Schützen statt abschotten

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Deutschland und Europa streiten über Asylpolitik – und auf globaler Ebene werden derzeit neue Regelwerke für den Umgang mit Migranten und Flüchtenden erarbeitet. Was werden sie bringen?

Seit 2015 sucht Europa erfolglos nach einer gemeinsamen Haltung zum Umgang mit Migration und Flucht. Die bisherigen politischen Antworten sind Stückwerk und abwehrend: Abkommen mit einzelnen Ländern, Kooperationen zu Sicherheit, Grenzschutz und am Ende allzu oft Abschottung, Zäune und Mauern. Nach wie vor ist die europäische Politik nicht stimmig. Nicht zuletzt verstoßen europäische Staaten in ihrer Migrationspolitik gegen ihre eigenen humanitären Ansprüche – unter anderem belegt durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Spanien. Auch in der Debatte in Deutschland über Massenunterkünfte und über Anreize für Flüchtlinge, noch während ihrer Asyl-Verfahren auszureisen, zeigt sich, dass viel zu oft nicht die Betroffenen im Mittelpunkt stehen, sondern Innenpolitik und Wahlkampfinteressen.

Ohnehin überwiegt ein eurozentrischer Blick.Solche Antworten passen nicht zu den Fragen, die mir Menschen auf meinen Reisen im Irak, in Syrien, in Eritrea, in Afghanistan oder vor den Zäunen der spanischen Exklave Melilla im Grenzgebiet in Marokko gestellt haben – die meisten von ihnen Hoffende, Suchende, Verzweifelte. Ihnen geht es darum, wie die Zukunftsaussichten in ihren Heimatländern verbessert werden können, wie Sicherheit und Frieden möglich sind. Oder ob sie mit ihren getrennten Familien wieder zusammenkommen können und was ihnen droht, wenn sie ihre Ziele für ein besseres Leben nicht erreichen – weder zu Hause noch anderswo. Im Kern sind es Fragen nach gemeinsamen Entwicklungschancen aller Menschen auf allen Kontinenten. Davon sind wir weit entfernt.

Zahnlose Papiertiger?

Auf globaler Ebene wird dagegen derzeit versucht, neue Regelwerke für den Umgang mit Migranten und Flüchtenden zu erarbeiten. Bei den Vereinten Nationen laufen Verhandlungen zu zwei globalen Verträgen zu Migration einerseits und zum Flüchtlingsschutz andererseits. Ende des Jahres sollen diese „Compacts“ offiziell verabschiedet werden. Derzeit wird um Inhalte und Formulierungen gerungen, aber klar ist schon jetzt, dass beide Dokumente am Ende nicht bindend sein werden. Kritiker fürchten deshalb, dass es sich nur um einen weiteren zahnlosen Papiertiger handeln wird. Andere hoffen, dass mit den Vereinbarungen tatsächlich Mechanismen gefunden werden, die den Betroffenen mehr Schutz bieten und Verfahren klarer und geordneter gestalten.

Für Geflüchtete gibt es mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bereits festgelegte Schutzstandards. Der neue UN-Pakt zu Flucht bietet die Möglichkeit, auf dieser Grundlage praxisnahe Werkzeuge zu entwickeln. Dazu sollen ein Rahmenvertrag und ein Aktionsplan beschlossen werden. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Werkzeuge der Realität in Ländern entsprechen, die besonders von Flucht betroffen sind. Eine wachsende Zahl von Ländern muss für lange Zeit Flüchtlinge aufnehmen, von denen eine zunehmende Zahl außerhalb von Lagern lebt. Diese Entwicklungen verlangen nach neuen Antworten und Ansätzen. Insofern kommt das Vorhaben, mit dem UN-Pakt solche Länder stärker zu unterstützen, zur rechten Zeit.

Im Vergleich dazu ist der Versuch, einen Migrationspakt aus der Taufe zu heben, ein weitaus ambitionierteres Unterfangen, da es bisher kein orientierendes Referenzabkommen auf globaler Ebene gibt. Die Erwartungen sind daher ungleich höher und die Verhandlungen sehr viel schwieriger. Es fällt auf, dass die beteiligten Staaten, je nachdem ob sie Herkunfts-, Transit- oder Zielländer sind, Migration entweder als eine Chance oder eine Last begreifen. Ungarn und die USA sehen den gesamten Prozess als zu migrationsfreundlich an. Sie haben sich den Verhandlungen entzogen und kritisieren die weiteren Bemühungen. Die Europäische Union wiederum drängt darauf, dass in den Beratungen klar zwischen regulärer und irregulärer Migration unterschieden und das Thema Rückkehr betont wird.

Legale Wege eröffnen

Misereor setzt sich hingegen in Übereinstimmung mit den klaren Positionen des Vatikan dafür ein, dass in den UN-Verhandlungen umfassende Schutzrechte für Flüchtlinge und Migranten gestärkt werden und Migration als Chance verstanden wird. Wichtig ist auch, Geflüchtete und gleichzeitig die Gemeinden in den Hauptaufnahmeländern zu fördern, um Konflikten zwischen beiden vorzubeugen. Zudem sollte der UN-Pakt den Zugang von Migranten und Migrantinnen zu Basisdiensten wie Bildung und Gesundheit unabhängig von ihrem Status, eine Unterbringung ohne Internierung sowie Schutzrechte für alle Migrantengruppen festschreiben – insbesondere für besonders schutzbedürftige Gruppen wie Kinder, alte Menschen oder Menschen mit Behinderungen. Und schließlich sollte der Pakt Perspektiven für die Schaffung von legalen, geordneten Wegen für Migration eröffnen.

Wichtig ist außerdem, dass die Rechte von Arbeitsmigranten gestärkt werden. In vielen Weltregionen leisten sie wesentliche Beiträge zu Entwicklung und zu den Sozialsystemen, zugleich leben sie aber oft unter schwierigen Bedingungen ohne Zugang zu Arbeitsschutz und sozialer Absicherung und zu Beschwerdemechanismen oder der Justiz. Hier sei an die UN-Wanderarbeiterkonvention erinnert, die viele OECD-Staaten immer noch nicht ratifiziert haben.

Viele dieser Punkte werden im Migrationspakt angesprochen. Nachdem die Verhandlungen lange eher unbefriedigend verlaufen sind, finden sich in den neueren Entwürfen gute Weiterentwicklungen. Allerdings stehen etliche Punkte eher nebeneinander und ergeben kein konsistentes Ganzes. Der Betonung der positiven Wirkungen von Migration stehen etwa Empfehlungen für mehr Überwachung, Informationssammlung und Grenzkontrolle gegenüber – Maßnahmen, die schon heute die Arbeitsmigration innerhalb von Regionen wie Westafrika erschweren.

Der Klimawandel wird als treibende Kraft benannt

Ein Fortschritt ist, dass in dem Pakt verschiedene Ursachen für Migration in den Blick genommen werden. So werden etwa Migration als Folge von Umweltveränderungen thematisiert und der Klimawandel als eine treibende Kraft benannt. Weltweit werden jedes Jahr mehr Menschen durch Umwelteinflüsse aus ihrer Heimat vertrieben als durch gewaltsame Konflikte. Es besteht also dringender Handlungsbedarf.

Autor

Martin Bröckelmann-Simon

ist Geschäftsführer bei Misereor und zuständig für die internationale Zusammenarbeit.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) wird für die Umsetzung der Vereinbarungen verantwortlich sein. Fraglich ist, ob es ihr trotz ihrer Abhängigkeit von staatlicher Finanzierung gelingen wird, einen umfassenden Schutzanspruch für Migranten gegen politische Widerstände von Staaten weltweit durchzusetzen. Offen ist auch, wie die lokale und die internationale Zivilgesellschaft in die Umsetzung und das Monitoring des Paktes eingebunden werden.

Am Ende werden die beiden UN-Pakte zumindest viel diskutierte Papiere sein, deren Verhältnis zueinander dann hoffentlich hinreichend klar ist. Die Messlatte muss sein, was sich durch sie für die Betroffenen selbst ändert. Werden die Compacts die Fragen beantworten, die mir Flüchtlinge und Migranten auf meinen Reisen stellen?

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erschienen in Ausgabe 7 / 2018: Vormarsch der starken Männer
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