„Ausschuss sollte öffentlich tagen“

Entwicklungspolitik
Helin Evrim Sommer, Sprecherin der Linken für Entwicklungspolitik, fordert mehr Transparenz im Bundestag.

Für bestimmte entwicklungspolitische Fragen gäbe es fraktionsübergreifende Mehrheiten im Parlament. Doch die CDU/CSU will nicht mit den Linken stimmen. Deren Fraktionssprecherin für Entwicklungspolitik, Helin Evrim Sommer, findet das undemokratisch. Fünfter Teil unserer Gesprächsreihe mit den entwicklungspolitischen Sprecherinnen und Sprechern im Bundestag.

Frau Sommer, Sie haben sich als Bundestagsabgeordnete bislang vor allem zur türkischen Unterdrückung der Kurden im Nordirak geäußert. Was bringt Sie in die Entwicklungspolitik?
Mit Entwicklungspolitik und Entkolonialisierung habe ich mich bezogen auf das Land Berlin schon während meiner Zeit im Berliner Abgeordnetenhaus beschäftigt. Es lag nahe, diese Themen auf Bundestagsebene weiterzuführen. Ich lasse mich nicht auf die Kurdenpolitik reduzieren. Das entspricht nicht meinem politischen Selbstverständnis. Ich bin als Sprecherin meiner Fraktion aber unter anderem auch für die Türkei und den Nahen Osten zuständig. Deshalb äußere ich mich auch zur Kurdenfrage in diesen Ländern, zumal dies Schwerpunktländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und derzeit die Hauptempfänger von humanitärer Hilfe sind.

Was missfällt Ihnen grundsätzlich an der aktuellen Entwicklungspolitik?
Dass die große Koalition sie zunehmend nach innenpolitischen Prämissen ausrichtet. Sie zweckentfremdet die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit in hohem Maß für sicherheitspolitische Aufgaben wie die Grenzsicherung und für Rückkehrprogramme von Geflüchteten. Sie versagt beim Klimaschutz und unternimmt zu wenig gegen ungerechte Handelsstrukturen, weil deutsche Exportunternehmen davon profitieren. Es ist daher überfällig, die Entwicklungszusammenarbeit neu auszurichten. Die Bedürfnisse der Menschen in den Partnerländern müssen im Vordergrund stehen und nicht die sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen der Geberländer. Ich nenne drei Schwerpunkte: Hunger und Armut durch gerechten Welthandel überwinden, Klimawandel wirksam bekämpfen und Konflikte gewaltfrei lösen, um friedliche Entwicklung zu fördern.

Können die Parlamentarier die Mittelverwendung überhaupt noch kontrollieren?
Die Bundesregierung spielt leider oft mit gezinkten Karten, um zweckwidrige Verwendungen möglichst zu verschleiern. Wir wollen, dass die Ausgaben für die Entwicklungspolitik umgehend wieder von den Verteidigungsausgaben entkoppelt werden. Die Entwicklungspolitik muss sich wieder um ihre klassischen Aufgaben kümmern und darf nicht dazu missbraucht werden, die Folgen von Militäreinsätzen abzumildern. Stattdessen müssen Hunger und Armut überwunden werden, denn diese sind der größte Nährboden für gewaltsame Konflikte, etwa mit Programmen für die soziale Grundsicherung. Die internationale Klimafinanzierung darf nicht allein dem Entwicklungsministerium aufgebürdet werden. Wir fordern zusätzlich zu den staatlichen Entwicklungsausgaben ein Jah­res­plus bei den Klimafinanzen von 800 Millionen Euro.

Hunger und Armut waren auch oberste Priorität von Minister Gerd Müller, bevor der Fokus auf Flucht­ursachen alles andere überlagert hat.
Sonntagsreden allein bewirken nichts. Die Entwicklungsausgaben, die sogenannte ODA-Quote, werden künstlich hochfrisiert, indem die Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen im Inland angerechnet werden. Oder die Finanztransaktionssteuer: In der Haushaltsdebatte hat Entwicklungsminister Müller diese Steuer befürwortet. Er muss aber auch die Kraft und Ausdauer haben, einen Konflikt mit dem Finanzminister auszutragen. Ein interfraktioneller Antrag für die Transaktionssteuer fände vermutlich eine breite Mehrheit. Müller hätte aber wohl weitaus größere Schwierigkeiten, die Union davon zu überzeugen. An der Linksfraktion würde das Vorhaben gewiss nicht scheitern. Die Union hat aber eine Art „Extremistenbeschluss“ gefasst, der gemeinsame Anträge mit der Linken und der AfD untersagt. Wir werden da auf dieselbe Stufe gestellt wie die rechte AfD. Das ist schon ein starkes Stück und schlicht undemokratisch.

Was würden Sie in der Arbeit des Bundestags gerne verändern?
Dass die Ausschüsse geheim tagen, ist nicht mehr zeitgemäß angesichts wachsender Entfremdung vieler Bürgerinnen und Bürger von der Politik. Im Berliner Abgeordnetenhaus waren die Sitzungen für die Bürger frei zugänglich. Es müssen ja nicht gleich alle Bundestagsausschüsse öffentlich tagen. Beim Verteidigungs- und Innenausschuss werden oft hochsensible Informationen behandelt, die vertraulich bleiben müssen. Das sehe ich ein. Aber doch nicht beim Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit oder beim Menschenrechtsausschuss! Darüber sollten die Fraktionen noch einmal reden.

Das Gespräch führte Marina Zapf.

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