„Man sollte doch wissen, dass man nicht fünf Schokoriegel am Tag isst“

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Zwei Vertreter von Nestlé Deutschland über Zucker im Ketchup, Kennzeichnungspflichten und weniger süße Rezepte.

Knapp 100 Gramm Zucker täglich nehmen Deutsche im Durchschnitt zu sich, Schweizer rund 140 Gramm – viel mehr als gesund ist. Ein großer Teil verbirgt sich in Süßgetränken, Frühstücksflocken, Ketchup oder Fertiggerichten. „welt-sichten“ hat bei Nestlé Deutschland nachgefragt, ob das Unternehmen seine Produkte weniger süß machen will.

Warum enthalten Frühstücksflocken und Ketchup so viel Zucker?
Mruck: Man kann streiten, ob es viel ist. Es gibt verschiedene gute Gründe dafür, dass Zucker in vielen Produkten ist. Frühstücksflocken etwa macht Zucker knackig und haltbarer, sie würden sonst mit der Zeit weich. Auch wenn Sie selbst eine Tomatensoße kochen, tun Sie zur Abrundung des Geschmacks eine Prise Zucker dazu. Für Ketchup benutzt man in der Regel süße Tomaten. Dann ist automatisch fruchteigener Zucker drin; der trägt zum Gesamtzucker bei. Und Zucker konserviert Lebensmittel, daher besteht Marmelade etwa zur Hälfte aus Zucker.

Drewes: Sie haben aber die Wahl zwischen unterschiedlich stark gesüßten Produkten. Bei Zerealien haben wir eine Bandbreite von Produkten mit neun Prozent Zucker, die nicht wirklich süß schmecken, bis zu 28 Prozent.

Verkaufen sich Produkte mit weniger Zucker?
Mruck: Wir mussten noch keine vom Markt nehmen. Aber es gibt Fälle, in denen der Absatz zurückgegangen ist. Bei Zerealien für Kinder haben wir Anfang 2013 den Zucker um 17 bis 30 Prozent reduziert. Das merkt man am Geschmack und es hat in einigen Fällen den Absatz beeinträchtigt.

Drewes: Außerdem gibt es technische Grenzen. Wir haben einmal ein beliebtes Produkt – die Frühstückszerealien „Trio“ – vom Markt genommen, weil es technisch nicht möglich war, mit einem deutlich geringeren Zucker­anteil die gewohnte Konsistenz zu erreichen.

Was halten Sie von der Empfehlung der WHO, dass man nicht mehr als zehn Prozent seiner Kalorien in Form von Zucker aufnehmen soll – das sind höchstens 50 Gramm am Tag? Und was folgt daraus für Ihre Produkte?
Mruck: Die Empfehlung ist sinnvoll und wir überarbeiten unsere Produkte entsprechend. Allerdings beziehen sich solche Empfehlungen der WHO oder auch der Deutschen Gesellschaft für Ernährung auf die Gesamtheit dessen, was jemand isst. Es ist nicht einfach, das auf einzelne Produkte herunterzubrechen. Wir haben dazu ein Nährwertkriteriensystem entwickelt. Es enthält beispielsweise Obergrenzen für den Kaloriengehalt, zugesetzten Zucker, Fett und gesättigte Fettsäuren und berücksichtigt je nach Produkt auch gute Inhaltsstoffe wie Eiweiß und Vollkorn. Dabei unterscheiden wir nach Altersgruppen und Produktarten. Man kann ja nicht die gleichen Kriterien an eine Pizza anlegen, die eine ganze Mahlzeit darstellt, und an den Löffel Senf, den Sie vielleicht zu den Bratwürstchen essen. Nach diesen Kriterien prüfen wir dann jedes Produkt. Wenn beispielsweise der Zuckergehalt zu hoch ist, arbeiten wir daran, ihn zu verringern. Unser Ziel ist, bei den betroffenen Produkten bis Ende 2016 zehn Prozent weniger Zucker zuzusetzen.

Drewes: Produkte, die die Kriterien für Kinder nicht erfüllen, werden außerdem nicht beworben. Für Schokolade werben wir nicht bei Kindern unter zwölf Jahren – also nicht im Kinderprogramm und nicht mit auf Kinder ausgerichteter Ansprache.

Sollte der Staat Höchstgrenzen für den Zuckergehalt einzelner Nahrungsmittel festgelegen?
Mruck: Wir sind dafür, in Europa freiwillige branchenweite Verpflichtungen anzustreben. Sie müssen aber wissenschaftlich belegbar und umsetzbar sein, das heißt technisch machbar und für Verbraucher geschmacklich akzeptabel. Auch ein System mit freiwilligen Höchstmengen können wir uns vorstellen. Einige andere Unternehmen teilen das, andere nicht; dazu gibt es in der Branche kontroverse Meinungen.

Wird es einfacher, den Zucker zu verringern, wenn alle mitmachen?
Mruck: Ja. Wenn viele Produkte stark gezuckert oder gesalzen sind, gewöhnen sich die Verbraucher daran und akzeptieren überarbeitete Produkte weniger.

Würden da staatliche Vorgaben nicht helfen?
Drewes: Es wäre schwierig, per Gesetz spezifische Regeln zu schaffen, die den verschiedenen Produktarten gerecht werden und auch kleine und mittelständische Unternehmen nicht überfordern. Nestlé hat einen Forschungs- und Entwicklungsbereich, der uns Anpassungen erleichtert. Ich kann verstehen, dass kleinere Unternehmen da mehr Bauchschmerzen haben.
Mruck: Man kann nicht einfach Zucker oder Salz aus einem Produkt nehmen, sondern muss das ganze Rezept komplett neu zusammenstellen. Das ist aufwendig und teuer.

Wie lange dauert das?
Mruck: Auf jeden Fall mehrere Monate, manchmal Jahre. Das Kindereis „Bumbum“ zum Beispiel besteht aus Vanille- und Erdbeereiscreme, einer roten Fettglasur und einem essbaren Kaugummistiel. An alle diese Komponenten mussten wir ran, weil wir Zucker und gesättigte Fette verringern und künstliche gegen natürliche Farbstoffe austauschen wollten. Wir mussten zum Beispiel eine neue Glasur entwickeln. Das hat Jahre gedauert.

2010 sollte in der Europäischen Union eine Farbkennzeichnung auf der Verpackung eingeführt werden, die sogenannte Lebensmittel-Ampel. Verbraucherverbände waren damals dafür, viele Firmen dagegen. Was war die Haltung von Nestlé?
Drewes: Damals war es noch nicht einmal vorgeschrieben, auf der Packung Nährwerte anzugeben. Einige Firmen sagten: Das brauchen wir nicht, dafür interessiert sich der Verbraucher nicht, es ist kein Platz auf den Verpackungen. Andere, darunter wir, erkannten den Anspruch des Verbrauchers auf die Information an. Die Forderung von nichtstaatlichen Organisationen nach der Ampel haben wir aber kritisch gesehen, weil diese nicht wirklich Information vermittelt und bei der Auswahl von Produkten innerhalb einer Kategorie auch nicht hilft. Zum Beispiel hätten alle Chips ein Rot für Salz und ein Rot für Fett, auch wenn sie im Vergleich zu anderen Chips Salz- oder fettreduziert waren. Von der roten in die gelbe Kategorie zu kommen, wäre oft technisch nicht möglich gewesen, es gäbe also auch keinen Anreiz, Produkte zu überarbeiten. Nestlé hat damals die erweiterte Nährwert-Kennzeichnung eingeführt, schon bevor sie dann vorgeschrieben wurde. Diese Kennzeichnung hilft auch, sich für die bessere von mehreren Alternativen zu entscheiden, und war damals ein Quantensprung bei der Transparenz für die Verbraucher.

Eine rote Ampel ist aber ein Warnhinweis, dass man Süßigkeiten oder Chips seltener essen sollte – ähnlich wie abschreckende Sätze auf Zigarettenpackungen. Ist das nicht besser, als Süßigkeiten etwas weniger süß zu machen?
Drewes: Die Frage ist, wie Verbraucher die Signale interpretieren. Dazu gab es damals Ergebnisse aus der Marktforschung: Rationale, gesundheitsbewusste Käufer machen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aus, andere sind stark genuss- und konsumorientiert. Die neigen laut dieser Forschung dazu, grüne Punkte zu deuten als „gesund“ und rote als „das schmeckt“.
Mruck: Und man sollte doch wissen, dass man nicht fünf Schokoriegel am Tag isst und auch nicht jeden Tag eine Pizza. Dafür ist kein rotes Signal erforderlich.

Woher bezieht Nestlé seinen Zucker – gibt es dafür soziale und ökologische Standards?
Drewes: Ja. In Deutschland beziehen wir fast nur Rübenzucker aus Europa. Hier geht es eher um ökologische Fragen; Zuckerrüben können die Böden stark auslaugen. Nestlé International bezieht auch Rohrzucker, wichtige Lieferländer sind Brasilien und Mexiko. In diesen Ländern müssen wir sorgfältiger prüfen auf Fragen wie den Schutz vor Entwaldung und Sozialstandards im Anbau, gerade für Saisonarbeiter: Mindestlöhne, Art der Unterbringung, ob die Kinder in die Schule gehen können. Wegen dieser Risiken haben wir ein Programm für verantwortlichen Einkauf aufgesetzt, in dem wir auch mit nichtstaatlichen Organisationen wie ProForest zusammenarbeiten. Man muss sich intensiv um solche Lieferketten kümmern und sich nicht nur auf Zertifizierungen verlassen, denn es gibt bei allen Standards zu wenige Stichproben, die Prüfer sind zu selten am Ort. Das gilt aber nicht nur für Zucker.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2016: Zucker: Für viele süß, für manche bitter
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