Das System des Diebstahls knacken

In Kamerun hat die Korruption in den 1990er Jahren stark zugenommen. Trotz der offiziellen Bekämpfungsprogramme scheint weder die kleine Bestechung abzunehmen noch die große Korruption, bei der hohe Beamte und Minister große Summen unterschlagen. Eine Reihe Initiativen aus der Gesellschaft hilft jedoch Bürgern, Missbrauch aufzudecken und zu erschweren.

Im Fußboden des nagelneuen Schulgebäudes klafft ein Loch. Deutlich ist der brüchige Estrich zu erkennen. Offenbar hat die Baufirma Zement, für den sie kassiert hat, „eingespart“. Ähnliche Mängel an öffentlichen Bauten hat Voies Nouvelles (Neue Wege), eine kleine nichtstaatliche Organisation (NGO), auf Dutzenden Fotos dokumentiert: In Dachstühlen sind statt Balken dünne Latten verbaut, Wände haben Risse, rostige Türangeln fallen aus dem Putz. „Solcher Pfusch ist in Kamerun die häufigste Methode, bei öffentlichen Aufträgen Geld abzuzweigen“, sagt Onésim Cyrille Tomo, der Direktor von Voies Nouvelles. Die Prüfer der Behörden würden geschmiert.

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".

Gegen diese Art Korruption geht Voies Nouvelles mit Hilfe der Betroffenen vor. Sie fasst jedes Jahr für ihr Arbeitsgebiet – bisher drei der zehn Departements in der Region Centre – zusammen, was die Zentralregierung für die Bürger zu bauen plant, und veröffentlicht das. Und sie schult für jedes Projekt jeweils den Dorfchef und zwei weitere Personen, damit sie Pfusch erkennen. Stimmt etwas nicht, kann man das der NGO anzeigen. Die schickt dann Fachleute, dokumentiert die Mängel und interveniert bei den Behörden. Dabei kann sie sich Spannungen zwischen verschiedenen Staatsorganen zunutze machen: Die vom Staatspräsidenten ernannten Präfekten an der Spitze der Departements profitierten oft von Korruption im öffentlichen Bauwesen, erklärt Tomo. Die Zentralregierung hingegen stehe unter dem Druck der Geber und sei an Kontrolle interessiert. Voies Nouvelles sitzt deshalb in den 2006 geschaffenen staatlichen Kontrollkomitees, so dass diese nachgewiesene Mängel nicht einfach ignorieren können.

Die 2005 gegründete Organisation, die unter anderem Misereor und der Deutsche Entwicklungsdienst  unterstützen, ist ein Beispiel für soziale Initiativen gegen Korruption. Die ist in Kamerun im Staatsapparat und im öffentlichen Leben allgegenwärtig. Für alle sichtbar ist, dass niederrangige Staatsbedienstete die Hand aufhalten, die so genannte kleine Korruption. Bei Polizeikontrollen werden Fahrer von Lastern oder Kollektivtaxen mit „informellen Gebühren“ belegt – ein Mangel in ihren Papieren lässt sich schon finden. Wer ein Dokument benötigt, muss Beschleunigungsgeld zahlen oder hinnehmen, dass die Ausstellung endlos verzögert wird. Von gut tausend Unternehmen erklärten vor drei Jahren in einer Umfrage die Hälfte, dass sie Schmiergeld an Finanzbeamte zahlten, und ein gutes Drittel, dass sie zwischen ein und fünf Prozent ihres Umsatzes für eigentlich kostenlose staatliche Dienste ausgeben mussten.

Korruption im Erziehungswesen errege die Kameruner besonders, sagt Tomo. Die Hälfte der öffentlichen Investitionen auf lokaler Ebene entfällt auf Schulen. Und ihren Kindern eine gute Ausbildung zu verschaffen, ist Eltern sehr wichtig. Da setzt auch das Programm „Fighting Corruption Through Schools“ (FACTS) an, das die katholische Kirche zusammen mit dem US-amerikanischen Hilfswerk Catholic Relief Service (CRS) initiiert hat. Es soll integeres Verhalten einüben und so die „Kultur der Korruption“ in der ganzen Gesellschaft zurückdrängen, erklärt der Leiter des Sekretariats für das katholische Schulwesen, Irené Gaping. Dass Korruption als normal akzeptiert wird, ist für ihn ein entscheidender Grund ihrer Verbreitung. „Kinder von Polizisten haben es an einer Schule offen abgelehnt, an FACTS teilzunehmen mit der Begründung, sie lebten schließlich selbst von Korruption“, erzählt er. „Das haben sie vor ihren Klassenkameraden gesagt.“

In Schulen, die an FACTS teilnehmen, gibt es alle zwei Wochen eine zusätzliche Unterrichtseinheit zu Fragen der Integrität. Und Schüler, Lehrer und Eltern verpflichten sich auf Verhaltenskodizes, die neben Pünktlichkeit und Sauberkeit ein transparentes Finanzgebaren auf Seiten der Schulleiter und Enthaltung von Drogen und „exzessiven“ Prügelstrafen bei den Eltern verlangen. Kleine Unehrlichkeiten bei Kindern werden da genauso streng verurteilt wie Unterschlagung bei Lehrern nach dem Motto: Wer bei Prüfungen abschreibt, stiehlt später auch. An 86 der knapp 1500 katholischen Schulen Kameruns wurde das Programm 2003 bis 2006 erprobt. Jetzt soll es auf alle katholischen, protestantischen, muslimischen und säkularen Privatschulen ausgedehnt werden; ob die staatlichen folgen, auf die rund zwei Drittel der Kinder gehen, ist noch nicht klar.

Der Weg zu integeren Schulen ist aber noch weit. Bei einer von CRS unterstützten Umfrage an säkularen Privatschulen nannten die Schüler als häufigste Formen den Kauf von Noten und andere Unregelmäßigkeiten bei Zeugnissen (zusammen 32 Prozent), Unterschlagung von Arbeitsmaterial (10 Prozent) und sexuelle Übergriffe (7 Prozent). Auch die Aufnahme an höhere Schulen wird oft gekauft. Im katholischen Schulwesen gebe es all das auch, räumt der katholische Projektmanager für FACTS, Joseph Ngayong, ein. FACTS habe in der ersten Phase aber an den beteiligten Schulen die Lage deutlich verbessert. Eine Evaluation fand 95 Prozent weniger Zweckentfremdung von Schulgebühren und einen ebenso starken Rückgang der Betrugsversuche bei Prüfungen. Schüler lieferten zudem Fundsachen öfter ab.

Erziehung zur Integrität zum ersten Mittel im Kampf gegen die Korruption zu machen, ist jedoch ein umstrittener Ansatz. Korruption sei keine Frage der Kultur, sondern der Umstände, betont Jean Marc Bikoko, der Präsident des Gewerkschaftsdachverbands für den öffentlichen Sektor. Das Hauptproblem sind für ihn die niedrigen Gehälter. Kleine Beamte erhalten in Kamerun umgerechnet ungefähr 90 Euro im Monat, Lehrer etwa das Doppelte, hohe Beamte in Ministerien das Dreifache. Die Gewerkschaften sind schwach und werden von der Regierung nicht als Verhandlungspartner, sondern als Gefahr für Ruhe und Ordnung behandelt. Statt kollektiv für mehr Geld einzutreten, suchten Staatsbedienstete deshalb individuelle Auswege mittels Korruption, sagt Bikoko. Er beklagt, dass die Geber, darunter die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, 1993 das hoch verschuldete Kamerun zu drastischen Gehaltskürzungen für Staatsangestellte gedrängt haben. 1994 musste zudem die Währung abgewertet werden. Beides zusammen senkte die Gehälter im öffentlichen Dienst um rund zwei Drittel. Danach ist die kleine Korruption explodiert.

Das Problem sehen auch Gaping und Ngayong. An katholischen Schulen sind die Löhne noch niedriger als an staatlichen und können nicht regelmäßig und pünktlich gezahlt werden, räumen sie ein. Denn der Staat sei mit der Zahlung der Zuschüsse im Rückstand, und man müsse immer wieder Beamte schmieren, damit das Geld ausgezahlt werde – 30 Prozent der Zuschüsse könnten so verloren gehen. Die Kirche verhandele darüber, dass in Zukunft der Staat die Gehälter aller Lehrkräfte trägt.

Der Soziologe Pierre Titi Nwell hält es aber für abwegig, die Korruption im Land von den Schulen aus zu bekämpfen: „Als würden die kleinen Kinder klauen und unterschlagen. Ich habe dem CRS geraten, Unterstützung weiter auf Wahlbeobachtung zu konzentrieren, aber das war ihnen zu viel politische Einmischung“, bedauert er. Der temperamentvolle alte Herr war Koordinator der katholischen Kommission Justitia et Pax, als diese 2004 die Präsidentschaftswahlen und 2007 die Parlamentswahlen beobachtete und Manipulationen anprangerte. Wer Korruption bekämpfen wolle, müsse ihre Ursachen angehen, sagt er. Und die sieht er im Mangel an Demokratie.

Das politische System in Kamerun ist geprägt von einem stark zentralisierten Einparteienstaat, der dem Staatspräsidenten weitreichende Macht gibt, sowie der auf halbem Weg gestoppten Demokratisierung. Infolge der Demokratiebewegung von 1990 hatten der seit 1982 amtierende Präsident Paul Biya und seine Partei plötzlich bei Wahlen Gegenkandidaten und verloren ihr Monopol über die Medien. Zugleich ließ der wirtschaftliche Niedergang die Staatseinnahmen schwinden und damit die Mittel, Anhänger zu kaufen. Biya hielt sich mit politischen Kniffen, Wahlmanipulation, dem Einsatz der Sicherheitskräfte gegen die Konkurrenz und Schikanen gegen die Presse an der Macht. Er erkannte aber auch, dass lokale Eliten nun eine mögliche Gefahr für seine Herrschaft waren. Deshalb warb seine Partei vermehrt mit staatlichen Zuwendungen und öffentlichen Aufträgen um deren Loyalität.

So konnte Biya die Opposition zurückdrängen. Zum Preis dafür gehört ein starker Anstieg der so genannten großen Korruption unter hohen Staats- und Parteifunktionären. „Die ist nach 1990 schlimmer geworden, weil Biya nun mehrere Parteien schmieren muss“, bemerkt Titi Nwell. Mehr noch: Biya hat die Amtsträger seiner Partei verpflichtet, in ihren Dörfern Wählerstimmen zu sichern; wem das gelingt, der steigt in seiner Gunst. Die Mittel müssen sie in Zeiten knapper Staatskassen aber selbst beschaffen. Selbst das Gehalt eines Ministers – umgerechnet um die 1400 Euro im Monat – genügt dazu nicht. „Weil Minister die Parteitätigkeit in ihrer Heimat finanzieren müssen, werden sie zu Dieben“, schimpft der Gewerkschafter Bikoko.

Ohne diese große Korruption ist auch die kleine in Kamerun nicht zu verstehen. Niedrige Gehälter allein erklären sie nicht. So wurden die Bezüge der Polizei nie gekürzt, und doch ist die besonders korrupt. Dazu trägt laut einer Studie von Titi Nwell bei, dass Vorgesetzte oft Geld für das Arbeitsmaterial unterschlagen – vom Stift bis zum Benzin. Um arbeiten zu können, brauchen Beamte daher Zusatzeinkünfte. Entscheidend ist aber die Straflosigkeit. Polizei und Militär stünden unter Biyas Schutz, da sie zur Unterdrückung politischer Proteste bereit sein sollen, betont der Soziologe. Zudem ist auch die Justiz korrupt. Viele Richter gelten als käuflich, und damit eine Klage registriert oder ein Urteil zügig ausgefertigt wird, muss man oft untere Beamte schmieren. Und schließlich geht von der Korruption an der Spitze das Signal aus, dass Ehrlichkeit nichts nutzt. Warum sollte ein kleiner Polizei- oder Justizbeamter einen Bestechungsversuch zurückweisen, wenn er damit rechnen muss, dass der Beschuldigte dann seinen Chef mit einer höheren Summe kauft?

Ein Beispiel für große Korruption hat die „Vereinigung von Bürgern zur Verteidigung des Gemeinwohls“ (ACDIC) angeprangert. Bekannt geworden ist sie mit einer Kampagne gegen den Import von billigem Hähnchenfleisch aus der EU, die in Kamerun die Hühnerzucht-Branche sowie die Gesundheit der Verbraucher gefährdeten. Der Erfolg hat ACDIC zum Thema Korruption geführt, erklärt ihr Präsident Bernard Njonga: Als die Regierung die Importe ab Oktober 2004 stark einschränkte und die Hühner einheimischer Züchter wieder gefragt waren, fehlte es an Mais für das Futter. Wie war das möglich, wo doch Mais in Kamerun überall angebaut wird und das Agrarministerium dafür Beihilfen zahlt?

„Wir haben das Ministerium um die Liste der Empfänger dieser Beihilfen gebeten. Das wurde abgelehnt“, erzählt Njonga. Da das Programm aus erlassenen Auslandsschulden finanziert wird, wirkt aber ein Komitee unter Beteiligung von Geberländern mit. Von da bekam ACDIC die Liste und konnte eine Stichprobe der Empfänger, so genannter gemeinsamer Initiativgruppen (GIC), überprüfen. Und siehe da: „Der größte Teil der GIC existierte nicht“, sagt Njonga.

ACDIC hat das veröffentlicht und für Dezember 2008 eine Demonstration wegen des Falls angemeldet. Rund die Hälfte der heute 12.000 Mitglieder von ACDIC sind Bauern, die mit dieser Art Korruption um Beihilfen betrogen werden. Als sich einige Hundert Demonstranten vor dem Büro von ACDIC in Yaounde versammelten, schritt die Polizei ein, teilte Prügel aus und nahm 24 Menschen vorläufig fest, darunter Njonga. Mitte 2009 wurde er zu zwei Monaten Haft verurteilt, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung. „Das heißt ich muss für drei Jahre den Mund halten“, sagt er.

Der Protest gegen die große Korruption hat ACDIC Zulauf beschert: Die Zahl der Mitglieder ist gestiegen, nicht zuletzt unter jungen Leuten in der Stadt. Die Organisation, ein Parter des Evangelischen Entwicklungsdienstes,  ist das politische Schwergewicht in der kamerunischen Zivilgesellschaft und kann Proteste mobilisieren, wie sie die Staatsführung aus Angst vor größeren Unruhen unbedingt vermeiden will. Wohl deshalb hat die Nationale Anti-Korruptionskommission CONAC den Mais-Skandal schnell aufgegriffen. Im Februar 2009 legte sie eine Untersuchung vor, die die Vorwürfe bestätigt. Allerdings wurden laut ihrer Hochrechung nicht 1,2 der 2 Milliarden FCFA Maisbeihilfen unterschlagen, sondern „nur“ rund 700 Millionen.

Der Bericht gibt einen faszinierenden Einblick in Unterschlagung und Vetternwirtschaft. Beamte haben danach ein knappes Drittel der GIC auf der Liste der Empfänger von Mais-Beihilfen schlicht erfunden und weitere mit falschem Ort aufgeführt. Ein dritter Teil der „Empfänger“ sollte gar kein Geld bekommen oder hatte keins beantragt. Vielen, die die Beihilfen erhielten, wurde etwas für „Verwaltung“ abgezogen. Einige GIC erhielten das Geld jedoch doppelt – oder zu Unrecht, weil sie gar keinen Mais anbauten. Von der Leitung bis zur letzten Außenstelle waren alle Ebenen des Maisprogramms im Ministerium am Missbrauch beteiligt und schoben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Auch manche Bauernvereinigungen und einzelne Bauern halfen laut dem Bericht beim Betrug. Die CONAC hat eine Liste mit Namen von über 50 Verdächtigen vorgelegt; gegen die wurde Strafanzeige erstattet. Die Beamten unter ihnen sind aber alle noch im Amt, schimpft Njonga.

Auch außerhalb des Agrarsektors blüht die große Korruption – zum Beispiel der illegale Handel mit bedrohten Arten wie Papageien und Affen und mit Elfenbein von Waldelefanten. „Einige sehr hochgestellte Leute sind daran beteiligt“, sagt die Leiterin der Region Südwest des Ministeriums für Waldschutz und Wildtiere, Grace Mbah. Wegen der von den Gebern verlangten Sparprogramme durfte das Ministerium jahrelang keine Parkwächter einstellen und ist kaum zu Kontrollen in der Lage, klagt sie. Mitarbeitende ihres Ministeriums sind auch überzeugt, dass der Schmuggel von illegal gefälltem Holz nach Nigeria vom Leiter einer eigenen Außenstelle gedeckt wird. Er werde wohl aus Yaounde beschützt.

Diese Art Protektion behindert die offizielle Korruptionsbekämpfung. Sie wurde eingeleitet, nachdem Kamerun Ende der 1990er Jahre zweimal im Korruptions-Wahrnehmungsindex als korruptestes Land bezeichnet worden war, hat aber wenig bewirkt. Auf Druck der Geber wurde dann 2006 die CONAC geschaffen. Der Leiter ihrer Studienabteilung, Richard Fegue Ekani, betont, dass die Kommission inzwischen viele Anzeigen aus der Bevölkerung erhält und selbst Fälle untersuchen darf. Allerdings fehlten ihr Arbeitsmittel und geschultes Personal. Ekani hofft auf ein nationales Integritäts-Programm in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. „Korruption ist keine Krankheit mehr, sondern ein Krebs“, sagt er. „Wir benötigen eine Chemotherapie: Erziehung.“ Das lässt eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber den politischen Ursachen der Korruption erahnen: Die CONAC untersteht der Kontrolle des Staatspräsidenten.

Ebenso wie die 2004 eingeleitete Operation Épervier (Sperber). Die hat zwar zur Verhaftung „großer Tiere“ wegen Korruption geführt: In drei Wellen wurden 2006, 2008 und Anfang 2010 unter anderem drei frühere Chefs von Staatsunternehmen, fünf Ex-Minister, ein Staatssekretär und ein amtierender Minister verhaftet; die ersten Urteile lauteten auf lange Haftstrafen. Nur: „Man weiß nicht, warum der eine Minister verhaftet wird, der andere nicht“, sagt Marie-Noëlle Guichi. Die stellvertretende Chefredakteurin von „Le Messager“, einer der führenden freien Zeitungen, vermutet politische Gründe: Anklagen wegen Korruption sind ein Mittel, Machtkämpfe in der Partei auszutragen. Es gibt kein geregeltes Verfahren, einen Nachfolger für den 77-jährigen Paul Biya zu bestimmen. Dieser schaltet zu mächtige Aspiranten aus, und die Kandidaten halten sich im Hintergrund und intrigieren gegeneinander. Für beides sind Korruptionsvorwürfe ein probates Mittel, wobei Biya und seine Schützlinge tabu sind.

Sollten die Entwicklungshilfe-Geber da mehr Druck ausüben? Unser Druckpotenzial ist gering, sagt Marie Molinie von der Vertretung der Europäischen Union: „Die Entwicklungshilfe macht nur 6 Prozent des kamerunischen Sozialprodukts aus.“ Die EU, der zweitgrößte Geber nach Frankreich, vergebe keine Budgethilfe, integriere die Korruptionsvermeidung in alle ihre Projekte und unterstütze auch ein Programm gegen Korruption unter dem Dach des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, sagt Molinie.

Ofir Drori sieht das alles mit Skepsis. Teure Tagungen über ein Übel, das alle längst kennen, hält der in Kamerun lebende Israeli für nutzlos, und manche NGOs seien selbst korrupt: Ein Teil der lokalen existiere nur, um Gebermittel abzugreifen, und manche internationale erleichterten die Geber mit Tricks wie überhöhten Preisen um Geld. Drori will zeigen, dass man Korruption besser bekämpfen kann – mit unkonventionellen Methoden. Als er vor neun Jahren ins Land kam, war er entsetzt, dass kein einziger Geschäftsmann, Politiker oder Beamter, die am florierenden illegalen Handel mit bedrohten Arten mitwirkten, jemals verurteilt worden war. Das wollte er ändern – mit einer kleinen NGO von kamerunischen Aktivisten, der Last Great Ape Organisation (LAGA). „Nach sieben Monaten haben wir die erste Strafverfolgung wegen Schmuggels bedrohter Arten in ganz Zentralafrika erreicht“, sagt er. Inzwischen habe LAGA 250 Prozesse gewonnen – nicht gegen kleine Wilderer, sondern gegen organisierte Schmuggler, darunter viele Ausländer.

LAGA nimmt laut Drori die Durchsetzung der Gesetze selbst in die Hand: Sie ermittelt, wer und wo die Täter sind, leitet die Polizei bei Festnahmen an und verfolgt die Gerichtsverfahren. „In 85 Prozent der Verhaftungsfälle und in 80 Prozent der Prozesse kann ich Bestechungsversuche nachweisen“, sagt er. LAGA interveniere dann am Ort und fordere Beamte auf, Schmiergeld zurückzugeben, wenn sie nicht ihren Job verlieren wollten. Sie überwache sogar den Strafvollzug, damit Verurteilte sich nicht freikaufen können.

Wieso dulden Behörden solche Interventionen? Drori erzählt, er habe zunächst geblufft und etwa verschiedene Ministerien glauben machen, die jeweils anderen unterstützten ihn. In seinem ersten Fall sei er einfach in ein Ministerium gegangen und habe darauf bestanden, einen Schmuggler vor laufender Videokamera zu verhören. „So ein forsches Auftreten heißt in Kamerun, dass jemand Mächtiges hinter dir steht“ – deshalb funktioniere es. Zugleich sorgte er dafür, dass die Geber beim ersten Prozess der Regierung gratulierten. Danach musste die ihn loben, statt ihn auszuweisen. Inzwischen arbeitet LAGA eng mit dem Waldschutz-Ministerium zusammen und wird von Grace Mbah sehr gelobt – auch wenn Drori den ganzen Staatsapparat für korrupt hält.

Die Initiativen gegen Korruption bringen in Kamerun etwas in Bewegung. So beobachtet Njonga, dass das Agrarministerium nach dem von ACDIC entfachten Skandal sauberer arbeitet: „Sie haben Angst und sind vorsichtiger.“ Im Arbeitsgebiet von Voies Nouvelles sei die Bauausführung von gut der Hälfte auf etwa vier Fünftel gestiegen, sagt Tomo. Beide wirken wie LAGA auch in die Behörden hinein und stützen integere Beamte. Und sie ermutigen Menschen, vom Staat Leistungen einzufordern, die ihnen zustehen.

Aber geht das an die politischen Wurzeln der Korruption? Wir können vielleicht helfen, eine kritische Masse zu schaffen, meint Tomo: „Aber wir sollten uns da keine Illusionen machen.“ ACDIC ist optimistischer: „Mittelfristig brauchen wir eine funktionierende Justiz“, sagt ihr Generalsekretär Jacob Kotcho. „Kurzfristig geht es um exemplarische Prozesse und Amtsenthebungen, die Leuten, die sich über dem Gesetz fühlen, zeigen: Biya kann uns nicht mehr schützen.“

Die Journalistin Marie-Noele Guichi sieht einen anderen Ansatzpunkt: Man solle endlich die Bestimmung der Verfassung von 1996 anwenden, nach der alle Amtsträger ihre Vermögen bei Amtsantritt deklarieren müssen. Und Titi Nwell setzt auf saubere Wahlen. Die allein machen freilich noch keine Demokratie. Doch NGOs wie ACDIC und Voies Nouvelles verbessern auch die Chancen auf eine echte Demokratisierung.

Literatur
Pierre Titi Nwell, La lutte contre la corruption au Cameroun de 1999 à 2008; Friedrich Ebert Stiftung/Presses Universitaires d‘Afriques, Yaounde 2009 (http://library.fes.de)

International Crisis Group, Cameroon: Fragile State? Africa Report 160, 25. Mai 2010 (www.crisisgroup.org)

International Crisis Group, Cameroun: Les dangers d‘un régime en pleine fracture. Rapport d‘Afrique 161, 24. Juni 2010 (www.crisisgroup.org)

 

erschienen in Ausgabe 9 / 2010: Korruption: Geld, Amt und Macht
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