Das Ende der Einheitsfront

Die Spaltung des ANC hat mit persönlichen Seilschaften zu tun, öffnet aber auch Raum für Kritik

Von Tom Lodge

Ende 2007 hat der ANC Jacob Zuma anstelle von Thabo Mbeki zu seinem Vorsitzenden gewählt und im September 2008 Mbeki zum Rücktritt als Staatspräsident gedrängt. Daraufhin haben Unterstützer Mbekis eine neue Partei gegründet, den „Congress of the People" (COPE). Auch wenn dabei persönliche Rivalitäten eine größere Rolle gespielt haben als programmatische Gegensätze, eröffnet die Abspaltung Aussichten auf das Ende der unbestrittenen Vorherrschaft einer Partei.

Etwas wie Jacob Zumas triumphalen Sieg über Mbeki vom Dezember 2007 hatte es in der Geschichte des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) noch nie gegeben. Im öffentlichen Ringen um Delegiertenstimmen zeigten sich tiefe Risse in der regierenden Partei. Zuvor waren Führungswechsel normalerweise sehr gesittet vor sich gegangen. 1991 wurde Mandela ohne Konkurrenz zum Parteivorsitzenden gewählt. Beim Parteitag von 1994 gab es nur für zwei der wichtigsten Ämter Gegenkandidaten. Das Verbot der Fraktionsbildung in den Statuten des ANC machte es für Abgeordnete, die unabhängig abstimmen wollten, sehr schwierig, vor dem Parteitag Absprachen untereinander zu treffen. So waren die mit dem ANC alliierten Verbände, die Kommunistische Partei (SACP) und der Gewerkschaftsdachverband COSATU (Congress of South African Trade Unions), die einzige Plattform, von der aus jemand amtierenden Parteiführern die Stirn bieten konnte. Die meisten Kommunisten sind zugleich engagierte ANC-Mitglieder und viele COSATU-Aktivisten haben großen Einfluss in den Ortsgruppen des ANC.

Von 1991 bis 2002 wurden die Ergebnisse der Wahlen für innerparteiliche Ämter und für die Führungsspitze immer vorhersehbarer und es gab weniger Gegenkandidaten. Dennoch brachten Delegierte abweichende Meinungen traditionell nicht dadurch zum Ausdruck, dass sie die politische Linie direkt kritisierten, sondern eher dass sie Kandidaten mit abweichenden Positionen unterstützten. Erst nach dem „kleinen Parteitag" 2005 begannen Delegierte bei ANC-Versammlungen die Parteipolitik offen zu kritisieren.

Nur in der SACP gab es schon ab 2002 eine entschiedene Opposition. Die Partei schuf mit der „Young Communist League" auch eine Jugendorganisation, die im Lauf der nächsten fünf Jahre erheblich dazu beitrug, dass die ANC-Jugend nach links rückte und sich hinter Zuma stellte. Die SACP und ihre Jugendliga fanden beträchtlichen Zulauf, vor allem unter arbeitslosen Schulabgängern in den ländlichen Gebieten der Provinz KwaZulu-Natal. Im COSATU festigten unterdessen die Kritiker Mbekis und Verbündeten Zumas, Gwede Mantashe und Zwelinsima Vavi, ihre Positionen - zum Teil dadurch, dass sie für die Entfernung ihrer Gegner von den Führungsposten des Verbands und vom Vorsitz wichtiger Einzelgewerkschaften sorgten. An der Basis der SACP und der Gewerkschaften kam Vavis und Mantashes forscheres Auftreten gegenüber der Regierung wahrscheinlich überwiegend gut an. Die Arbeitslosigkeit und die Armut haben zwar geringfügig abgenommen, doch die Arbeitsplätze von COSATU-Mitgliedern sind zunehmend weniger sicher und es herrscht weiterhin große Armut. Zudem brachte das Wachstum der ANC- und SACP-Jugendverbände immer mehr arbeitslose Jugendliche in die organisierte Politik; sie sind ein wichtiger Faktor für die zunehmende Unterstützung der linken Opposition gegen die Regierung.

Vordergründig kann man Zumas Machtübernahme so deuten, dass die innerparteiliche Demokratie im ANC funktioniert. Der Vorgang könnte eine wichtige Etappe in der Festigung der südafrikanischen Demokratie darstellen und dazu führen, dass Südafrikas Politiker in Zukunft stärker zur Rechenschaft gezogen werden. Die Ansicht, dass Zumas Sieg die Demokratie stärkt, muss aber mit Vorbehalten und Einschränkungen versehen werden. Zumas Unterstützer und Verbündete benutzen oft eine gewaltverherrlichende Sprache, und seit der Gründung der neuen Partei „Congress of the People" (COPE) wird von gewalttätigen Auseinandersetzungen an manchen Orten berichtet, die wahrscheinlich von solchen Äußerungen geschürt wurden.

Die Gewerkschaftsführung stellt die Wahl Zumas als Ergebnis einer „Rebellion" der ANC-Basis gegen die „neoliberale" Regierung dar. Doch ist es eine Vereinfachung, die Regierungspolitik als neoliberal zu bezeichnen, und ignoriert die starke Ausweitung der Sozialhilfeleistungen seit 1999. Paradoxerweise verweist das Programm des ANC für die Parlamentswahlen 2009 stolz auf die Erfolge der Regierung Mbeki bei der Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit. Dennoch drückt das Programm sicher eine Linkswendung aus. Es verspricht, dass die Schaffung von menschenwürdigen Arbeitsplätzen den Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik ausmachen wird, zu der auch eine staatlich gelenkte Industrialisierung und öffentliche Investitionen ins Verkehrs- und Kommunikationswesen gehören sollen.

Die vagen Formulierungen dieses Programms sowie die Hinweise darauf, dass gewisse politische Veränderungen „schrittweise" eingeführt werden müssen, verdanken sich wohl der Sorge darum, das Vertrauen der Wirtschaft nicht zu erschüttern. Nicht alle wichtigen Persönlichkeiten, die beim Parteitag von 2007 hervorgetreten sind, gehören zum linken Flügel des ANC - man denke an die Unternehmer und Industriellen Cyril Ramaphosa, Tokyo Sexwale und Mathews Phosa. Vermutlich möchte der ANC auch nicht die Unterstützung der schwarzen Mittelschicht verlieren, die heute einen beträchtlichen Teil seiner Wählerschaft ausmacht und auf Steuererhöhungen wohl ebenso ablehnend reagieren würde wie ihre weißen Mitbürger. So schlug Zuma in seinen ersten politischen Verlautbarungen als Präsidentschaftskandidat einen gemäßigten Ton an: Südafrika werde „ein Land der Entwicklung und nicht eines der Sozialhilfe" sein, sagte er im September 2008.

Statt als Ausdruck widerstreitender Klasseninteressen kann man Zumas Aufstieg und Mbekis Absetzung auch als Höhepunkt der Transformation des ANC in eine von Patronage und Seilschaften geprägte Partei verstehen. Seit 1999 hat es sich verbreitet, mittels manipulierter Ausschreibungen, bei denen Freunde und Verwandte von Funktionären begünstigt werden, politische Verbindungen in finanzielle Vorteile umzumünzen. Das ist auf Gemeinde- und Provinzebene häufig der Fall und fördert die Bildung von Netzen und Fraktionen im ANC, deren Loyalität einer Person gilt. So gesehen sind die Auseinandersetzungen in der Partei eher Konflikte zwischen Personen als zwischen Prinzipien. Dies erleichterte es auch, Mbekis Führungsposition in Frage zu stellen - vor allem weil er Ämter zunehmend nach persönlicher Loyalität und an Leute aus seinem persönlichen Umfeld vergab. Unter anderem deshalb nahm der Anteil der Xhosa (der Volksgruppe Mbekis) im Kabinett ständig zu, Vertreter der Zulu (Zumas Volksgruppe) erhielten immer weniger Posten.

Vor diesem Hintergrund versteht man, dass manche Unterstützer Zumas eine Politik der ethnischen Identität befürworten: Weil Zuma ein „hundertprozentiger Zulu" ist, erwartet man von ihm, dass er bei der Verteilung von Privilegien die ethnischen Balance wiederherstellt. Zumas Kritiker meinen, er habe ein afro-traditionalistisches Image kultiviert, um die für sich zu gewinnen, die sich von Mbekis Modernität abgestoßen fühlen. Zumas patriarchalische Einstellung gegenüber Frauen, die er 2006 vor Gericht bekundete - er war wegen Vergewaltigung angeklagt, der Prozess endete mit einem Freispruch -, wird häufig als Beleg genannt.

Doch auch diese Darstellung scheint übertrieben. Vielleicht hat Zumas Sieg, der damit einherging, dass ehemalige Gewerkschafter und aktive Kommunisten wichtige Posten übernahmen, sogar ein relativ geschlossenes Netzwerk abgelöst, das bis dahin die Führungsspitze des ANC beherrscht hatte. Es bestand aus Männern und Frauen, die durch Verwandtschaft, Heirat und den Besuch der gleichen Schulen und Universitäten im Ostkap verbunden waren, und hatte sich - bestärkt von den Bedingungen im Exil bis 1994 - über Generationen erhalten.

Auch dass Jacob Zumas unzweifelhaft für Korruption anfällig ist, ist keine klare Abkehr, kein Verfall der Sitten gegenüber einem stärker auf Regeln beruhenden und entwicklungsorientierten Regierungsstil unter Mbeki. Zwar ist Zuma der ranghöchste Amtsträger des ANC, der wegen unlauterer Geschäfte mit Waffenhändlern vor Gericht erscheinen musste. Aber die schwersten Korruptionsvorwürfe beziehen sich auf Geschäfte aus den Jahren 1997 und 1998, mit denen Zuma nichts zu tun hatte. Und mit der Ernennung von Barbara Hogan zur Gesundheitsministerin, in der sich ein eindeutiges Bekenntnis zur Bekämpfung von HIV-Aids ausdrückt, hat die neue Regierung zumindest in einem Bereich bereits ein rationaleres Herangehen gezeigt als Mbeki.

Wird die Entstehung der neuen Partei COPE den ANC in seiner Funktion als umfassende Massenpartei, die in einem von einer Partei dominierten politischen System die Kontrolle ausüben kann, entscheidend schwächen? Die ersten Anzeichen deuten auf einen einschneidenden Bruch: 6300 Delegierte ließen sich bei der Gründungsversammlung eintragen, und in der Führungsriege der neuen Partei sind wichtige frühere ANC-Würdenträger vertreten. Den Initiatoren Mosiuoa Lekota und Mbhazima Shilowa (nach denen die neue Partei auch „Shikota" genannt wird) schlossen sich mehrere einflussreiche Politiker aus der Provinz Ostkap an, unter anderen der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister Mluleki George. Ein großer Teil der ANC-Mitglieder aus der Ciskei sollen ihm gefolgt sein. Viele der anderen Ostkap-Delegierten kamen aus der Transkei, wo seit langem politische Unzufriedenheit herrscht.

Im Januar gewann COPE einige Nachwahlen. Sie ergaben sich aus Rücktritten im Westkap, wo der ANC schon immer Probleme hatte. Auch bei Nachwahlen im Bezirk Nordkap gewann die neue Partei einige Sitze, allerdings bei einer äußerst geringen Wahlbeteiligung. Nachwahlen auf Gemeindeebene erlauben in Südafrika keine verläßlichen Vorhersagen des Wahlverhaltens bei Parlamentswahlen. Laut Meinungsumfragen lässt die entschiedene Unterstützung für den ANC nach, aber für COPE werden bei den Parlamentswahlen nur einstellige Prozentzahlen erwartet. Seit der Gründungsversammlung sind der Partei auch keine weiteren wichtigen Persönlichkeiten beigetreten.

Dennoch ist die Gründung von COPE wohl bedeutender als frühere Abspaltungen vom ANC, zum Beispiel 1959 die des Pan African Congress. Verglichen damit sind ausreichend viele wichtige Persönlichkeiten zu COPE gegangen, um daraus auf ein ernsthaftes Zerwürfnis innerhalb der ANC-Führung zu schließen, und vielleicht kommen noch weitere dazu. Am Programm von COPE ist vor allem bemerkenswert, dass es die Einführung einer Mischung von Personal- und Verhältniswahlrecht bei den Parlamentswahlen und die Direktwahl des Präsidenten propagiert. Als ein Zugeständnis an die Wirtschaft enthält es das ausdrückliche Bekenntnis zur Unabhängigkeit der Zentralbank. Ein großer Teil des Programms bekräftigt Teile der bisherigen Regierungspolitik. Als einzige Neuheit bei der Armutsbekämpfung werden Vergünstigungen für Behinderte in öffentlichen Verkehrsmitteln angestrebt.

Wenn COSATU und die SACP den ANC zu einem linksgerichteten Wahlkampf drängen können, dann wird COPE gute Chancen haben, sich in der Mitte zu verankern - besonders bei Wählern, die sich von den aggressiven Beschimpfungen Mbekis vor, während und nach seinem Rücktritt abgestoßen fühlten. Doch auch wenn COPE aus den bevorstehenden Wahlen nicht als starke Kraft hervorgeht, bleibt es fraglich, ob der ANC weiterhin das von nur einer Partei beherrschte System stabil halten kann. Solche dominierenden Parteien müssen als pluralistische Volksparteien alle Schichten ansprechen. Das ist durch die rabiaten Auseinandersetzungen im vergangenen Jahr bedeutend schwieriger geworden.

In Zukunft wird sich Kritik an der Regierungspolitik wohl offener und direkter äußern. Vergleiche mit anderen Ländern, in denen eine Partei dominiert, zeigen, dass Parteien, die über Generationen an der Macht bleiben, ganz anders strukturiert sind als der ANC: Dramatische Auseinandersetzungen bei der Wahl der Führungsspitze sind dort nicht üblich. Zum Besseren oder Schlechteren - und es mag durchaus zum Schlechteren sein - werden sich die Eliten Südafrikas an einen politischen Stil gewöhnen müssen, der in der Substanz demokratischer ist, als zu erwarten war.

Aus dem Englischen von Anna Latz.

Tom Lodge ist Professor für Friedens- und Konfliktstudien an der Universität Limerick in Irland und Autor mehrerer Bücher über Politik in Südafrika, insbesondere über den ANC.

 

erschienen in Ausgabe 3 / 2009: Südafrika: Neue Freiheit, alte Armut

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