Wie Gemüse anbauen die Welt verändert

Herausgeberkolumne
Die Sustainable Development Goals zielen im globalen Süden wie im Norden auf nachhaltig organisierte Gesellschaften. Um echten Wandel zu erreichen, gilt es die dominierende Weltanschauung zu hinterfragen. Das macht die Bewegung Transition.

Bis 2030 will die UNO 17 umfassende Nachhaltigkeitsziele erreichen, die weite Bereiche abdecken: Bildung, Gesundheit, Klimawandel, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Wirtschaft, Finanzen, Konsum und einiges mehr. Sie zielen nicht nur auf Armutsbekämpfung, sondern auf eine grundsätzlich veränderte Lebensweise sowohl im Norden wie auch im Süden. Die ganze Welt ist einbezogen. Auch wir in Europa haben einen Bedarf an Entwicklung, da unser Lebensmodell eine wichtige Ursache von Armut und Klimawandel auf der ganzen Welt ist.

Doch was ist überhaupt Nachhaltigkeit? Die übliche Definition gibt ihr drei Dimensionen: wirtschaftliche, ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Meines Erachtens fehlt dabei eine vierte, zentrale Dimension: diejenige der Wertvorstellungen, der Weltanschauung oder im weiteren Sinne der Spiritualität. Eine globale nachhaltige Entwicklung bedeutet nicht weniger, als das globale, vom Norden  geprägte Verständnis von Entwicklung und Wohlstand zu hinterfragen. Wie gut wollen wir und wie gut können wir innerhalb der Grenzen des Planeten Erde leben? Und lassen wir auf diese Fragen nicht bloß die Antwort des Konsums zu? Die von Umwelt- und Nachhaltigkeitsinitiativen getragene Bewegung Transition beruht auf einem Menschenbild mit weit mehr Facetten, als es das herrschende und marktorientierte System heute als Norm darstellt. Das Narrativ, das offenbar verloren gegangen ist, lautet: Der Mensch ist ein Wesen, das von seinen Mitmenschen und seiner Umwelt abhängig ist und das Verantwortung für die nächsten Generationen trägt.

Eine öffentliche Debatte zu der Frage „Auf welcher Welt wollen wir überhaupt leben?“ nimmt gerade im französischsprachigen Raum Fahrt auf. Dabei fragt man ausdrücklich auch nach dem Sinn unseres Lebens und nach unseren Wertvorstellungen. Unter dem Begriff Transition ist immer mehr über alternative Arten der Landwirtschaft, der Wirtschaft oder der Bildung zu hören. Viele Beispiele zeigte auch der Film „Tomorrow“, der im Frühjahr in den Schweizer Kinos lief. Die Anhänger der Transition verbinden dabei den Begriff des Übergangs mit einer erneuerten Weltanschauung und einer Wirtschaft, die sich nicht einzig auf Produktivität und Effizienz ausrichtet.

Die Vielfalt dieser lokalen oder regionalen Initiativen lässt sich nicht immer gut fassen, was manchmal zu einem Gefühl der Verzettelung führt. Diese Vielfalt spornt aber auch an und macht Mut, sich von den komplexen globalen Zusammenhängen nicht einschüchtern zu lassen. Aus ihnen lässt sich lernen, dass Anliegen der Entwicklungszusammenarbeit im Süden in unserem eigenen Kontext ebenso wichtig sind.  Die Bevölkerung im Süden wehrt sich gegen die Politik der Agrokonzerne, um die Souveränität über die eigene Lebensmittelproduktion zu behalten. Genau so wichtig ist, dass sich auch die Konsumentinnen und Konsumenten im Norden um diese Fragen kümmern. Die Folgen des Bergbaus schädigen unsere Umwelt und beeinträchtigen unsere Gesundheit im Süden wie im Norden. Entsprechend wächst überall das Bedürfnis, in der jeweils eigenen Situation zu handeln.

Der Bewegung Transition wird manchmal vorgeworfen, sie sei zu wenig politisch: Gemüse aus dem eigenen Garten reiche nicht aus, die Welt zu verändern. Zugegeben, derartige alternative Modelle haben weltweit bisher kaum einen Durchbruch auf politischer Ebene erreicht. Das macht es aber umso wichtiger, dass Organisationen der Zivilgesellschaft sich über Kampagnenarbeit für neue und vielfältige Narrative der Entwicklung einsetzen. Entwicklungshilfe bleibt nötig, doch ohne neue Geschichten des Wandels begeistern wir kaum genügend Leute für eine andere Welt – und noch weniger bewegen wir die Politik. Nachhaltigkeit bedeutet weit mehr als ein Label, welches sich Unternehmen im Jahresbericht selber zuschreiben. Sie umfasst eine Haltung, eine Vision und den Respekt und die Achtung gegenüber anderen Lebewesen. Ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft nicht wirklich nachhaltig wird, wenn sie die vierte  Dimension, die Spiritualität, außer Acht lässt.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2016: Zucker: Für viele süß, für manche bitter
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