„Der Entwicklungsdienst braucht einen besonderen Rahmen“

Die geplanten Reformen in der deutschen Technischen Entwicklungszusammenarbeit sorgen für Unruhe. So fordern die Vertreter der Entwicklungshelfer und -helferinnen im Deutschen Entwicklungsdienst (DED), die wesentlichen Merkmale des Personaldienstes nach dem Entwicklungshelfer-Gesetz müssten auch nach der Zusammenlegung des DED mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und mit InWent erhalten bleiben. Beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) und der katholischen Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH), die ebenfalls Entwicklungshelfer entsenden, sieht man das ebenso. Jürgen Deile vom EED und Michael Steeb von der AGEH erläutern, warum der Entwicklungsdienst eine eigene Struktur braucht und was Entwicklungshelfer von GTZ-Experten unterscheidet.

Fürchten Sie, dass die Bundesregierung mit der Fusion von GTZ, DED und InWent den staatlichen Entwicklungsdienst abschaffen will?

Steeb: Es wird gesagt, der Entwicklungsdienst soll erhalten bleiben. Wird er jedoch einfach in die neue große Agentur integriert, dann wird das nicht funktionieren. Dann stellt sich zum Beispiel die Frage, wie sich die Tätigkeit der Entwicklungshelfer von der so genannter Experten unterscheidet. Warum sollte ich als Entwicklungshelfer etwas für wesentlich weniger Geld tun als der Kollege oder die Kollegin, die in derselben Institution für ein erheblich höheres Gehalt das Gleiche machen?

Deile: Die Tätigkeit von Fachkräften unter dem Entwicklungshelfer-Gesetz ist ein Dienst ohne Erwerbsabsicht. In der angestrebten Agentur braucht ein solcher Dienst einen besonderen konzeptionellen Rahmen. Eine juristische Integration genügt nicht, um seine Wirksamkeit zu erhalten. Wichtig finde ich, dass das gemeinsame Verständnis zwischen dem staatlichen und den nichtstaatlichen Trägern, was Entwicklungsdienst ausmacht, erhalten bleibt.

Was schlagen Sie vor?

Steeb: Letztendlich wäre eine Art Holding die richtige Lösung: eine enge Verzahnung, die aber eine erkennbare eigene rechtliche und vor allem inhaltliche Struktur für einen Entwicklungsdienst zulässt. Die Kernfrage, die die Bundesregierung beantworten muss, lautet: Will sie einen Entwicklungsdienst, in dem, wie im Entwicklungshelfer-Gesetz beschrieben, fachliche und solidarische Kompetenz gemeinsam die tragenden Säulen bilden? Wenn ja, dann wird eine Struktur benötigt, die diesen Besonderheiten gerecht wird und mit der sich die Entwicklungshelfer und -helferinnen identifizieren können.

Aber Ziel der Fusion ist es doch gerade, jene Arbeitsbereiche zusammenzuführen, die heute ohnehin schon ähnlich sind.

Steeb: Warum aber sollte ich etwas tun, was von vornherein kaum funktionieren kann? Ich kenne eine Menge Leute, die bereit sind, einen Entwicklungsdienst zu absolvieren, allerdings nicht in einer Riesenagentur, in der nicht klar ist, ob sie nun Entwicklungshelfer oder schlecht bezahlte Experten sind. In der Entwicklungszusammenarbeit soll doch heute alles auf seine Wirksamkeit hin geplant und geprüft werden. Genau das vermisse ich bisher bei der vorgesehenen Fusion.

Ihrer Ansicht nach sollte der Entwicklungsdienst also aus der neuen Agentur ausgegliedert werden?

Steeb: Er muss in der Gesamtstruktur in seinem eigenen Charakter erkennbar sein. Ob das mit einer Tochtergesellschaft, einer ausgegliederten Abteilung oder einer eigenständigen Organisation gewährleistet wird, ist zweitrangig.

Und da spielt die Bundesregierung nicht mit?

Steeb: Das ist jedenfalls so bisher nicht erkennbar.

Wie erklären Sie sich das?

Steeb: Die Regierung will etwas vorweisen. An den eigentlich sinnvollen Zusammenschluss von GTZ und KfW-Entwicklungsbank traut sie sich nicht heran und deshalb hat sie die vorgesehene Fusion in den Mittelpunkt gerückt und sich unnötig unter Zugzwang gesetzt.

Was unterscheidet heute den Entwicklungsdienst nach dem Entwicklungshelfer-Gesetz inhaltlich von Einsätzen von Experten der GTZ?

Deile: Vor allem die Art der Zusammenarbeit mit den Partnern. Entwicklungsdienst ist nicht nur Facharbeit in Übersee, sondern solidarische Unterstützung von Partnerorganisationen. Er ist zudem Lerndienst, der auf persönliche und gesellschaftliche Veränderung zu mehr Gerechtigkeit zielt, auch in der eigenen Gesellschaft.

Aber auch der Entwicklungsdienst hat sich doch in den vergangenen Jahrzehnten professionalisiert und sich Experteneinsätzen wie bei der GTZ angenähert.

Deile: Wir hatten schon vor dreißig Jahren hochkarätige Expertinnen und Experten. Aber für uns ist nach wie vor ein Auswahlkriterium, dass Fachkräfte in ihrem Herkunftsland sozial und beruflich integriert sind und nach ihrem Dienst zurückkehren, um sich entwicklungspolitisch zu engagieren, statt von einem Entwicklungsdienstvertrag zum nächsten oder zur GTZ zu wechseln.

Auch die GTZ betont ihre Partnerorientierung und sieht ihre vorrangige Aufgabe darin, lokale Kapazitäten zu stärken. Wo ist der Unterschied zum Entwicklungsdienst?

Deile: Entwicklungsdienste haben keine eigenen Projekte, sondern unterstützen die Arbeit von Partnerorganisationen. Entwicklungsdienst versteht sich als Dienst auf Augenhöhe, der die Verantwortung für die eigene Entwicklung bei den Partnerorganisationen belässt.

Steeb: Natürlich hat die GTZ gelernt, Gott sei Dank. Aber ein Problem der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, nicht nur der deutschen, ist ihr Machbarkeitswahn. Man glaubt, man könne Lebensbedingungen in gut geplanten Programmen und Projekten von drei oder fünf Jahren verändern. Das droht oft an den Menschen vorbeizugehen. Natürlich wird heute in allen Projekten die Partizipation der Betroffenen betont. Aber in der Praxis wird das meist nicht eingelöst. Im Entwicklungsdienst sind die Chancen dafür viel größer. Wir wissen nicht immer, was am Ende stehen wird, aber der Weg, den wir gemeinsam mit unseren Partnern einschlagen, ist dann auch wirklich deren Weg.

Die Entsendung von Personal in Entwicklungsländer sieht sich zunehmend mit der generellen Kritik konfrontiert, sie sei überholt. Gilt diese Kritik nicht auch für den Entwicklungsdienst?

Deile: Entwicklungsdienste prüfen den Sinn einer Personalvermittlung. Es sprechen aber oft Gründe dafür, dass jemand von außen kommt, weil Entwicklungshelfer häufig wichtige Kontakte mitbringen und in Netzwerken engagiert sind. Das ist zum Beispiel im Bereich des fairen Handels oder der Menschenrechtsarbeit wichtig. Aber die Zeiten, in denen wir KfZ-Meister oder Krankenschwestern vermittelt haben, sind tatsächlich vorbei. Süd-Nord-Vermittlungen gibt es bei den Kirchen auch schon seit langem, wenn auch in vergleichsweise geringer Zahl.

Steeb: Ich glaube, dass ein Personaldienst ausschließlich von Nord nach Süd tatsächlich überholt ist. Es geht heute um wechselseitige Beziehungen, um Vernetzung und eine globalisierte Solidarität. Der Blick von außen kann auch uns nur gut tun.

Aber die Entsendung von Nord nach Süd ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich ausgebaut worden: Zusätzlich zum Entwicklungsdienst wurde der Zivile Friedensdienst (ZFD) erfunden und jetzt gibt es noch das Freiwilligenprogramm „weltwärts“.

Deile: ZFD-Fachkräfte leisten Entwicklungsdienst nach dem Entwicklungshelfer-Gesetz; die Zahl der Entwicklungshelferinnen ist mit dem ZFD – anders als im Freiwilligenbereich – insgesamt nicht wesentlich gestiegen. Aber Sie haben mit der Fokussierung auf Nord-Süd recht, und deshalb fordern die Entsendeorganisationen zum Beispiel auch bei „weltwärts“ eine Süd-Nord-Komponente.

Steeb: Entwicklungs- und Freiwilligendienste erleben weltweit einen Aufschwung; auch in Entwicklungsländern werden zunehmend derartige Programme aufgebaut, vor allem in Asien. Das entspringt der Erkenntnis, dass es nicht reicht, Entwicklung den Regierungen zu überlassen. Menschen müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Manchmal ist dazu aber auch ein Anstoß von außen nötig.

Herr Deile, stellt sich die Frage nach dem Gewicht des Entwicklungsdienstes künftig auch im evangelischen Bereich, wenn der Evangelische Entwicklungsdienst und „Brot für die Welt“ zu einem neuen großen Werk fusionieren?

Deile: Die bisherige Fusion der evangelischen Entwicklungsarbeit habe ich aus Sicht des Personaldienstes als inhaltliche Erweiterung erlebt. Es ist eine Verbesserung, über verschiedene Förderinstrumente zu verfügen und so Partnerorganisationen angepasster unterstützen zu können. Ein großer Vorteil ist außerdem, Auslands- und Inlandsarbeit in einem Werk unter einem Dach zu haben. Wichtig wird sein, darauf zu achten, dass die Bedeutung des Personaldienstes infolge der Fusion mit einer Organisation, die finanzielle Förderung betreibt, nicht geschwächt wird. Andererseits bringt das Diakonische Werk eine starke Verankerung im Inland ein, und „Brot für die Welt“ hat ein Interesse daran, Entwicklungsarbeit im Inland sichtbar zu machen. Beides wird den Personaldienst stärken und um künftige Aufgaben ergänzen. Insofern bietet das neue Werk auch für den Personaldienst eine positive Perspektive.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

 

Jürgen Deile ist Förderinstrumentenmanager beim Evangelischen Entwicklungsdienst in Bonn.

Michael Steeb ist Geschäftsführer der katholischen Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe in Köln.

 

erschienen in Ausgabe 4 / 2010: Globale Eliten - Von Reichtum und Einfluss
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