Günstiges Klima

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Saurer Regen
Vor vierzig Jahren bedrohte saurer Regen die Wälder. Dieses Problem konnte gelöst werden. Daraus lässt sich
einiges für den Kampf gegen die Erd­erwärmung lernen.

Auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen im Dezember in Paris soll ein neues Klimaschutzabkommen beschlossen werden. Regierungsvertreter Frankreichs und Deutschlands haben bereits ihre Absicht bekundet, dass sie verbindliche Vorgaben durchsetzen wollen; auch die Repräsentanten anderer europäischer Länder wollen die Senkung der Treibhausgase unterstützen. Um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwehren, fordern viele nichtstaatliche Organisationen, den globalen Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad Celsius zu beschränken.

Doch trotz derart vollmundiger Erklärungen sind die Hoffnungen gering, dass bei den Pariser Verhandlungen ein rechtlich bindender Vertrag vereinbart wird. Die Teilnehmer des Bonner Vorbereitungstreffens im Juni sind auseinandergegangen, ohne dass sie einem mehrheitsfähigen Entwurf wesentlich näher gekommen sind. Es ist ein Rätsel, warum die internationale Staatengemeinschaft noch immer nicht in der Lage ist, sich zu einigen. Mehr als zwei Jahrzehnte sind verstrichen, seit die UN den Weltklimarat ins Leben gerufen haben. Seitdem wurde nicht viel erreicht.

Eine mögliche Ursache ist, dass Industrie- und Schwellenländer unterschiedliche Ziele verfolgen. Oder es liegt am anhaltenden Widerstand der amerikanischen Energiekonzerne. Noch ein weiterer Grund wird manchmal genannt: Die zu bewältigende Aufgabe ist riesengroß, vermutlich müsste für einen echten Klimaschutz die globale Energieversorgung großenteils umstrukturiert werden. Die Frage stellt sich, ob der politische Wille aufgebracht werden kann, ein Problem anzugehen, das sich erst in der Zukunft in vollem Umfang auswirken wird.

Zweifellos spielen all diese Faktoren eine Rolle. Doch sie betreffen nicht nur den Klimawandel. Schon während des Kalten Krieges mussten sich die Diplomaten mit einer ähnlichen Aufgabe herumschlagen: mit dem sauren Regen, einem Umweltproblem, das heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Trotz der großen Unterschiede haben die beiden vieles gemeinsam. Auch damals ging es um ökologische Schäden in globalem Ausmaß, die durch fossile Brennstoffe verursacht wurden. Und schon damals waren neue, teure Technologien erforderlich, um die Schadstoffe zu reduzieren. Und es galt ebenso wie heute zu entscheiden, ob man wissenschaftliche Erkenntnisse über künftige Gefahren ernst nimmt – oder einfach gegenrechnet, welche Kosten damit verbunden sind.

Die Erfahrung aus den Verhandlungen über den sauren Regen zeigt: Umweltprobleme müssen zusammen mit höherrangigen außenpolitischen Zielen angegangen werden, um erfolgreich gelöst zu werden. Nach dem Abschluss des UN-Abkommens über grenzüberschreitende Luftverschmutzung von 1979 einigten sich die betroffenen Länder schließlich darauf, die Schadstoffemissionen zu senken. Kanada, die USA, 29 europäische Länder sowie die Vorläuferorganisationen der Europäischen Union hatten das Abkommen unterzeichnet; es verpflichtete sie zunächst nur dazu, weiter über den sauren Regen zu verhandeln. Im Lauf der 1980er Jahre wurde der Vertrag dann zwei Mal ergänzt: Für Schwefeldioxid und Stickoxid wurden exakte Grenzwerte vorgegeben – also für die beiden Schadstoffe, die im Wesentlichen für den sauren Regen verantwortlich waren.

Mit dem Vertrag verpflichteten sich die Unterzeichner, bis Mitte der 1990er Jahre ihre Schwefeldioxid- und Stickoxid-Emissionen gegenüber 1980 mindestens zu halbieren; die Stickoxid-Emissionen mussten auf dem Niveau von 1987 eingefroren werden. Wunder bewirkten diese Verträge zwar nicht, und einige Länder sind ihren Pflichten bis heute nicht nachgekommen. Doch die Mehrheit hat sie erfüllt. Und sie haben weiteren internationalen Verhandlungen über die Luftverschmutzung den Weg gewiesen. Für diesen Erfolg mussten viele Hürden genommen werden. Den Weg dorthin nachzuvollziehen, kann dabei helfen, aus der gegenwärtigen diplomatischen Sackgasse herauszufinden und den Klimawandel zu bekämpfen.

Die Verhandlungen über den sauren Regen führten nur deshalb zu handfesten Ergebnissen, weil sie so eng mit der Entspannungspolitik und dem Willen zur europäischen Einigung verknüpft waren. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Technologien waren hierfür zwar notwendig. Doch das allein genügte nicht.

Wann sich Wissenschaftler über ein ökologisches Problem einigen, lässt sich nicht allgemein sagen. Denn ihre Erkenntnisse über Umweltverschmutzung und die Folgen werden ständig überarbeitet und weiterentwickelt. Der saure Regen bildete dabei keine Ausnahme. Klimaforscher waren in den späten 1960er Jahren auf ihn aufmerksam geworden. Im Lauf der Zeit konnten sie immer besser bestimmen, welche Industrien ihn verursachten. Sie machten auch Fortschritte dabei, die komplexen chemischen Reaktionen in der Erdatmosphäre zu erklären, die zu sauren Niederschlägen führen. Ebenso gelang es ihnen, die vom sauren Regen verursachten Schäden von denen anderer Umweltbelastungen zu unterscheiden.

Wissenschaftliche Erkenntnisse über den sauren Regen

Doch trotz solcher bemerkenswerter Erfolge haben sich die Erkenntnisse über den sauren Regen seit den späten 1970er Jahren nicht mehr dramatisch verändert. Als die Verhandlungen für das UN-Abkommen von 1979 begannen, hatten Wissenschaftler schon eindeutig nachgewiesen, dass fossile Brennstoffe über Staatsgrenzen hinweg empfindliche Ökosysteme schädigen; Schwefeldioxide und Stickoxide hatten sich als die Hauptverursacher des sauren Regens herausgestellt. Schwefeldioxid wurde hauptsächlich von Kraftwerken ausgestoßen, Stickoxide insbesondere von Autos im Straßenverkehr. Doch obwohl sich die Fachleute in ganz Europa und den USA darüber einig waren, sahen es die Politiker in den größten Verursacherländern nicht ein, ihre Emissionen zu beschränken. Vielmehr behauptete man in England, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, die Ursachen des sauren Regens seien wissenschaftlich noch nicht hinreichend geklärt, und versuchte so, den Vertrag zu sabotieren.

Seit einigen Jahren fordern Umweltaktivisten, dass Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse für politische Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit besser zugänglich machen. Das soll den Gegnern eines wirksamen Klimaschutzes den Wind aus den Segeln nehmen. Damit wird der Wissenschaft die Aufgabe zugeschoben, die Zweifler zu widerlegen und die Medien zu warnen, falls sie den Stand der Forschung nicht richtig wiedergeben. Doch wenn man von den Erfahrungen mit dem sauren Regen ausgeht, muss ernsthaft bezweifelt werden, dass dies der richtige Weg ist.

Denn viele, die in den 1970er und 1980er Jahren über den sauren Regen forschten, hatten Politikern und Journalisten unmissverständlich klargemacht, dass dringend gehandelt werden muss. Nicht nur unternahmen viele Ökologen alle denkbaren Anstrengungen, um die Ergebnisse ihrer Arbeit an die Öffentlichkeit zu bringen. Sie wiesen auch lautstark darauf hin, dass die Regierungen etwas gegen die Luftverschmutzung unternehmen müssten. Andernfalls sei mit schweren Umweltschäden zu rechnen. Doch obwohl sie sich in vorbildlicher Weise einsetzten und die Verursacher in der Industrie tatsächlich unter Druck gerieten – zu einer Richtungsänderung konnten sie die Regierungen der wichtigsten Verursacherländer nicht bewegen. Unter vier Augen gaben viele Politiker den Forschern Recht. Doch sie sahen einfach nicht ein, dass es auch in ihrem eigenen Interesse war, sich um ein Problem zu kümmern, das andere Länder viel stärker in Mitleidenschaft ziehen würde.

Schon bevor der Klimawandel aktuell wurde, hofften viele auf technologische Fortschritte, um ökologische Probleme kostengünstig zu lösen. Als der saure Regen international Schlagzeilen machte, gab es hauptsächlich ein Mittel gegen die Emissionen aus Kraftwerken: Teure Apparate, die umweltschädliche Gase schlucken sollten, bevor sie nach außen dringen. In den 1970er Jahren wurden einige der sogenannten Gaswäscher testweise in den Kaminen neu errichteter Kraftwerke eingebaut. Doch um den Schadstoffausstoß tatsächlich zu senken, hätten alle Kraftwerke mit dieser Technik ausgestattet werden müssen. Das hätte ein Vermögen gekostet. Ein Artikel in der Zeitschrift „Nature“ aus dem Jahr 1977 fasst die Diskussion folgendermaßen zusammen: Der saure Regen frisst Millionen Dollar, doch seine Bekämpfung kostet Milliarden.

In den wichtigsten Verursacherländern hofften viele Politiker, wenn sie die Verhandlungen lange genug hinauszögerten, ließe sich schließlich eine weniger teure Lösung finden. Doch die Ökonomen begannen an der Kosten-Nutzen-Analyse aus dem „Nature“-Artikel zu zweifeln. Anfang der 1980er Jahre wies der Nobelpreisträger Wassily Leontief überzeugend nach, dass die Reduzierung der Luftverschmutzung ein oder zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten würde, während die Schäden zwischen drei und fünf Prozent ausmachen könnten. Die OECD machte die Berechnungen Leontiefs weithin bekannt, doch auch dadurch ließen sich viele Umweltverschmutzer nicht bewegen, ihre Emissionen zu reduzieren.

Tatsächlich waren Kosten und Nutzen der notwendigen Maßnahmen nicht gleichmäßig verteilt. Manche Länder hatten ökologisch viel zu gewinnen, andere ökonomisch viel zu verlieren – genau wie heute beim Kampf gegen den Klimawandel. Und so vergingen die Jahre, ohne dass günstigere Lösungen gefunden wurden. Denn solange die Regierungen die Emissionen nicht verbindlich regulierten, wollten Unternehmen nicht in die notwendigen Technologien investieren. Es hätte es ja sein können, dass ihre Umweltmaschinen nie verkauft und eingesetzt würden.

Die Erfahrungen mit dem sauren Regen zeigen, dass man nicht blind auf den technischen Fortschritt vertrauen darf. Wer heute auf billigere erneuerbare Energien wartet, vergisst die hohen Kosten, die die globale Energieinfrastruktur bereits heute verursacht. Außerdem ignoriert dieser Technooptimismus, dass technologische Durchbrüche häufig erst erfolgen, wenn die Regierungen tätig werden. Sobald die Politik der Industrie signalisiert, dass sie den Ausstoß der Treibhausgase regulieren wird, werden Unternehmen in neue Technologien investieren. Und wer internationalen Verträgen erst dann zustimmt, wenn er genau weiß, wie der Treibhauseffekt gemindert werden kann, der zäumt das Pferd von hinten auf.

Zwei außenpolitische Projekte brachten die Verhandlungen über das UN-Abkommen über grenzüberschreitende Luftverschmutzung voran: das Bemühen, die Spannungen im Kalten Krieg zu lockern, und die Arbeit an der europäischen Einigung. Beides brachte die wichtigsten Verursacherländer dazu, sich auf eine gemeinsame Umweltpolitik zu einigen. Zu Beginn der Gespräche zwischen dem kommunistischen und dem kapitalistischen Block übte das amerikanische Außenministerium viel Druck auf England, Frankreich und die Bundesrepublik aus, damit sie dem Umweltschutzabkommen zustimmten. Die Sowjetunion befürwortete das Abkommen, und die amerikanischen Diplomaten fürchteten, ein Scheitern der Verhandlungen würde auch die Gespräche über nukleare Abrüstung und die Menschenrechte vereiteln. Das Thema Luftverschmutzung schien damals weit weniger problematisch als der Ost-West-Konflikt und die Menschenrechte. In Washington hoffte man, nach einem Vertragsabschluss über den sauren Regen würden sich auch andere amerikanischen Anliegen gegenüber der Sowjetunion leichter durchzusetzen lassen.

Der sauere Regen und die heimischen Wälder

Danach sorgten andere außenpolitische Themen dafür, dass das Abkommen ergänzt wurde. Seit den frühen 1980er Jahren äußerten westdeutsche Wissenschaftler die Befürchtung, der saure Regen könne die heimischen Wälder schädigen. Daraufhin setzten sich auch westdeutsche Politiker für einheitliche Grenzwerte für Schwefeldioxid und Stickoxid innerhalb der europäischen Gemeinschaft ein. Viele Wirtschaftsexperten fürchteten, Länder mit höheren Grenzwerten könnten ansonsten einen unfairen Konkurrenzvorteil genießen. Die von Margaret Thatcher geführte britische Regierung, die sich zunächst geweigert hatte ihre Emissionen zu drosseln, gab den westdeutschen Forderungen schließlich nach. Denn sie wollte in der europäischen Gemeinschaft bleiben und die politische und wirtschaftliche Einheit Westeuropas stärken. Das Interesse an der europäischen Einigung spielte also eine wichtige Rolle im Kampf gegen den sauren Regen.

Daraus lässt sich für den Kampf gegen den Klimawandel zweierlei lernen. Erstens dürfen wir nicht länger darüber diskutieren, ob es bereits genügend Beweise und die besten technischen Lösungen gibt, bevor gehandelt wird. Zwar kann die weitere Forschung noch ein paar Details klären. Doch das ändert nichts an der Tatsache: Wenn wir weiter fossile Brennstoffe nutzen, wird es wärmer werden auf der Erde. Und das hat böse ökologische Folgen.

Autorin

Rachel Rothschild

lehrt Umweltwissenschaften an der New York University.
Doch wie wir es beim Kampf gegen den sauren Regen erlebt haben, finden wichtige technologische Fortschritte vermutlich erst dann statt und werden die Kosten dafür erst dann sinken, wenn die Regierungen den Ausstoß von Treibhausgasen gesetzlich regeln. Zweitens müssen wir gründlich darüber nachdenken, wie viel uns der jetzige Lebensstil mit entsprechend hohem Energieverbrauch wert ist und welches Ausmaß an klimabedingten ökologischen Schäden wir dafür in Kauf nehmen wollen. Schon wenn wir uns mit ein wenig Erderwärmung abfänden, wäre dies ein ernsthaftes moralisches Problem. Denn die Folgen würden ganz besonders die armen Länder treffen, die sich am wenigsten davor schützen können.

Es wird immer schwieriger, die Armut auf der Welt zu bekämpfen, je wärmer es auf der Erde wird. Militärexperten warnen davor, dass der Klimawandel ganze Regionen im Mittleren Osten und in Afrika schwächt. Das hat auch Folgen für die Länder auf der Nordhalbkugel. Die Verhandlungen über den sauren Regen waren eingebettet in die übergeordneten Diskussionen über den Kalten Krieg und die europäische Einigung. Im Gegensatz dazu haben außenpolitische Fragen in den Debatten über den Klimawandel bisher keine Rolle gespielt. Wenn die Diplomaten aus den Erfahrungen mit dem Problem des sauren Regens lernen würden, könnten die Pariser Gespräche im Dezember zu wirksameren Beschlüssen führen.               

Aus dem Englischen von Anna Latz.

Der Artikel ist zuerst in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ erschienen.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2015: Blauhelme: Abmarsch ins Ungewisse
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