Städtische Selbstversorger

Urban Farming
Salat an Hauswänden, Honigbienen auf Dächern, Gemüse im Gemeinschaftsgarten: Landwirtschaft in den Städten wird immer populärer. Im Süden haben viele Projekte eine politische Botschaft.

Was man alles unter „urbaner Landwirtschaft“ verstehen kann, zeigte sich auf einer internationalen Konferenz Mitte September in Berlin. Unter den Begriff fällt die Kleingärtnerin mit ihrem Schrebergarten aus Berlin-Lichtenberg ebenso wie die Bäuerin in Maputo in Mosambik, die kommerziellen Ackerbau und Tierhaltung im Stadtgebiet betreibt. Auf der Konferenz wurde deutlich, dass oft Krisen oder Naturkatastrophen dazu führen, dass Stadtbewohner anfangen die Harke in die Hand zu nehmen. Vertreter von mehr als 70 Projekten von fünf Kontinenten tauschten sich über ihre Beweggründe, Probleme und die politischen Rahmenbedingungen in ihren Städten aus.

So führte die Wirtschaftskrise in Argentinien vor rund zwanzig Jahren dazu, dass viele Leute in die Städte zogen, berichtete Javier Alejandro vom „Programma de Agricultura Urbana“ aus der Stadt Rosario. Als sie auch dort keine Arbeit fanden, machten sie mit dem weiter, was sie gelernt hatten: Sie bauten Obst und Gemüse an, ernteten mehr, als sie für sich benötigten, und fingen an die Nahrungsmittel zu verkaufen. Heute kämpft die Organisation vor allem darum, dass die Produkte fair bezahlt werden und die Stadtbauern gesicherte Anbauflächen erhalten.

In Bangkok in Thailand hat die Hochwasserkatastrophe von 2011 die städtische Landwirtschaft hervorgebracht, berichtete Komson Hutapaed von der Organisation Media Center for Development Foundation. Als Folge der Überschwemmungen verloren viele Leute ihr Hab und Gut und mussten anfangen sich selbst zu versorgen.

Auch in Syrien sind urbane Gärten aus der  Not heraus entstanden. Die urbanen Bauern sind zuallererst politische Aktivisten, sagte Julia Bartal vom syrisch-europäischen Netzwerk 15th Garden, das seit vier Jahren städtische Gärten und Landwirtschaftsprojekte in und außerhalb Syriens unterstützt. Es setzt sich für Ernährungssouveränität in Kriegs- und Krisenzeiten ein. Laut Bartal besteht eine Kriegstaktik einiger Konfliktparteien in Syrien darin, die Bevölkerung auszuhungern. Das könne mit dem Anbau eigener Lebensmittel verhindert werden. Außerdem mache sich die Stadtbevölkerung durch den Eigenanbau unabhängig vom Schwarzmarkt, wo ein Sack Reis schon mal gegen ein Auto getauscht werde, so Bartal.

Gärtnern an der Grenze zwischen USA und Mexiko

Einig waren sich die Konferenzteilnehmer darin, dass städtisches Gärtnern eine wichtige soziale Komponente enthält. Die Gemeinschaftsgärten dienen als Begegnungsort, so auch im kolumbianischen Projekt AgroArte, das der Hip-Hop-Musiker El Aka vorstellte. Das Projekt möchte zur Versöhnung in der Stadt Medellín beitragen, die lange Zeit vom Drogenkrieg beherrscht wurde. AgroArte will Jugendliche zusammenbringen: Sie sollen lernen, gemeinsam zu gärtnern und zu rappen.

Auch am Grenzzaun zwischen San Diego in den USA und Tijuana in Mexiko sollen Pflanzen zur Versöhnung und Begegnung beitragen. Daniel Watman und Ricardo Arana vom Binational Garden und Friendship Park haben auf jeder Grenzseite die gleichen Samen gepflanzt, um zu demonstrieren, dass der Zaun eine künstliche Grenze darstellt, die Erde darunter jedoch dieselbe ist und die gleichen Früchte trägt. Auf der mexikanischen Seite gibt es außerdem Gemeinschaftsgärten, in denen sich jeder bedienen darf: die Einheimischen sowie die vielen Obdachlosen, die meist aus den USA deportierte Migranten sind.

In den Industrieländern des Nordens motivieren vor allem der Klimawandel und der Wunsch nach Selbstversorgung zu städtischer Landwirtschaft. Die Stadtbevölkerung wächst, im Jahr 2050 werden ungefähr zehn Milliarden Menschen die Welt bevölkern, zwei Drittel davon werden in Städten leben. Deshalb müssen alternative Flächen und Räume zum Zwecke der Ernährungssicherung geschaffen werden. Als eines der größten Probleme nannten die Aktivisten den Konkurrenzkampf um Grünflächen in den Städten. Der Wohnraum wird immer knapper, immer mehr Grünflächen werden deshalb bebaut. Was übrig bleibt wollen die einen zum Gemüseanbau nutzen, andere wollen darauf jedoch grillen oder Fußball spielen.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2017: Kongo: Das geschundene Herz Afrikas
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