„Auch mal Nein sagen"

Nachhaltiger Tourismus
Nachhaltig reisen liegt im Trend. Sumesh Mangalasseri vom Reiseveranstalter Kabanitour erklärt, was er darunter versteht und warum die beliebten Hausboot-Touren in Kerala Gift für die Umwelt sind.

Was bieten Sie mir an, wenn ich mit Kabanitour verreisen will?
Wir arbeiten in sechs Dörfern in den südlichen indischen Bundesstaaten Kerala, Karnataka und Tamil Nadu. Unseren Besuchern bieten wir einen tiefen Einblick in das Leben dort: Geschichte, Kultur, Lebensstil, Landwirtschaft, Tier- und Pflanzenwelt. Wir stellen nichts nach und wir bauen nichts auf. Alles ist authentisch.

Was tun die Touristen in den Dörfern? Arbeiten sie mit?
Das können sie wählen. Manche arbeiten in der Landwirtschaft mit, andere lernen, wie man Kunsthandwerk herstellt. Sie können Lehrer, Bauern, Unternehmer und lokale Politiker zum Gespräch treffen. Sie können auch Wander- oder Angeltouren unternehmen. Unsere Führer und Taxifahrer kommen aus den Dörfern. Die meisten Guides sind Hausfrauen, wir schulen sie darin, den Touristen das Dorfleben und die Sehenswürdigkeiten zu erklären. 

Wer interessiert sich für Ihre Angebote?
Die meisten Gäste kommen aus Europa. Es ist ein Nischenmarkt, der vor allem in Deutschland wächst. In diesem Jahr bekommen wir aber auch mehr und mehr Anfragen von Indern, weil hierzulande das Bewusstsein für Umweltschutz und ländliche Entwicklung wächst. Im vergangenen Jahr hatten wir 275 Gäste, obwohl wir nicht gezielt werben. Wir nutzen soziale Medien, aber die Menschen kommen vor allem über Mundpropaganda. 2015 hielten sich die Touristen im Durchschnitt knapp drei Tage in einem Dorf auf. Aber das ist kein Problem: Für die Dorfbewohner ist der Tourismus nur eine zusätzliche Einnahmequelle, sie sind nicht davon abhängig.

Kann diese Art von Tourismus die Armut lindern?
Nein. Armut ist komplex und wir müssen ihre Wurzeln bekämpfen, um sie zu lindern. Dazu brauchen wir einen umfassenderen Ansatz. Der Tourismus erfordert bestimmte Fähigkeiten, die sehr arme Menschen in der Regel nicht haben. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass zusätzliches Geld aus dem Tourismus Bauern und Fischern gestattet, ihre traditionellen Einnahmequellen beizubehalten. Aber es erfordert große Anstrengungen, ihnen die nötigen Fertigkeiten zu vermitteln.

Was vermitteln Sie ihnen denn?
In unseren Trainings greifen wir alle Aspekte auf: Kommunikation, Mahlzeiten zubereiten, Gäste bedienen, Abfallmanagement, Hygiene, interkulturelle Fragen, aber es geht auch um schädliche Folgen des Tourismus und darum, wie man seine Entwicklung kritisch begleitet. Die Dorfbewohner lernen etwas über die rechtlichen Grundlagen, und wir fördern die Gleichberechtigung. Wir werben  dafür, dass Männer ihren Frauen im Haushalt helfen, weil die Gästebetreuung sonst die Frauen zusätzlich belastet.

Haben Ihre Projekte auch unbeabsichtigte Folgen – etwa, dass Dorfbewohner nach dem Kontakt zu ausländischen Gästen mit ihrem Leben nicht mehr zufrieden sind?
Bislang nicht. Sie empfangen ihre Gäste mit großem Stolz und machen die Erfahrung, dass all diese Menschen kommen, um mehr von ihrer Kultur und ihrem Leben kennenzulernen. Der kulturelle Austausch ist sehr konstruktiv. Dazu trägt außerdem unser Verhaltenskodex für Dorfbewohner und Touristen bei.

Wie wählen Sie die Gastfamilien aus, ohne dass es zu Neid und Spannungen kommt?
Das ist nicht ganz einfach. In den meisten Dörfern haben wir gar nicht genug Familien, die sich beteiligen wollen. Unsere Dörfer sind keine Touristenattraktionen, und die Bewohner sind ein bisschen skeptisch gegenüber den üblichen Formen des Tourismus. Außerdem spielen Unterschiede in der sozialen Schicht eine Rolle. Wenn man Gäste unterbringen will, muss das Haus einem bestimmten Standard entsprechen. Wir verteilen deshalb die Gewinne nach einem festen Schlüssel: Zwei Drittel von dem, was die Touristen bezahlen, geht direkt an die Gastfamilie. Ein Viertel bekommen wir für unsere Trainings, die Organisation und das Marketing. Die restlichen 15 Prozent fließen in einen Entwicklungsfonds des Dorfes. Die Einwohner können das Geld nutzen, wie sie möchten. Außerdem sorgen wir dafür, dass die Gastfamilien immer abwechselnd Touristen beherbergen.

Alle reden vom nachhaltigen Tourismus. Welche sind in Ihren Augen die drei wichtigsten Kennzeichen?
Am wichtigsten ist die Beteiligung der Einheimischen an Entscheidungen, an der Organisation, an den Gewinnen und an der Kontrolle. Zweitens muss der Tourismus dazu genutzt werden, das Leben der Menschen zu verbessern, darunter Bildung und Gesundheit. Die Kriterien für seinen Nutzen sollten nicht die Zahl der Touristen und sein Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt sein. Und drittens: Jede Form von nachhaltigem Tourismus muss reguliert werden. Wir sollten auch lernen, wie und wann wir Nein sagen müssen.

Sie arbeiten in einer Nische. Wie kann der Massentourismus wie die Besichtigung des Taj Mahal nachhaltiger werden?
Die Tourismusindustrie wird keinen Besucher abweisen aus Gründen der Nachhaltigkeit. Wir tun das. Wir bieten keine Fahrten auf Hausbooten an, die in Kerala sehr beliebt sind. An einem kleinen Ort gibt es mehr als 2000 solcher Boote, die den See verschmutzen. Das ist jenseits der Aufnahmefähigkeit. Massentourismus und Nachhaltigkeit gehen nicht zusammen. Nehmen Sie Flugreisen: Sobald Ihre Tour einen Flug einschließt, ist sie nicht länger nachhaltig.

Dann müssten Sie eigentlich auf Gäste aus Deutschland verzichten.
Das stimmt, in diesem Punkt ist sogar unser Programm nicht nachhaltig. Aber wir können Flugreisen nicht völlig vermeiden. Wir bitten unsere Gäste, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen und sparsam mit Ressourcen umzugehen. In Europa sind die meisten Flugrouten kürzer als 500 Kilometer, statt zu fliegen, könnte man mit dem Zug fahren.

Die indische Regierung wirbt in ihrem Programm „Incredible India“ ebenfalls für nachhaltigen Tourismus. Was halten Sie davon?
Die Kriterien, die sie anlegen, sind in Ordnung. Aber es fehlen Gesetze, um sie durchzusetzen, oder sie werden nur unzureichend angewendet. Es gibt kein Konzept, wie viele Touristen all die berühmten Sehenswürdigkeiten im Land ohne schädliche Folgen für Mensch und Umwelt verkraften. Subventionen und Anreize richten sich vor allem an die Großen in der Tourismusindustrie. Dabei kann der Staat eine wichtige Rolle spielen: Die Regierung von Neu-Delhi etwa verbietet private Autofahrten an bestimmten Tagen, um die Luftqualität zu verbessern.

Die UN haben 2017 zum „Jahr des nachhaltigen Tourismus“ ausgerufen. Sie kritisieren das. Warum?
2002 war das „Jahr des Öko-Tourismus“. Heute ist Öko-Tourismus eines der am stärksten missbrauchten Tourismus-Konzepte weltweit. Anstelle von umweltbewusstem Tourismus wurden sensible Regionen touristisch erschlossen und die Umwelt zerstört. Wir befürchten, dass sich das wiederholt. Die UNWTO hat vor allem die Interessen von Industrie und Regierungen im Blick, die Einheimischen und die Zivilgesellschaft werden an den Rand gedrängt. Aber die UN haben im vergangenen Jahr ja auch die Nachhaltigkeitsziele verabschiedet. Die sind ein gutes Advocay-Instrument, um Formen des Tourismus einzufordern, die zur Entwicklung beitragen.

Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2016: Tourismus: Alles für die Gäste
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