Sport im Armenviertel

Südafrika
Südafrikas Bevölkerung wird immer dicker – und kränker. Der neue ­Präsident Cyril Ramaphosa hat das schwerwiegende Problem zur Chefsache erklärt.

Kapstadt im Morgengrauen: Die aufgehende Sonne kriecht über den Ozean, zwei Jogger kommen die Strandpromenade entlang. Andere Frühaufsteher drehen sich um: Sind sie es wirklich? Nur Stunden später kursieren Fotos in den sozialen Medien, die Südafrikas neuen Präsidenten Cyril Ramaphosa und den früheren Finanzminister Trevor Manuel in Trainingsanzügen zeigen. Ramaphosa ist sportbegeistert – anders als viele seiner Landsleute: Der neue Präsident hat nicht nur einen korrupten Staatsapparat und eine angeschlagene Wirtschaft geerbt, sondern auch eine Nation mit einem schwerwiegenden Problem.

Jeder dritte Mann und mehr als zwei Drittel der Frauen in Südafrika sind übergewichtig oder fettleibig. Damit liegt das Land nicht nur weit über dem globalen Durchschnitt. Es besitzt obendrein eine der dicksten Bevölkerungen des Kontinents. Übertroffen wird es im Gewichtsranking nur noch von Ägypten. Der 65-jährige Ramaphosa hat dem Problem den Kampf angesagt. Er trägt seine Botschaft dorthin, wo sie bisher am unpopulärsten war: in die Armenviertel des Landes.

Seit seinem Amtsantritt Mitte Februar hat Ramaphosa regelmäßig Kilometermärsche durch die Townships angeführt, erst in Kapstadt, dann in Johannesburg. „Es ist nett, ein Stück mit dem Präsidenten zu gehen. Es ehrt mich“, sagt ein Einwohner von Soweto, Südafrikas größter Township. Mit den Hunderten Slumbewohnern, die ihn auf seinen frühmorgendlichen Trainings begleiten, diskutiert Ramaphosa nicht nur über Probleme wie Arbeitslosigkeit oder Korruption – im Fokus steht vor allem die Gesundheit. Denn parallel zum Gewicht der Südafrikaner ist in den vergangenen Jahren die Häufigkeit von nichtübertragbaren Krankheiten gestiegen. Dazu zählen unter anderem Diabetes, Bluthochdruck und einige Arten von Krebs. Auch das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall ist erhöht.

Aufgeblasenes Weißbrot oder gezuckerten Maisbrei

Kirschrot glänzen sie aus Südafrikas Supermarktregalen: billiger Aufschnitt und Mini-Wienerwürstchen, hergestellt aus Fleischabfällen, Getreide, Farb- und Konservierungsstoffen. Dazu gibt es aufgeblasenes Weißbrot oder gezuckerten Maisbrei. Dank dieser Kost schaffen es die Südafrikaner zwar auf ihren Tagesbedarf von 2000 Kalorien und darüber hinaus – jedoch ohne Nährwert oder Gewinn für die Gesundheit. Auch biologische und kalorienarme Lebensmittel gibt es in den Supermärkten. Doch sie sind teuer, gekauft werden sie nur von der kleinen Mittelschicht und den Wohlhabenden.

Armut trägt entscheidend zu dem Gewichtsproblem bei. Laut der Weltbank ist Südafrika das Land mit der ungerechtesten Einkommensverteilung. Mehr als jeder vierte Südafrikaner hat keinen Job, mehr als die Hälfte lebt unter der Armutsgrenze. „Armen Menschen ist es am wichtigsten, ihre Familie zu ernähren, egal womit“, sagt Thandi Puoane, Professorin an der Schule für öffentliche Gesundheit an der Universität Westkap. Das bestätigt auch Sundeep Ruder. Der Endokrinologe aus Johannesburg beklagt, vor allem in den Städten nähmen die Menschen immer mehr industriell gefertigte Nahrungsmitteln mit vielen Kalorien zu sich – und die Zahl der Stadtbewohner hat sich in den vergangenen Jahren stark erhöht.

Traditionelle Ernährungsweisen seien auf dem Weg vom Land in die Stadt verloren gegangen, sagt Ruder. „Oft wird es als persönlicher und materieller Erfolg angesehen, wenn man sich stark verarbeitete Lebensmittel leisten kann. Sie sind außerdem leicht verfügbar und kosten weniger als gesunde Alternativen“, fügt er hinzu. Zudem fehle es an Gesundheitsbewusstsein: „Der durchschnittliche Südafrikaner weiß nicht, dass eine Dose Softdrink fast zehn Teelöffel Zucker enthält.“

Hinzu kommt: Sport und Bewegung ist bei Schwergewichtigen wenig beliebt. Auch dafür macht Sundeep Ruder sozioökonomische Gründe geltend: „Als Ausrede für Mangel an Bewegung im Freien nennen Patienten häufig die hohe Kriminalitätsrate, Unsicherheit im Verkehr und schlechte Instandhaltung von Parks und Freizeitanlagen.“ Es gibt durchaus gesundheitsbewusste, sportbegeisterte Südafrikaner. Doch erneut sind es die wenigen Privilegierten, die entweder in sicheren Vororten leben oder Geld für den Mitgliedsbeitrag im Fitnessstudio haben, um auf dem Laufband gegen die Kilos anzulaufen.  
Wissenschaftler an der Universität Witwatersrand bei Johannesburg warnen vor den Folgen massenhafter Gewichtsprobleme.

Autor

Markus Schönherr

ist freier Korrespondent in Kapstadt und berichtet für deutschsprachige Zeitungen und Magazine aus dem südlichen Afrika.
Langsam aber sicher lösen Zivilisationskrankheiten Tuberkulose und HIV/Aids als häufigste Todesursachen ab. Im Kampf gegen Aids hat Südafrikas Regierung in den vergangenen Jahren große Erfolge erzielt. Dank des größten HIV-Behandlungsplans weltweit ist die Lebenserwartung um zehn auf 62 Jahre gestiegen. Doch Südafrikas Gesundheitssystem sei noch nicht darauf ausgelegt, der Fettleibigkeit und ihrer Folgekrankheiten Herr zu werden, meint Karen Hofman, Expertin für öffentliche Gesundheit an der Universität Witwatersrand. Es fehlten Personal und Geld, außerdem stehe noch immer die Behandlung von Infektionskrankheiten im Vordergrund.

Gemeinsam verzeichnen Südafrikas staatliche Krankenhäuser jeden Monat 25.000 neue Patienten mit Bluthochdruck und 10.000 neue mit Diabetes. Die Dunkelziffer sei vermutlich doppelt so hoch. „Personalmangel und schlechte Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten sind nur zwei Faktoren, die der Kontrolle von Zivilisationskrankheiten im Weg stehen“, kritisiert der Health Systems Trust (HST), eine 1992 gegründete Hilfsorganisation, die Südafrikas Gesundheitssystem stärken will. Zudem fehle es öffentlichen Kliniken häufig an Wissen über die richtige Behandlung von Übergewicht.

Steuer auf Softdrinks eingeführt

„Ohne weitere Maßnahmen zur Gesundheitsförderung wird die Lebenserwartung vermutlich wieder zurückgehen“, fürchtet Hofman. „Das war etwa auch in Brasilien der Fall.“ Dabei wäre die Prävention effektiver und wesentlich günstiger als die Behandlung, betont sie. Hier will das Versicherungsunternehmen Discovery ansetzen. Laut einer Studie aus seinem Hause erleidet Südafrikas Wirtschaft jährlich einen Schaden von 700 Milliarden Rand (48 Milliarden Euro) durch die Folgen von Übergewicht, darunter Blindheit, Nierenversagen, Herzinfarkte, Schlaganfälle – und eine kranke, arbeitsunfähige Bevölkerung. „Ich denke, niemand leugnet, dass wir ein dickes, fettes Problem haben“, sagt Craig Nossel, Leiter des Gesundheitsprogramms bei Discovery. Die

Krankenversicherung will einen Anreiz für gesündere Ernährung setzen: Sie bietet ihren Versicherten ein Geld-zurück-Programm, bei dem sie ein Viertel ihrer Ausgaben für gesunde Nahrungsmittel zurückerhalten. Präsentiert der Kunde an der Kasse seine „Healthy Food“-Karte, wird der Rabatt vom Kaufbetrag gleich abgezogen. Der Kauf von Obst, Gemüse und anderen Vitalprodukten ist laut Discovery bei ihren Kunden zwar um zehn Prozent gestiegen. Doch versichert sind wiederum nur die Wohlhabenden und die Mittelschicht.

Die Regierung in Pretoria hat erkannt, dass sie in puncto Fettleibigkeit gegen die Zeit arbeitet. Im April dieses Jahres hat sie in einem ersten Schritt eine Steuer auf Softdrinks eingeführt. Damit folgt sie dem Vorbild von etwa 30 weiteren Staaten, die damit gute Erfahrungen gemacht haben. In Mexiko etwa war der Konsum von Softdrinks zwei Jahre nach der Einführung einer Zuckertaxe um zehn Prozent zurückgegangen. Nicht nur südafrikanische Ärzte begrüßten den Vorstoß, auch Rufaro Chatora, Repräsentant der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Südafrika, lobte das Parlament für den „mutigen und mächtigen Schritt, der die Gesundheit der Bürger fördert“. Und mutig war die Entscheidung tatsächlich – glaubt man dem Leiter des parlamentarischen Finanzkomitees, Yunus Carrim: Er berichtet, dass Vertreter der Getränkeindustrie das Gesetz mit Einschüchterungsversuchen gegen Parlamentarier verhindern wollten.

Darüber hinaus geht Südafrikas Regierung gegen übermäßigen Salzkonsum vor. Er gilt als Ursache für hohen Blutdruck, Herzinfarkte und Schlaganfälle. 2016 wurde der Salzgehalt in fertigen Lebensmitteln per Gesetz begrenzt, eine weitere Senkung ist für 2019 geplant. 100 Gramm Brot dürfen dann etwa nur noch 380, Würste nur 600 Milligramm Natrium enthalten. Der WHO-Grenzwert für Erwachsene liegt bei zwei Gramm pro Tag. Um die Südafrikaner zu mehr Bewegung zu motivieren, entstehen in Metropolen wie Kapstadt und Johannesburg Radwege. Öffentliche Parks werden immer öfter mit einfachen Crosstrainern und Gewichtsbänken ausgestattet.

Zusätzlich Abhilfe schaffen könnte eine staatliche Krankenversicherung, wie sie Südafrika bis 2025 anstrebt. „Sie könnte Zugang zu medizinischen Leistungen schaffen, die für fettleibige Patienten aus der Unter- und Mittelschicht unerschwinglich sind“, sagt Andre Kengne, Experte für nichtübertragbare Krankheiten am Südafrikanischen Gesundheitsforschungsrat (SAMRC). „Das gilt  nicht nur für Behandlungen, sondern auch für die Vorsorge.“

Vielen Aktivisten und Medizinern gehen die Maßnahmen der Regierung jedoch nicht weit genug. Wie so oft bestehe eine große Kluft zwischen Theorie und Praxis, kritisieren sie. So lobt der Health Systems Trust, dass die Zahl des medizinischen Personals in den vergangenen Jahren gestiegen sei. „Dieser Zuwachs bedeutet aber nicht, dass nichtübertragbare Krankheiten jetzt besser behandelt würden.“ Zusätzliches Training für Ärzte und Pfleger sei nötig, genauso wie Aufklärung über Risiken und einfache Prävention. „Studien haben gezeigt, dass das Stillen von Kindern dazu beiträgt, das Risiko für Fettleibigkeit zu senken. Derzeit wird aber in keiner Weise dafür geworben.“ Nur etwa ein Drittel der südafrikanischen Mütter stillt, die meisten verabreichen industriell gefertigte Babymilch aus dem Supermarkt.

Gesundheitsaktivisten fordern außerdem, die Einnahmen aus der Zuckersteuer auf Getränke sollten nicht in die Staatskasse fließen, sondern direkt in den Kampf gegen Diabetes und andere Zivilisationskrankheiten. Zudem verlangen sie ähnliche Maßnahmen wie bereits bei Tabak: aktive Aufklärung gegen den Inhaltsstoff und strengere Maßnahmen wie etwa ein Werbeverbot für Softdrinks. „Wir brauchen mehr Wissen und Bewusstsein darüber, wie entscheidend gesunde Ernährung und Bewegung sind“, sagt der Johannesburger Endokrinologe Ruder. „All das können wir uns von den Industrieländern abschauen und anschließend auf unsere Verhältnisse anpassen.“

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erschienen in Ausgabe 6 / 2018: Neu ist Kult
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