abstimmungsprozesse vorgesehen.

Der Süden will das Referendum. Der Norden nimmt es notgedrungen hin. Das heißt der Süden hat das größere Interesse daran, dass ein Grenzabkommen zustande kommt. Sonst würde er dem Norden einen Grund liefern, das Referendum fallen zu lassen. In dem Fall könnte sich der Süden einseitig für unabhängig erklären und ein neuer Krieg drohen. Das wäre ein klassischer Krieg nach der Art des eritreisch-äthiopischen vor zehn Jahren. Denn der Süden verfügt jetzt über eine reguläre Armee mit Flugzeugen und Panzern, darunter deutschen Jagdpanzern vom Typ Jaguar, die dem Vernehmen nach über Land aus Südafrika kommen. In einem Krieg wären Ausschreitungen gegen Nordsudanesen im Süden und Südsudanesen im Norden nicht auszuschließen. In Kreisen der Vereinten Nationen (UN) wird schon darüber nachgedacht, im Fall der einseitigen Unabhängigkeitserklärung eine Pufferzone zu schaffen und mit UN-Truppen zu besetzen.

Aber ist dieses Szenario wahrscheinlich? Ein Scheitern der Verhandlungen hätte gegenüber Zugeständnissen bei der Grenzfestlegung so viele Nachteile für den Süden, dass dieser Weg nur von politisch Wahnsinnigen beschritten werden könnte. Denn zum einen würden die Ölgebiete weitgehend zum Kriegsgebiet. Vor allem aber hätte der Süden nichts von seinem Öl, weil der einzige Exportweg durch die Pipeline zur Raffinerie bei Khartum und zum Exporthafen nach Port Sudan führt. Alles andere ist ferne Zukunftsmusik.

Umgekehrt wäre es für den Nordsudan ein schlechtes Geschäft, wollte er nach einer friedlichen Trennung infolge des Referendums dem Südsudan zur Strafe die Pipeline verschließen. Nicht nur würden dann dem Norden Durchlaufgebühren entgehen. Er würde auch die internationalen Konzerne verprellen, mit denen er Ölförderverträge abgeschlossen hat und die die gesamte Förderung im Sudan in der Hand haben. Das blanke Eigeninteresse müsste also eigentlich beide Seiten zum Frieden drängen.

Politischer Wahnsinn ist natürlich nicht auszuschließen. Aber es gibt Anzeichen der Vernunft: Bei der Jubiläumsfeier zum fünften Jahrestag des CPA in Yambio ganz im Süden des Landes hat Präsident al-Bashir gesagt, Khartum werde im Falle, dass das Referendum die Teilung ergebe, als erster den Südsudan anerkennen und unterstützen. Und Salva Kiir versprach, dass eine eventuelle Staatsgrenze den traditionellen Weidewechsel der Nomaden des Nordsudan Richtung Süden nicht stören werde.

Auch nach einer friedlichen Abtrennung stünde der Südsudan erst einmal bei Null. Fast alle Aufbauarbeit dort leisten Hilfsorganisationen „im Auftrag der Regierung“. Zum Beispiel die gelungene Rücksiedlung von drei Vierteln der 440.000 in die Nachbarländer Geflohenen. Wo die Regierung selbst zuständig ist wie bei Schulen und Gesundheitseinrichtungen, hört man vor allem, es gebe zu wenig Lehrer, Schulgebäude, Medikamente und die Gehälter würden unregelmäßig gezahlt. Selbst die Gastronomie ist weitgehend in der Hand von Äthiopiern, Kenianern und Ugandern.

Die Spannung zwischen den Volksgruppen ist eine weitere Hypothek für einen unabhängigen Südsudan. Für viele der Bauernvölker im Bundesstaat Equatoria war Garang ein Vertreter des Herrschaftsanspruchs des Hirtenvolks der Dinka. Ein Equatorianer antwortet auf die Frage, wie sie zu den Nuer ständen – ebenfalls ein Hirtenvolk: „Uns eint die Feindschaft gegen die Dinka.“ Andere Equatorianer verweisen, wenn man sie auf das Problem anspricht, auf die Wahlen. Die ändern aber nichts daran, dass die Dinka die größte Volksgruppe sind, oder an ihrem Machtbewusstsein.

Aber es gibt Zukunftsperspektiven. Im Landwirtschaftsministerium hört man gesunde Grundsätze: John Garang habe gesagt, man müsse die Städte aufs Land bringen – das heißt Brunnen, Schulen, Gesundheitsposten in die Dörfer. Bei den Rückkehrern aus den Nachbarländern haben der UNHCR und viele NGOs das vorgemacht. Wenn darüber hinaus  jemand in kommerzielle Landwirtschaft investieren wolle, sei er herzlich eingeladen. Die große Sorge im Moment ist die Missernte, die dem knappen Regen des letzten Jahres geschuldet ist; dieses Jahr droht Hungersnot.

Perspektiven bietet auch der Tourismus. Es gibt formal sechs Nationalparks und dreizehn Tierschutzgebiete. Zur Zeit wird gezählt, was der Krieg an Tieren übrig gelassen hat. Bei Nimule, wo der Weiße Nil aus Uganda kommt, sind die Tiere zurückgekommen. Nilpferde und Elefanten richten bereits Schäden an den Feldern an. Die Sümpfe des Sudd könnten zur Attraktion gemacht werden. Frieden und ein Minimum an Infrastruktur sind dafür allerdings die Voraussetzungen.

 

erschienen in Ausgabe 3 / 2010: Mobilität - Die täglichen Wege
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