Hohe Dunkelziffer bei rassistischen Straftaten

Die Zahl der rassistisch motivierten Straftaten in der Europäischen Union ist fünfmal höher als bisher angenommen. Das geht aus der ersten EU-weiten Befragung der Europäischen Grundrechteagentur hervor. Laut dem Bericht zeigen viele Opfer Übergriffe deshalb nicht an, weil sie kein Vertrauen in die staatlichen Rechtssysteme haben.

Daten und Meinungen zu Migration, Minderheiten und Fremdenfeindlichkeit in den 27 Mitgliedstaaten der EU stammten bisher vor allem aus amtlichen Statistiken und dem Eurobarometer, das alle zwei Jahre erhoben wird. Doch diese Informationen zeichnen ein unrealistisches Bild, denn sie stützen sich nur auf gemeldete Vorfälle und auf Meinungen der Mehrheitsgesellschaft. Die Europäische Grundrechteagentur (Fundamental Rights Agency, FRA) hat 2008 in einer repräsentativen Erhebung erstmals Angehörige ethnischer Minderheiten und Zuwanderer nach ihren Erfahrungen gefragt. Fast 40 Prozent gaben an, sie seien innerhalb des vergangenen Jahres diskriminiert worden. Zwölf Prozent wurden sogar Opfer rassistischer Gewalt. Doch 80 Prozent von ihnen erstatteten keine Anzeige, so dass die Straftaten in den amtlichen Statistiken nicht auftauchen.

FRA-Direktor Morten Kjaerum erklärt die hohe Dunkelziffer damit, dass Migranten und Angehörige ethnischer Minderheiten resigniert sind. Mehr als zwei Drittel meinten, es würde doch nichts unternommen, wenn sie Vorfälle meldeten. Ein Viertel äußerte sogar die Befürchtung, eine Anzeige könnte schädliche Folgen für sie haben. 80 Prozent der Betroffenen gaben an, sie kennten keine Organisation, die sie beraten und unterstützen könnte. Afrikaner und Roma leiden nach der Studie am stärksten unter Diskriminierungen. Roma gehörten neben Juden und Muslimen bereits 2006 zu den häufigsten Opfern rassistischer Übergriffe. Das ging aus dem letzten Jahresbericht der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) hervor, der Vorgängerorganisation der FRA. Die EUMC stützt sich nicht auf eigene Daten, sondern auf Sekundärdaten aus elf Mitgliedstaaten, die sie hochrechnete.

Für die neue Studie mit dem Titel „European Union Minorities and Discrimination Survey" (MIDIS) hat die FRA 5000 Angehörige der Mehrheitsgesellschaft und 23.500 Menschen aus den jeweils größten Minderheitengruppen in den einzelnen EU-Ländern befragt. In Deutschland waren das beispielsweise Migranten und Migrantinnen aus der Türkei und Ex-Jugoslawien, in Italien und Frankreich Zuwanderer aus Afrika. Nun sollen die Regierungen die Ergebnisse ergänzen, indem sie Angehörige kleinerer Migrantengruppen fragen, welche Erfahrungen sie mit Diskriminierung gemacht haben.

Die Ergebnisse der Studie werden derzeit für einzelne Minderheitengruppen aufgeschlüsselt und in einzelnen Berichten präsentiert. Im April ist der erste Bericht erschienen: zur Situation der Roma, von denen je nach Land 65 bis 100 Prozent angaben, sie hätten kein Vertrauen in die Strafverfolgung und das staatliche Rechtssystem. Ende Mai erscheint der Bericht zu den Erfahrungen von Muslimen.

Die Europäische Grundrechteagentur will mit ihrer Studie Datenlücken füllen, um politische Entscheidungen gegen Fremdenfeindlichkeit zu verbessern. Die Agentur fordert die EU-Regierungen auf, die Meldung und Erfassung von Diskriminierung und Gewalt zu fördern, Gesetze gegen Diskriminierung konsequenter anzuwenden und gefährdete Minderheiten besser über ihre Rechte aufzuklären.

Bärbel Röben

http://fra.europa.eu/eu-midis/

 

 

erschienen in Ausgabe 6 / 2009: Kleidung – Wer zieht uns an?
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