"Die Aufarbeitung ist schmerzhaft"

Völkermord in Namibia
Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) haben im März Namibia besucht. Bei den Gesprächen ging es um die Schulderklärung der EKD zum Genozid an den Herero und Nama. Sie sei auf ein geteiltes Echo gestoßen, sagt die EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber.

Welche Rolle kann die EKD im Versöhnungsprozess in Namibia spielen?
Der ehemalige Bischof Zephania Kameeta, der jetzt Minister für Armutsbekämpfung und Soziale Fragen ist, hat den Umgang mit dem Genozid für uns Kirchen als eine primäre Frage des Glaubens („faith question“) bezeichnet. Das heißt für die EKD, dass wir uns unserer theologischen und geistlichen Verantwortung stellen müssen, nicht für andere, sondern zuallererst für uns selbst. Wir müssen sehr genau hinhören, in welchem Stil, in welchem Tempo und auch auf welche Art und Weise die namibischen Partner den Versöhnungsprozess gestalten wollen. Uns wurde in Namibia immer wieder gesagt: „Wir brauchen mehr Zeit.“ Die EKD kann von außen dabei nur eine sehr begrenzte Rolle spielen.

Ist die EKD-Schulderklärung in dieser Situation überhaupt hilfreich?
Insbesondere die Nachfahren der Opfer haben die Schulderklärung als eine gute Grundlage für weitere Gespräche bezeichnet. Natürlich haben wir aber mitbekommen, wie mühsam und schmerzhaft die Aufarbeitung des Genozids in Namibia ist. Nicht alle sind mit dem Text einverstanden. Einige in der DELK fühlten sich verletzt, weil die Schulderklärung in Namibia von nationalistischen und populistischen Medien und Gruppen instrumentalisiert wurde, um sagen zu können, die Deutschen seien an allem schuld. Wir bedauern zutiefst, dass unsere Schulderklärung zu solchen verallgemeinernden Missdeutungen geführt hat. Aber gleichzeitig stehen wir dazu, dass für die EKD diese Schulderklärung überfällig war. Außerdem ist es uns sehr wichtig, dass vor allem diejenigen Kirchen, die als Nachfahren der Opfer auch die direkt betroffenen Gemeinschaften vertreten, die Schulderklärung ausdrücklich begrüßt haben.

In der Schulderklärung nennt die EKD Maßnahmen, wie sie zur Versöhnung in Namibia beitragen möchte, etwa die Gestaltung gemeinsamer Gedenkorte in Namibia und Deutschland und die Umgestaltung der Christuskirche in Windhuk, wo heute noch eine Gedenktafel nur an die 2000 deutschen Toten von damals erinnert. Wurden diese bei dem Ratsbesuch konkretisiert?
Die Vorschläge wurden immer wieder als Beispiele genannt, konkrete Vereinbarungen haben wir aber nicht getroffen. Das hängt mit den verschiedenen Sichtweisen der namibischen Kirchen auf den Genozid zusammen. Es braucht einen gemeinsamen Blick, um miteinander Schritte der Versöhnung zu gehen. Auf Seiten aller lutherischen Kirchen, aber auch bei den anderen Kirchen, die im namibischen Kirchenrat CCN organisiert sind, herrscht großes Interesse an einem gemeinsamen Versöhnungsprozess. Die katholische Kirche ist ja durch ihre eigene Missionsgeschichte ebenfalls davon betroffen. Als EKD haben wir unsere Bereitschaft signalisiert, in weiteren Konsultationen daran weiterzuarbeiten. Wir können aber nicht neokolonial vorgeben, was andere tun sollen. Vieles können wir allenfalls in Gesprächen und mit Gebeten begleiten.

Die EKD unterhält zu der kleinen, weißen lutherischen Kirche in Namibia, der DELK, seit Jahrzehnten privilegierte Beziehungen. Das wurde wiederholt deutlich kritisiert, unter anderem vom Lutherischen Weltbund. Werden die Verträge zwischen EKD und DELK nun geändert, wie es in der Schulderklärung bereits in Aussicht gestellt wurde?
Mit der Frage der Partnerschaftsbeziehungen wird sich der Rat beschäftigen. Allerdings haben wir intern zur Ratsreise noch keine Auswertung gemacht, so dass es noch keine Ergebnisse dazu gibt.

Will die EKD die Beziehungen zu den beiden schwarzen lutherischen Kirchen in Namibia ausbauen?
Ja, wir wollen uns allerdings nicht nur im lutherischen Kontext bewegen. Die Begegnung sowohl mit der Gemeinsamen Kirchenleitung der lutherischen Kirchen (UCC-NELC) als auch mit dem namibischen Kirchenrat hat uns gezeigt, dass wir aus einer zu engen Perspektive herauskommen und die überkonfessionelle Zusammenarbeit suchen müssen.

Für die Nachfahren der Hereros und Nama ist die Frage der Anerkennung des Genozids durch Deutschland und die Frage nach Reparationszahlungen wichtig. Unterstützt die EKD diese Forderungen gegenüber der Bundesregierung?
Viele Gesprächspartner haben uns aufgefordert, die Regierungen in Deutschland und Namibia anzuspornen, dass die Verhandlungen zügig zum Abschluss kommen. Und das tun wir auch. Wir haben dabei allerdings nur eine kirchliche, keine politische Rolle. 

Das Auswärtige Amt hat bereits im vergangenen Jahr die EKD gebeten, gemeinsam mit den Kirchen in Namibia eine Liturgie für die feierliche Übergabe der Gebeine von Hereros und Nama aus Kolonialzeiten zu erarbeiten. Haben diesbezüglich Gespräche stattgefunden?
Diese Frage ist besprochen worden. Als EKD ist uns aber wichtig, dass auch der namibische Staat die geistlichen Führer und Kirchenverantwortlichen in Namibia auffordert, sich daran zu beteiligen. Das haben wir bereits in Gesprächen mit beiden Sonderbeauftragten der Regierungen im Oktober 2017 angefragt und bei unserem Besuch wiederholt. Uns ist sehr daran gelegen, dass es zu einem würdevollen Ritual bei der Übergabe kommt, und gerne bringen wir da als EKD unsere Expertise ein. 

Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck.

 

 

 

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Die Aussage der Frau in Hererotracht, die nach Auskunft der Redaktion welt-sichten am 14.5.2017 als Demonstrantin vor der von mehr als 9000 Teilnehmern besuchten Schlussveranstaltung im Rahmen der Vollversammlung des Lutherischen Weltbunds in Windhoek mit einem Schild auftritt, ist eindeutig und weitgehend: „EKD Cofession is a Lie (das Schuldbekenntnis der EKD ist eine Lüge)“. Offenbar ist diese Frau aus ihrer Situation als Nachkommin der Opfer des Völkermords und aufgrund ihrer Erfahrungen mit Mitgliedern der deutschen evangelischen Kirche zu dieser Überzeugung gekommen und wirbt mit ihrem Transparent um Zustimmung und Verständnis in Namibia für ihre Aussage.

Aber auch wenn man in Deutschland das späte Zustandekommen der Schulderklärung kurz vor der Vollversammlung des Lutherischen Weltbunds, wenn man die Zurückhaltung und das Schweigen der EKD-Verantwortlichen in der Frage der deutschen Schuldverantwortung am Völkermord in Namibia gegenüber der eigenen Regierung, der deutschen Öffentlichkeit, ja selbst gegenüber der eigenen Synode im November 2017 bemerkt hat, kann man das späte Bekenntnis der EKD-Verantwortlichen, gemessen an den großen „aus tiefsten Herzen“ kommenden Worten der Schulderklärung als verlogen empfinden.

Dazu kommt, dass der Text der Schulderklärung im Einzelnen so viele Unstimmigkeiten enthält, dass man an seiner Glaubwürdigkeit zusätzlich zweifeln kann.
1. In der Schulderklärung wird behauptet, die von der Vorgängerorganisation entsandten Pfarrer hätten sich „bis auf wenige Ausnahmen“ dem Völkermord nicht entgegengestellt. Tatsächlich waren zwischen 1900 und 1910 drei deutsche Pfarrer in Windhoek oder Namibia tätig, zwei vom Preußischen Oberkirchenrat und einer vom Kaiser und Preußischen König Wilhelm II. als Militärpfarrer entsandt. Von denen ist bekannt, dass sie voll und ganz hinter der deutschen Kolonialpolitik standen.
2. Die zu pastoralen Dienst an den deutschen Siedlern und Schutztruppen entsandten Pfarrer werden in dem Schuldbekenntnis in äußerst negativen Farben geschildert und aus theologischen Gründen zu Hauptschuldigen gemacht. In dem aufwendigen, sich über insgesamt sieben Jahre erstreckenden Studienprozess, der in dem Schuldbekenntnis als entscheidender Beitrag der EKD zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit aufgeführt wird, werden die drei Pfarrer im Sammelband des Studienprozesses nicht oder nur beiläufig erwähnt und nicht in Zusammenhang mit dem Völkermord gebracht.
3. Als Entlastung oder Entschuldigung werden vorangegangene Schulderklärungen angeführt, die aber alle nicht von der EKD, sondern von anderen Gruppierungen in Deutschland oder Namibia ausgegangen sind.

Es gilt, was in einer öffentlichen Erklärung des Lutherischen Weltbunds am Schluss der Vollversammlung in Windhoek im Mai 2017 zur Versöhnung im Zusammenhang mit dem Völkermord in Namibia gesagt worden ist: „Erst wenn die Wahrheit gesagt und Gerechtigkeit gesucht ist, kann tatsächliche Versöhnung über den Schmerzen der Vergangenheit stattfinden.“

Die Auslandsbischöfin der EKD, Petra Bosse-Huber, hat bei der EKD-Reise nach Namibia im März dieses Jahres vor allem mitbekommen, „wie mühsam und schmerzhaft die Aufarbeitung des Genozids in Namibia ist.“ Dass die notwendige Aufarbeitung des Genozids in Deutschland, vor allem aber in der EKD noch kaum begonnen hat, wird von ihr nicht thematisiert. Nach Bosse-Huber „können wir von außen nur eine begrenzte Rolle spielen“. In Wirklichkeit ist die EKD durch ihre besondere koloniale Verflechtung, verbunden mit anhaltender personeller und finanzieller Unterstützung der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche (DELK), schon seit Jahrzehnten an den Vorgängen in Namibia in hohem Maße beteiligt. Die Auslandsbischöfin will „nun aus ihrer engen Perspektive herauskommen“ und mithilfe des Council of Churches of Namibia (CCN) die überkonfessionelle Zusammenarbeit mit der Katholischen Kirche in Namibia und Deutschland suchen. Das schließt auch die Zusammenarbeit mit der Katholischen Kirche in Namibia und Deutschland mit ein. Eine besondere privilegierte Unterstützung einer reichen deutschen Minderheitskirche in Namibia ist von daher nicht mehr zu vertreten. Was der Mainzer Arbeitskreis Südliches Afrika (MAKSA) schon seit über 45 Jahren erwartet, die Beendigung dieser kolonialen Beziehung, kann nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2018: Müllberge als Goldgruben
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