Die Malaria-Jägerin von Sansibar

Sofi Lundin

Mit  ihrer Maschine erreicht  Habiba Suleiman Seif die entlegendsten Dörfer – auch wenn der Motor  manchmal nicht gleich anspringen will.

Tansania
Die Infektionskrankheit ist auf der tansanischen Insel nahezu ausgerottet. Das ist auch einer mutigen Frau
auf einem schnellen Motorrad zu verdanken.

Sie startet die Maschine. Schwarzer Rauch quillt aus dem Auspuff. Stille. Habiba Suleiman Seif holt ihr Handy hervor und fährt mit dem Finger über das Display, um die neuesten Nachrichten zu lesen. Die Krankenstation von Shakani hat einen neuen Malariapatienten gemeldet. Die 32-Jährige zieht den Hijab unter ihrem Helm straff und startet erneut, dieses Mal mit aller Kraft. Ihr erster Halt ist die Station. Dort erhält sie Informationen über den Malariafall, ehe sie sich auf den Weg zu dem Kranken nach Hause macht.

Mit Smartphone, Tablet, Malariatests und Medikamenten im Gepäck ist Habiba Suleiman in den vergangenen sechs Jahren von Dorf zu Dorf durch Sansibar gefahren, um Malariapatienten zu behandeln und Neuinfektionen zu verhindern. Sie ist eine von 20 Gesundheitshelfern,  auch Malaria-Überwachungsbeauftragte genannt, die daran arbeiten, den Inselstaat malariafrei zu machen. Und sie haben Erfolg. 2004 waren rund 40 Prozent der Bevölkerung von Sansibar mit Malaria infiziert, inzwischen ist der Anteil auf 0,003 Prozent gesunken.

„In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts hatten mehr als die Hälfte aller Schulkinder Malaria. Per Telefon bekamen wir Hilferufe von Lehrern, deren Schülerinnen oder Schüler kollabierten“, sagt Abdullah Sleiman, Chef des Malaria-Ausrottungsprogramms von Sansibar (ZAMEP). Seit mehr als 20 Jahren leitet er dieses staatliche Programm; und in den zurückliegenden zwölf Jahren wurde auf der ganzen Insel ein umfassender Plan umgesetzt, um die Krankheit zu besiegen.

Wenn einer krank ist, muss die ganze Familie getestet werden

Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören die Verteilung von Moskitonetzen, das Besprühen der Hausinnenwände mit Insektiziden und die Schulung von Malaria-Überwachungsbeauftragten und medizinischem Personal. „Wir beziehen die gesamte Bevölkerung ein“, sagt Sleiman. „Die Einstellung der Leute zu verändern, war eine der wichtigsten und zugleich schwierigsten Aufgaben. Früher hatte niemand eine Vorstellung davon, was Malaria ist. Jetzt sind die Menschen informiert.“

Schwungvoll biegt Habiba Suleiman von der Hauptstraße in einen schmalen Pfad ein. Der schlammige Boden verlangsamt ihre Fahrt. Die Hitze ist nahezu unerträglich und Habiba ist durchgeschwitzt. Als das Gelände zu unwegsam wird, stellt sie ihr Motorrad ab und geht den restlichen Kilometer bis zum Haus des Patienten zu Fuß. Der zehnjährige Talib Ali sitzt mit seiner Familie vor dem Haus. Sein Testergebnis in der Klinik war positiv, und jetzt muss seine ganze Familie getestet werden.

Habiba leert den Inhalt ihrer Tasche, zieht Handschuhe an und beginnt mit den Bluttests. Alis kleiner Bruder wird ebenfalls positiv getestet, und Habiba öffnet auf ihrem Tablet eine App, um diese Information  einzugeben. „Mobilfunksignale verbreiten sich schneller als Moskitos“, sagen Wissenschaftler des gemeinnützigen Forschungsinstituts RTI International mit Hauptsitz in den USA, dessen Android-basiertes Programm „Coconut Surveillance“ („Kokosnuss-Überwachung“) den Gesundheitsarbeitern hilft, wichtige Informationen über Malaria und Patienten zu erfassen. Heute verwendet das Personal in allen Kliniken auf Sansibar ein SMS-System, das die Helfer vor Ort alarmiert, sobald ein neuer Malariafall registriert wurde. Das Programm speichert die Informationen und leitet sie an eine große nationale Datenbank weiter.

Der Mobilfunk hat Sansibars Kampf gegen die Malaria wirkungsvoll unterstützt. Zwischen 2012 und 2015 reagierten die Malaria-Überwachungsbeauftragten auf fast 9000 Krankheitsmeldungen. Im selben Zeitraum besuchten sie über 10.000 Haushalte und führten fast 40.000 Malariatests durch. „Inzwischen arbeiten wir eng mit jeder Klinik im Land zusammen. Das SMS-System ist schnell und effektiv. Diese Technologie war maßgeblich daran beteiligt, dass wir heute da sind, wo wir sind“, sagt Habiba Suleiman.

Aufräumen ist gefragt, um Moskitos fernzuhalten

Als sie mit den Bluttests fertig ist, geht sie hinters Haus. Vom Regen der vergangenen Tage stehen noch mehrere Pfützen. Habiba fotografiert sie mit ihrer Smartphone­kamera, um die Umgebung des Hauses zu dokumentieren. „Moskitos werden vom Wasser angezogen. Sie gedeihen in leeren Kokosnussschalen, Dosen und Erdlöchern“, sagt sie. „Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es, den Menschen beizubringen, wie sie ihre Häuser und deren unmittelbares Umfeld sauber halten.“ Drinnen hat die Familie mit zwölf Mitgliedern nur ein einziges Moskitonetz. Habiba macht sich auf ihrem Tablet einen Vermerk und gibt ihn an den Dorfvorsteher weiter, der neue Netze für die Gemeinde besorgt.

Eine Frau auf einem Motorrad ist ein seltener Anblick in Sansibar, und viele Leute schauen ihr nach, wenn sie zwischen den Palmen hindurchflitzt. Als Sansibars einzige weibliche Malaria-Überwachungsbeauftragte ist Habiba für insgesamt 165 Dörfer zuständig. Zusammen mit ihren Kollegen hat sie auf der 2500 Quadratkilometer großen Insel jeden einzelnen Haushalt besucht. „Hier haben noch zwei andere Frauen gearbeitet, aber als sie merkten, wie schwierig der Job ist, haben sie gekündigt. Die langen Tage unterwegs sind anstrengend, und man muss sich wirklich für die Arbeit interessieren, die man macht“, sagt Habiba.

Sansibar hat die letzte Phase seines Ausrottungsplans erreicht und arbeitet jetzt auf das Ziel hin, die Insel bis 2023 vollständig von Malaria zu befreien. Doch es ist nicht das erste Mal, dass dieser Kampf ausgefochten wird. In den 1950er und frühen 1960er Jahren setzten die Behörden einen größeren Aktionsplan um, doch ihre Bemühungen blieben ohne Erfolg. Für dieses Scheitern gab es mehrere Gründe, wie eine Gruppe von Wissenschaftlern 2013 in einem Bericht erläuterte. Dazu zählten die Resistenz der Moskitos gegen Insektizide und die schlechte Qualität der Moskitonetze. Da ist inzwischen vieles verbessert worden, und doch bleibt noch einiges zu tun.

Autorin

Sofi Lundin

ist freie Journalistin und Fotografin in Uganda.
„Im Vergleich zu vor ein paar Jahren haben wir heute sehr wenige Malariapatienten. Von denen, die heute positiv getestet werden, haben sich fast alle außerhalb von Sansibar angesteckt“, sagt Hadidja Ali, Labortechniker in einer Klinik in Kisauni. Das Reisen ist ein wichtiges Thema, das Habiba bei ihren Besuchen immer mit den Familien bespricht. „Wir müssen wissen, ob die Malariainfektion lokalen oder fremden Ursprungs ist. Im ersten Fall müssen wir die Quelle finden und dafür sorgen, dass sie entfernt wird“, sagt sie.

Das Gesundheitsministerium des Landes und das ZAMEP stehen an der Spitze der Bemühungen um die Ausrottung der Malaria, aber an dem großen Fortschritt in dem Inselstaat haben noch viele andere mitgewirkt. Die Malaria-Initiative des US-Präsidenten (PMI) ist seit 2006 der größte Geldgeber und Partner und gewährt zusammen mit dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria den größten Teil der internationalen Fördergelder. Aber auch skandinavische Wissenschaftler haben einen maßgeblichen Beitrag geleistet.

Neue Medikamente lassen die Sterblichkeitsrate sinken

Anders Björkman ist Professor für Mikrobiologie, Tumor- und Zellbiologie am Karolinska-Institut in Stockholm. Er forscht seit Jahrzehnten über Malaria und leitet ein größeres Projekt mit dem Gesundheitsministerium in Sansibar. Zusammen mit seinem Team entwickelt er neue Methoden und Strategien, um die Ausbreitung der Malaria zu verhindern und die Sterblichkeitsrate zu senken. Neben der Verteilung von insektizidgetränkten Moskitonetzen zählen dazu die Kombinationstherapien auf Artesimininbasis, sogenannten ACTs, einer revolutionären Behandlungsform.

Wenn Malariaerreger Resistenzen gegen Wirkstoffe wie Chloroquin und Sulfadoxin-Pyrimethamin, das unter dem Markennamen Fansidar vertrieben wird, entwickeln, sind ACTs das Mittel der Wahl. Sie werden aus einem Heilkraut aus der chinesischen Medizin gewonnen. „Dank dieser neuen Instrumente zur Bekämpfung der Malaria haben wir die Kindersterblichkeitsrate in Sansibar erfolgreich um die Hälfte gesenkt“, sagt Björkman in einem Interview mit der schwedischen Zeitung „Dagens Nyheter“.
Darüber hinaus suchen Forscher nun nach effektiven Lösungen, um Moskitos im Freien zu bekämpfen. Eine der Herausforderungen besteht darin, die Gebiete zu finden, in denen sie sich vermehren. Andy Hardy, Professor und Dozent für Fernerkundung und geografische Informationssysteme an der Aberystwyth University in Großbritannien, hat in Sansibar ein Projekt mit Drohnen gestartet.

Die Idee besteht darin, auf der Insel Wasserflächen zu lokalisieren, in denen Moskitos sich sammeln, und sie aus der Luft zu dokumentieren. „Innerhalb von 20 Minuten kann eine einzige Drohne eine Landfläche von 300.000 Quadratmetern untersuchen“, sagt Hardy. Die Fotos könnten noch am selben Nachmittag bearbeitet und analysiert werden, um das Wasser ausfindig zu machen und zu kartografieren. „Diese Methode ist ausgesprochen präzise und effektiv.“

Nun, da der Kampf gegen die Malaria fast gewonnen ist, bleibt noch der schwierigste Schritt. „Dieses letzte Prozent der Infektionen loszuwerden und die Statistik bei null zu halten, das ist die eigentliche Herausforderung. Aber wir werden sie meistern“, sagt Abdullah Sleiman, der Leiter des ZAMEP. Habiba Suleiman erhält jeden Tag von den Krankenstationen zwischen einer und sieben SMS. Ihre Tage teilen sich auf zwischen Hausbesuchen zur Behandlung ihrer Patienten und der Vermittlung wichtiger Informationen an die lokalen Gemeinschaften.

Zu Hause hat Habiba Suleiman ihren Ehemann und vier kleine Kinder. „Mein Mann unterstützt mich in meiner Arbeit, das hat er schon immer getan. Er weiß, was mir dieser Job bedeutet“, sagt sie. „Ich werde nicht aufgeben, ehe die Malaria nicht vollständig von Sansibar verschwunden ist.“

Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller

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erschienen in Ausgabe 9 / 2018: Drang nach Schönheit
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